Kapitel 36

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„Wie lange willst du noch hier liegen und das Bild anstarren?"
„Weiß ich noch nicht." Marlene zog mir den Bilderrahmen aus den Fingern.
„Allison und Samuel warten auf uns." Seufzend sah ich noch einmal auf das Bild in Marlenes Hand, bevor ich mich von meinem Bett aufrappelte.
„Na geht doch." Marlene schien ziemlich zufrieden. Sie legte das Foto auf den Nachtisch.
„Vermisst du sie gar nicht?"
„Natürlich vermisse ich unsere Idioten, aber es ändert doch nichts daran, dass wir jetzt hier sind. Jetzt komm schon." Sie griff nach meinen Arm und zog mich zu Tür.

Samuel und Allison warteten schon im Gemeinschaftsraum auf uns. Sie saßen sich gegenüber und waren vertieft in eine Partie Schach. Um ehrlich zu sein, war ich mir nicht sicher, wer schlechter in diesem Spiel war. Die Zweitklässlerin, mein Großcousin, Bubble oder ich. Vermutlich war die Katze, die beste Schachspielerin von uns vieren. Nein, ernsthaft ich war mies im Schachspielen. Immer wenn ich mit den Leuten in Hogwarts gespielt habe, hatten sie so sehr über meine Fehler lachen müssen, dass sie nicht mehr spielen konnten, weshalb ich immer Lachen musste und am Ende lachten wir einfach. Ich merkte, wie Marlene mir mal wieder in die Seite knuffte.
„Hör auf zu träumen!"
„Aber ich träume gerne."
„Dann schlafe morgens eine Stunde länger."
„Da muss sie mich unterhalten", protestierte mein Großcousin.
„Du kannst auch länger schlafen."
„Und wer weckt dich dann?"
„Ich stehe meistens von alleine auf."
„Weil die anderen zu viel Lärm machen."
„Ja, ist doch auch freiwillig – so halb." Die beiden anderen lachten leise. Marlene und ich mussten deshalb grinsen. Die Blondine ließ sich auf das Sofa neben meinen Großcousin fallen, weshalb ich mich zu Allison setzte. Die jüngste Nymphe wandte sich wieder dem Schachspiel zu.
„Ich könnte euch beide innerhalb von drei Zügen Schachmatt setzen", erklärte meine beste Freundin.
„Du kannst auch Schach spielen." Ich sah zu ihr herüber.
„Können wir auch", protestierte mein Großcousin.
„Nur nicht gut."
„Das ist wie freiwillig aufstehen, McKinnon."
„Unter diesen Umständen lass ich euch ganz in Ruhe spielen."
„Du darfst mir gerne sagen, wie ich den blonden Zwerg besiegen kann."
„Blonder Zwerg?", empörte sich Allison. Samuel nickte, während er weiter versuchte, Marlene mit seinen Hundeblicken zu erweichen.
„Jetzt gibt es einen Zwergenaufstand!" Die kleine Blondine sah ihn herausfordernd an.
„Möge der Krieg beginnen." Die beiden konzentrierten sich wieder auf ihr Spiel.

Es dauerte noch fast eine halbe Stunde, bis das Schachspiel beendet wurde, weil die beiden nur noch mit jeweils drei Figuren über das Spielfeld rannten. Marlene erklärte ihnen, dass der Krieg „Zwerge vs. Riesen" entweder durch eine Einigung oder durch den hungertot beendet würde, da sie beide den anderen so niemals Schachmatt setzen konnten. Also holten sie die weißen Fahnen heraus. Wortwörtlich. Ich konnte nicht widerstehen und zauberte zwei Kleine her.
Schließlich war das Schachbrett weggeräumt und wir saßen zusammen auf den beiden Sofas. In der halben Stunde war Samson zu uns hoch gekommen und döste mit Bubble unter Marlenes Sitzplatz, was wirklich süß aussah.
„Habt ihr euch eigentlich schon Gedanken über nächste Woche Mittwoch gemacht?" Allison sah zu Marlene und mir. Ich brauchte ein paar Sekunden, um zu schalten. Nächste Woche Mittwoch war der erste Juni. Damit hatte zum einen Tante Frances Geburtstag und zum anderen, was viel wichtiger war, war der erste Vollmond seit wir in die Contreas Schule besuchten. Da es ein Mittwoch war, konnten wir nicht nach Hause und einen geeigneten Raum zum Verschwinden hatten wir noch nicht wirklich entdeckt. Das lag wohl daran, dass wir am liebsten zusammen bleiben wollten und ich draußen sein musste, während Marlene eigentlich singen und tanzen wollte, was abends echt schlecht ging, außer sie wollte ihre Zimmergenossinnen nerven. Da es mit denen gerade etwas besser lief, wollte sie das wahrscheinlich vermeiden, weshalb wir auch noch eine Ausrede brauchten, warum wir nicht wie sonst auch immer bei einer von uns im Zimmer schliefen. Ja, ich gebe es zu. Wir schliefen immer noch in einem Bett. Abends bis zum Einschlafen zu quatschen und morgens beim Aufstehen von Marlene beschimpft zu werden, ich wollte dieses bisschen Normalität nicht aufgeben.
Ein bisschen verstand ich die Leute hier. Veränderungen waren manchmal schwer. Hätte ich es verhindern können, ich wäre niemals nach Hogwarts gegangen und auch nicht zur Contreas Schule, aber jetzt im Nachhinein würde ich keine der beiden Erfahrungen aufgeben wollen. Ich war froh die Mädels aus Hogwarts, Frank und die Rumtreiber kennengelernt zu haben, auch wenn ich Frank nur als Alices Freund kannte, aber ich war genauso froh Allison kennengelernt zu haben und die Contreas Schule insgesamt. Trotzdem würde ich jeder Zeit zurück nach Hogwarts gehen, wenn sich mir die Chance bieten würde. Ein Finger bohrte sich in meine Seite.
„Hatte sie auch solche Phasen, als sie mich verlassen musste?" Samuel legte mir einen Arm um die Schulter.
„Zweimal am Tag. Jedes Mal, wenn sie dir einen Brief schrieb und jedes Mal, wenn sie einen von dir bekam." Mein Großcousin nahm mich in den Arm.
„Irgendwann kommt der Black wieder und dann will er mit dir zusammen sein und Kinder bekommen und –" Er brach ab.
„Und was?"
„Ich werde ihn eigenhändig auf den Mond schießen, bevor er auch nur eine dieser Sachen veranlassen kann." Ich lachte leise.
„Du hast ihn doch auch in dein Herz geschlossen."
„Ich? In mein Herz? Ihn? Niemals!"
„Nicht einmal ein ganz klein wenig? Diesen schwarzhaarigen Trottel, der sich im Notfall jeder Zeit vor mich werfen würde und jeden zum Lachen bringt?" Er schüttelte den Kopf, doch das leichte Lächeln, das sich auf sein Gesicht schlich, verriet ihn. Er hatte Sirius genauso lieb gewonnen wie ich. Ok, vielleicht nicht genau so, denn das wäre wirklich gruselig. Es wäre wirklich komisch, wenn Samuel in Sirius verliebt wäre, aber die Tatsache, dass er ihn nicht hasste, fand ich schon ganz angenehm. Es würde ziemlich anstrengend sein, wenn mein Großcousin den Gryffindor wie am Anfang behandeln würde. Wahrscheinlich hätte der kalte Umgang unsere Beziehung auch sehr belastet, was ich vermeiden wollte.
„Was ist denn jetzt mit nächsten Mittwoch?" Allison sah uns fragend an.
„Wir haben noch keine Lösung gefunden." Die Zweitklässlerin wirkte etwas nervös.
„Ihr könntet sagen, dass ihr bei mir übernachtet. Marlene kann dann in meinem Zimmer herumturnen ohne, dass es jemand mitbekommt, und Carolin kann mit mir schwimmen kommen... also nur, wenn ihr wollt." Ich nickte begeistert. Das war wohl die einfachste, unauffälligste und beste Idee.
„Dann bin ich ja alleine."
„Soll ich dir Gesellschaft leisten?", bot sich Marlenes Sitznachbar an.
„Ja! Ich will nicht die ganze Nacht alleine sein."
„Ich will aber schlafen!"
„Wirklich?"
„Ja."
„Dann werde ich dich wohl für ein oder zwei Stunden schlafen lassen."
„So gnädig dieses Mädchen."
„Sie wird für diese Großzügigkeit noch einen Preis bekommen."

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