*10. Ernste Gespräche

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Bis auf das unregelmäßge Schniefen war es still im Schlafsaal geworden. Es dauerte auch noch eine ganze Weile, bis die ganzen Tränen versiegten und sie sich getrennt auf den Weg zum Abendessen machten.

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Sie saßen einfach da, während der Mond nur wenig Licht spendete und das Feuer im Kamin leise vor sich hin knisterte. James sah auf die Karte des Rumtreibers, die er vor einigen Jahren aus der Schreibtischschublade seines Vaters entwendet hatte und folgte gelangweilt den Punkten der Vertrauensschüler, die ihren Weg durch die verlassenen Gänge des Schlosses suchten. An einem der kleinen Punkte stand der Name seiner Cousine Rose, die wie ihre beiden Eltern damals Vertrauensschülerin geworden war. In James' Augen passte dieses Amt auch perfekt zu der rothaarigen Weasley, denn die Ravenclaw war total ernst und ziemlich langweilig, so wie die meisten Vertrauensschüler.

James sah von der Karte auf und bemerkte, wie Max ihn mit gerunzelter Stirn beobachtete. „Was?", fragte James schroff und verschränkte ohne es zu bemerken seine Arme vor der Brust. Max seufzte und legte dann das Buch neben sich, in dem er noch vor Kurzem gelesen hatte.

„Ich dachte, das könntest du mir sagen", antwortete er.

„Was soll schon sein?", hakte James nun mehr als verwirrt nach. Ihm entging nicht die leicht enttäuschte Reaktion seines besten Freundes. Scheinbar war seine Antwort nicht die Richtige gewesen, aber was hätte er sonst sagen sollen?

„Du bist schon seit Wochen so seltsam drauf, Alter!", rief nun Max. „Du denkst so viel nach, du versuchst aus irgendeinem Grund, dein Verhalten zu ändern, Mann, du verstellst dich total und sag mir bitte nicht, dass du das nicht bemerkt hast!"

War das denn so offensichtlich gewesen? Wie hatte Max es geschafft, das zu bemerken? Er hatte doch alles so gut es ging vertuscht und wie Zufälle aussehen lassen, also warum zur Hölle hatte Max es bemerkt? James atmete einmal tief durch und ließ sich tiefer in den Sessel sinken. Es war genau dieser eine Sessel, auf dem er vor einigen Wochen schon einmal gesessen hatte. Er könnte ganz einfach darunter greifen und die Liste hervorholen. Doch würde Max ihn verstehen? Es fühlte sich einfach furchtbar an, nicht die Reaktion seines Freundes abschätzen zu können. Würde er ihn vielleicht auslachen? Doch aus irgendeinem Grund vertraute James Max. Max war sein bester Freund, warum sollte er ihn auslachen? Und schließlich tastete unter dem Sessel nach Julies Liste und zog sie hervor, um sie schließlich Max unter die Nase zu halten.

„Was ist das?", fragte Max verwirrt, dann sah er die Überschrift und sein leichter Anflug von Wut war sofort vergessen. Er sah einfach ungläubig auf die Liste und James beobachtete ihn dabei, wie seine Augen von Zeile zu Zeile huschten.

Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis Max endlich die Liste sinken ließ und James voller Mitgefühl ansah. „Weißt du, wer die hier geschrieben hat?", fragte er und deute unnötigerweise auf die Liste.

„Julie", antwortete James schlicht und vergrub sein Gesicht in seinen Händen. Er wusste nicht, warum es ihm so nahe ging, er konnte es sich einfach nicht erklären. Er hatte nie etwas mit Julie zu tun gehabt, abgesehen von Quidditch, aber es wurmte ihn so sehr, dass sie ihn wirklich hasste. Vielleicht war er einfach ein schlechter Mensch, vielleicht verdiente er das auch, aber warum quälte es ihn so in Gedanken? Nur einige Wochen zuvor hätte er niemals geglaubt, dass Hass ihm etwas ausmachen würde. James war bodenständig, er war selbstbewusst und selbstsicher. Wie hatte eine Liste von sechsundzwanzig Punkten das alles zerstören?

„Und du versuchst diese Punkte auszulöschen?", fragte Max und hatte damit genau das erfasst, was James vorhatte. Es war kein Vorwurf in seiner Stimme, es war mehr eine Feststellung als eine Frage. „Das wirst du niemals schaffen, James!"

James, Max hatte James gesagt. Er war vollkommen ernst, kein Anflug von Belustigung, von Spott oder Ironie, einfach purer Ernst.

„Wenn es keine Gründe gäbe, dich nicht zu mögen, dann wärst du perfekt und perfekte Leute gibt es nicht. Perfekt ist übermenschlich!"

„Perfekt gibt es hier überall! Schau dir Julie an: Sie ist unglaublich talentiert in Quidditch, sie ist krass gut in der Schule und sie hat 'ne Menge Freunde, die sie mögen!", widersprach James und konnte gar nicht fassen, dass er Julie gerade als perfekt bezeichnet hatte.

„Julie ist genauso wenig perfekt, wie du es bist, James. Sie mag vielleicht eine erstklassige Jägerin sein und vielleicht ist sie super in der Schule, aber besonders mit Freundschaften hat sie ihre Probleme, das sieht man schon von Weitem! Außerdem war sie es doch, die so dreist war und diese Liste für jeden zugänglich platziert hat. Sie hat es darauf angelegt, dass irgendjemand das hier liest, sie wollte dich vor anderen schlecht machen, James, und das ist keineswegs perfekt!" Sollte James sauer sein? Sollte er sauer auf Julie sein, dass sie gewillt war, ihm so was anzutun? Vielleicht sollte er das, eigentlich müsste er das, aber er war es nicht und das verwirrte ihn mehr als alles andere.

„Perfekt hin oder her, es geht darum, dass sie Recht hat: Ich bin ein schlechter Mensch, wahrscheinlich zehnmal schlechter als sie und alle ihre Freunde zusammen! Und das schafft mich einfach!"

„Wenn du nicht sein willst, wie du bist, dann änder doch einfach Dinge in deinem Leben! Dann date keine Mädchen mehr, dann halte dich zurück, was Slytherins angeht, dann streng dich an und nimm die Schule ernst, aber bitte versuch dich zu verstellen, okay?", sagte Max ruhig. James dachte eine ganze Weile über die Worte nach und kam zu keinem Schluss. Er hatte keine Ahnung, wie es weitergehen sollte. Er wusste ja nicht einmal, wer er war. Und als Max seine Reaktion genau beobachtete, hatte James zum ersten Mal in seinem Leben den Wunsch, keine Aufmerksamkeit zu bekommen.

Warum ich James Sirius Potter hasse [HP NextGeneration]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt