·Epilog·

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3 Jahre später

Der Gedanke schmerzte. Er schmerzte so sehr , dass er mir fast die Luft zum atmen nahm. Mein Körper fühlte sich taub an. Jedes Mal, wenn ich hier war.
Ich wusste, egal was ich tat, dass ich sie immer lieben würde.
Ich liebte sie noch immer so, so sehr, dass es mich beinahe zerriss. In mir war ein riesiges Loch, seit sie nicht mehr da war.

Der eine Satz, den mir der Arzt damals vor genau drei Jahren sagte, spielte sich immer wieder in meinen Kopf ab.

Sie haben ihre Leiche nicht gefunden, da der ganze Club abgebrannt war.

Ich schloss meine Augen. Bilder von ihr, von uns, tauchten vor meinem inneren Auge auf. Wieder wurde mein Herz in tausend kleine Stücken gebrochen, wie jedes Mal, wenn ich an sie dachte.
Sie  war einfach  alles was ich noch hatte und war tot.  Und mir wurde von Tag zu Tag mehr klar, dass sie wirklich weg war.

Ich würde alles dafür tun, um ihre Stimme noch einmal zu hören, in ihre Augen zu sehen oder einfach ihre Hand halten zu können. Noch ein mal über ihre Haare streichen und sie zu küssen.

Gott, was würde ich dafür tun, ihre Lippen zu berühren?

Wieso? Wieso sie? Wieso ich? Sie war doch noch so jung..

Bis heute verstand ich es nicht. Ich konnte es einfach nicht verstehen, was Sergio jetzt davon hatte. Schön, er hat bekommen, was er wollte.

Grace war tot. Und ich war es genauso.

Ich ballte meine Hände zu einer Faust, um das starke Zittern zu unterdrücken. Zum dritten Mal stand ich nun schon hier. Vor ihrem Grab und wünschte mir, ich würde dort neben ihr liegen.
So, wie die letzten drei Jahre, habe ich ihr einen Blumenstrauß mitgebracht. Immer den gleichen. Ihre Lieblingsblumen waren Tulpen.

Ich hockte mich hin und strich über den Grabstein, über ihren Namen.

Grace Haddington
*04. Mai 1999
† 22. Juli 2016

Eine Träne lief mir die Wange runter. Und diesmal wischte sie nicht weg, so wie jedes andere Mal. Ich ließ es zu. Bei Grace konnte ich immer der sein, der ich war. Sie würde es nicht  wollen, dass ich mich versteckte.

Ich kniff vor Schmerz meine Augen zusammen. Es wurde jedes Jahr schlimmer. Der Schmerz.

Es tat so unfassbar und unglaublich doll weh, dass es sich fast unwirklich anfühlt. Ich konnte es nicht mal ansatzweise beschreiben, wie es sich anfühlte.
Der Schmerz war einfach überall, sodass ich ihn bis in die Zehenspitzen fühlte.

Ich konnte nicht mehr weiter machen. Und noch weniger wollte ich es.

Wie oft habe ich jetzt schon darüber nachgedacht, wirklich aufzugeben? Zu ihr zu gehen, damit wir wieder zusammen sind?
Zu oft.

Und ehrlich gesagt wusste ich nicht, was mich davon abhielt.

Vielleicht war es Adam, den ich nicht im Stich lassen konnte. Vielleicht aber auch Beth, mit der ich nun schon seit über einem Jahr zusammen war.

Ich wusste, dass es falsch war. Doch ich brauchte es. Beth war für mich da, als ich keinen hatte. Sie war immer bei mir und stand mir zur Seite.

Und doch war sie nicht Grace. Keiner, kein einziges Mädchen auf dieser Welt, konnte je wieder so Gefühle in mir wecken, wie Grace es getan hat. Das wusste ich.

Ein letztes Mal ließ ich meinen Blick über ihr Grab wandern, bevor ich aufstand und zurück zu Beth ging, die an meinem Auto stand.

“Alles gut?“, fragte sie und sah mich besorgt an.

Ich antwortete nicht, sondern stieg in das Auto ein.
Inzwischen tat es mir nicht mehr leid, wie ich sie behandelte, immerhin war es ihre Entscheidung hier zu bleiben und nicht meine. Und dann musste sie damit klarkommen, was sie auch tat. Beth wusste, dass sie kein Ersatz für Grace war und ich sie auch niemals so sehr lieben würde.

Sie setzte sich neben mich und ich fuhr los. Während der gesamten Autofahrt redeten wir kein Wort miteinander.
Eigentlich redeten wir nie viel. Und das war auch gut so.

Beth wohnte noch immer bei Adam. Die beiden sind inzwischen selbst wie Geschwister geworden, was mich am Anfang unglaublich aggressiv gemacht hat.

Ich schmiss Beth bei sich zu Hause raus und fuhr dann zu mir, wo meine Mutter bereits etwas zu Essen auf dem Tisch hatte.

“Jaki“, begrüßte sie mich.

Ich blockte ab und ging hoch in mein Zimmer. So wie immer. Ich wusste, dass ich meiner Mutter damit sehr wehtat.

Doch keiner hatte eine Ahnung, wie sehr mir alles wehtat.

Wieder überlegte ich, als ich die Pistole aus meinen Nachtschrank nahm.
Und wieder legte ich sie zurück.

Es war ein hin und her. Jedes Mal das gleiche.

Doch diesmal war es anders. Es fühlte sich anders an. Der Drang, wieder bei Grace zu sein, wurde immer stärker. Er war fast so stark, dass ich das Gefühl hatte, meine Hand griff automatisch zu der Pistole.

Aber ich wollte meiner Mutter keinen Schrecken einjagen. Wie würde sie reagieren, wenn sie plötzlich einen Schuss hören würde?

Also ging ich zu meinem Schreibtisch, auf dem die Tabletten standen.

Ich zitterte.

“Ich bin bald bei dir.“ Mein Flüstern hörte man kaum.

Ich öffnete die Packung und schüttelte mir alle auf die Hand. Ein paar fielen runter, doch das Interessierte mich nicht.

Mit der anderen Hand griff ich nach der Vodkaflasche, die ich immer in meinem Schreibtischfach zu stehen hatte.

Ich schloss die Augen. Ich wusste genau, wem ich hiermit alles verletzen würde. Auch wenn ich vor einer Stunde noch stolz darauf war, es so weit zu schaffen, wollte ich jetzt nicht mehr weitergehen.

Also schluckte ich die Tabletten. Ich schluckte sie alle und trank dazu den Vodka.

Mit wackeligen Beinen ging ich zum Spiegel. Ich zog mein T-shirt hoch und betrachtete den Schriftzug direkt unter meinem Herzen.

Grace&Jake Conners
†22.07.2016

Als Grace gestorben ist, bin ich mit gegangen. Seit drei Jahren habe ich das Gefühl, tot zu sein.

Die plötzliche Müdigkeit, die nach einigen Minuten, in denen ich vor den Spiegel stand und das Tattoo betrachtete eintrat, ließ meine Beine noch schwerer werden, bis sie letztendlich unter mir zusammenbrachen.

Ich bekam nicht einmal mehr mit, wie ich auf dem Boden aufschlug, da war ich schon weg.

Bei Grace.

My Own SummerWhere stories live. Discover now