27- Stille

188 20 2
                                    

Leise betrat Selina das Haus. Der heutige Schultag war total scheiße, so wie immer. Es war immer gleich. Alles erinnerte sie irgendwie an Mason. Und das machte es nicht gerade besser.

Manchmal fragte das Mädchen sich wirklich, warum sie überhaupt noch zur Schule ging. Vielleicht war es die Macht der Gewohnheit, vielleicht auch einfach, um dieser verdammten Stille zu entkommen.

In ihrem Zimmer warf Selina sich auf ihr Bett und starrte an die Decke.

Die drückende Stille lastete auf Silenas Ohren. Kein Ton drang zu ihr durch.

Das erinnerte sie mal wieder an Mason. Sie dachte an seinen unnötigen Tod, und an den Selbstmord ihrer Mutter. Sie wusste nicht, wie lange sie das hier noch aushielt. Die Stille und die Erinnerungen.

Irgendwann wanderten ihre Gedanken zu dem Sprayer und den von ihm gesprühten Spruch.

Speak only if what you have to say is more beautiful than silence.

Sie hatte nichts wichtiges zu sagen, aber sie würde alles erzählen nur damit jemand etwas sagte.

Das Mädchen wusste selbst nicht, warum sie sich diesen Spruch gemerkt hatte. Irgendwas hatte er an sich.

Nachdem Silena noch eine ganze Weile so da lag und ihre Gedanken hin und her wanderten, beschloss sie, noch ein paar Zigaretten zu kaufen.

Die hatte sie jetzt dringend nötig, und die letzten hatte sie innerhalb von drei Tagen aufgeraucht.

Sie rauchte nun mehr als früher.

Leise lief Selina zur Haustür. Es war so verdammt still. Nichtmal das Schluchzen ihres Vaters war zu hören.

Warum hörte sie ihren Vater nicht weinen?

Sonst hörte sie ihn immer. Im ganzen Haus. Auch in ihrem Zimmer.

Jetzt wusste sie auch, warum es so leise war, warum sie keinen Ton gehört hatte.

Aber ihr Vater weinte sonst immer. Selina bekam es mit der Angst zu tun. Sie befürchtete das schlimmste.

Sie machte auf dem Absatz kehrt und rannte zu dem Zimmer ihres Vaters.

"Dad?", fragte sie vorsichtig durch die geschlossene Zimmertür. Doch es kam keine Antwort. "Dad, mach die Tür auf verdammt! Dad!", schrie sie die Tür an. Es kam keine Antwort.

Selina drückte die Türklinke runter, doch die Tür öffnete sich nicht. Langsam wurde das Gefühl der Angst schlimmer.

Beinahe panisch rüttelte das Mädchen an der Tür.

Es half nicht.

Sie schmiss sich mit aller Kraft gegen die Tür.

Es half nicht.

Sie wiederholte es immer wieder, schmiss sich immer wieder gegen die Tür. Ihre Schulter schmerzte schon, aber das war ihr in diesem Moment egal.

Es half nicht.

Frustriert ließ sich Silena an der Tür runterrutschen. Schreckliche Bilder jagten vor ihren Augen vorbei.

Sie musste in dieses Zimmer kommen. Nur wie?

Da fiel ihr ein, dass es noch einen Zweitschlüssel gab. Er musste in der Küche sein.

Schnell sprang Silena auf und stürmte in die Küche. Sie durchwühlte sämtliche Schränke, bis sie den Schlüssel endlich gefunden hatte.
Sie schnappte sich den Zweitschlüssel und jagte wieder zurück zum Zimmer ihres Vaters.

Mit zittrigen Händen schloss sie die Tür auf. Sie wollte grade die Tür aufstoßen, als sie inne hielt.

Langsam schob das Mädchen die Tür auf. Beinahe bedächtig schlich Silena sich in das Zimmer und sah sich ängstlich um.

Doch was sie dann sah, ließ sie den Atem anhalten.

We are all perfect, we are all going to dieWhere stories live. Discover now