45-Stimme

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Max stand vor der Schule und wartete.

Er hatte keinen Bock jetzt schon reinzugehen, vielleicht sollte er die ersten Stunden schwänzen.

"ich hasse Schule.", sagte jemand neben ihm, und er drehte sich erschrocken zu der Stimme um.

Es war ein Mädchen, etwa in seinem Alter, mit schulterlangen, schwarzen Haaren, gebräunter Haut mit Sommersprossen, braunen Augen und einem Septum.

In ihrem Mundwinkel hing eine Zigarette, und sie sah die Schule mit so angewidert an, als hätte diese sie persönlich beleidigt.

"Bock zu schwänzen?", fragte sie mit einer hochgezogenen Augenbraue und einem schiefen Lächeln.

Sie sah nach Problemen an, alles an ihr. Von den Springerstiefeln bis zu den Piercings.

Max zuckte mit den Schultern und folgte ihr.

"Du redest nicht viel, was?", wollte sie nach einigen Minuten wissen, und er schüttelte den Kopf.

"Ich bin Selina, und du?"

Er schrie seinen Namen auf und zeigte ihr den Block.

"Max. Netter Name, kurz."

Sie verbrachten die Stunden mit herumlaufen und kauften sich dann irgendwo ein Eis. Max redete auch ein bisschen mit ihr, ohne die Wörter aufzuschreiben, und sie hörte geduldig zu.

Es war leicht mit Selina zu reden, sie war offen und unkompliziert.

Aber sie erzählte nicht viel über sich selbst, oder über ihre Familie.

Das störte ihn aber nicht besonders, er redete, oder eher schrieb, auch nicht oft über seinen Vater.

Mein Vater misshandelt mich und meinen Bruder, aber meistens ihn. Am Wochenende hat er ihn den ganzen Tag im Keller eingesperrt, und er wäre da unten fast gestorben.

Ja, super Konversationsstarter.

"Hey, Max. Wollen wir mal etwas ausprobieren?", fragte sie ihn plötzlich, und der Junge sah ihn misstrauisch an.

Nichts sexuelles, schrieb er in seinen Block, und sie lachte.

"Nein, keine Sorge. Ich habe keinen Bock auf etwas sexuelles. Es geht um dein Stottern. Warte.", und sie kramte aus ihrer Tasche schwarze Kopfhörer hervor.

"Steck die rein."

Er tat was sie sagte, und sie machte ein Lied leise an.

"Ich werde gleich das Lied lauter machen, und dann sagst du etwas. Irgendwas.", wies sie ihn aufgeregt an.

Ich kann aber nicht hören, schrieb er.

"Das ist der Sinn. Los geht's.", und sie steigerte die Lautstärke.

Als sie sagte, sie würde die Musik laut stellen, hatte sie nicht untertrieben.

Sein ganzer Kopf war erfüllt vom Bass, und es war ehrlich gesagt etwas schmerzhaft.

Irgendetwas sagen, dachte er.

Er fing an zu labern, und er hatte Angst irgendjemanden stotternd anzuschreien, doch sie grinste.

Max nahm die Kopfhörer heraus, und sie gab ihm ein kleines Diktiergerät, das sie in ihrer Hand gehalten hatte.

"Hat mir meine Mutter zum Geburtstag geschenkt, weil ich so vergesslich bin. Hör dir dich an.", sagte sie lächelnd.

Zögernd nahm er das Gerät entgegen und drückte auf play.

"H-Hi ich bin Max, ich bin f-fünfzehn Jahre alt. Und ich habe k-k-keine Ahnung was die Scheiße soll."

Er stotterte kaum, wenn sprach er nur etwas leiser.

Wieder und wieder hörte er sich die Aufnahme an, und er lächelte dabei.

"Hab eich aus einem Film. Du hast eine echt hübsche Stimme, Max.", erzählte sie ihm sanft.

Er grinste sie an.

"D-D-Dank-ke."

"Schon okay, wollen wir wieder zur Schule? Ich habe langsam echten Hunger."

Mensaessen ist giftig, schrieb er und zeigte es ihr, doch sie grinste ihn an.

"Vielleicht werde ich dann umsonst high.", flüsterte sie ihm ins Ohr, und zusammen gingen sie zurück zur Schule.

We are all perfect, we are all going to dieWhere stories live. Discover now