73|Die Fliege an der Wand

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Ich sehe erschrocken nach oben und frage mich wirklich, was die Welt gegen mich hat. Wieso kommt der Lappen denn ausgerechnet jetzt?

Er sieht mich wieder mit seinen grünen Augen an, als würde er mich damit beschwichtigen können.

"Clive-"
"So ist mein Name. Und leider habe ich jetzt auch keine Zeit. Wenn ich meine Zeit mit dämlichen Arschlöchern vergeuden will komme ich zu dir. Versprochen... Oder lieber nicht. Wenn man ein Versprechen bricht steht man ja schon dumm da, nicht wahr?", zische ich ihn sarkastisch an.
"Clive du-"

"Lass es! Im Ernst, ich habe keine Lust und keine Zeit für dich. Du bist wieder frei und meinet wegen kannst du auch zu jedem Mädchen gehen und sagen, dass wir uns getrennt haben, wenn du es nicht schon getan hast. Weißt du was? Geh mir einfach aus den Augen. Du hast alles erreicht, was du wolltest. Jetzt kannst du wieder anfangen die Sammlung der Weiber, die du im Bett hattest, zu vervollständigen!"

Ich sehe ihm mit Absicht nicht in die Augen, weil ich dann wahrscheinlich noch auf ihn einschlagen würde und das ziemlich bekloppt wäre.

"Ich muss jetzt wirklich. Mach dir keine Mühe Adam", murmel ich leise und schiebe mich an ihm vorbei. Natürlich tut es gerade weh und am liebsten würde ich jetzt auf eine Mülltonne einschlagen und rum schreien, aber ich gehe stattdessen weiter zur Tür und verschwinde schnell im Raum dahinter.

Als ich die Tür hinter mir schließe, bemerke ich sofort mehrere Blicke auf mir, sodass ich langsam nach oben sehe und den tadelnden Blicken meiner Eltern ausgeliefert bin.

"Hi Mum. Hi Dad", begrüße ich sie knapp und nicht wirklich emotional.
"Tochter", ist das einzige, was mein Vater antwortet und nickt mir zur Begrüßung zu, während meine Mutter nur ihre Lippen zu einem einer Linie presst und am liebsten sofort über alles an mir meckern würde. Schon ihr hochmütiger und gleichzeitig angeekelter Blick reicht aus, um mir diese Botschaft zu übermittelt, aber etwas anders bin ich auch gar nicht gewöhnt.

"Miss Edwards, schön dass Sie uns auch endlich mit Ihrer Anwesenheit beglücken.", mischt sich plötzlich eine mir unbekannte Frau ein. Ich sehe sie nur kurz argwöhnisch an und setze mich auf den Stuhl, auf den die Frau deutet.

"Was macht ihr denn jetzt hier?", frage ich schon wieder an meine Eltern gewandt.
"Wir wurden vom Direktor angerufen. Diese Frau hier ist da, um dir zu helfen Kind", erklärt mein Vater, woraufhin ich die Stirn runzel.

"Ich brauche keine Nachhilfe"
"Wir reden hier nicht von Nachhilfe"
Ich sehe meinen Vater noch verwirrt an, was er wohl bemerkt und sich ein Stück aus seiner Position schiebt und sich so nach vorne beugt. Er ergreift meine Hand, fast schon liebevoll, was die Situation noch komischer macht, denn solche Dinge gibt es normalerweise nicht in meiner Familie.

"Schatz, du hättest doch mit uns reden können", murmelt er und sieht mich traurig an. Wenn ich wüsste wovon er redet, würde ich wahrscheinlich immer noch sagen, dass ich nicht mit meinen Eltern reden kann, denn sie interessieren sich ja eh nicht für mich, aber ich habe trotzdem keine Ahnung wovon mein Vater spricht.

"Worüber reden?"
"Darüber, dass du dich eingeengt fühlst und nicht mehr willst. Aber Schatz, Selbstmord ist keine Lösung.", spricht er und versucht einen ruhigen Ton anzugeben.

Geschockt starre ich meinen Vater an. Selbstmord? Wovon redet er denn bitte?
"Dad ich habe nie versucht mi-"
"Du brauchst es jetzt nicht mehr leugnen Kind!", mischt sich meine überaus freundliche Mutter ein und sieht mich scharf an, was bedeutet, dass alles gesagt ist, was es aber nicht ist.

"Clive, der Direktor hat uns bereits gesagt, dass du aus einem Fenster gesprungen bist. Wir haben uns natürlich Sorgen gemacht. Was machst du nur für Sachen?"

Also meine Mutter hat sich am Handy nicht wirklich besorgt angehört, wenn ich das mal sagen darf, aber trotzdem würde ich gerne anfangen zu lachen, denn diese Situation ist irgendwie lustig. Allerdings tue ich rein gar nichts, denn Adam spukt die ganze Zeit durch meinen Kopf, sodass ich nur auf meinem Stuhl sitze und meinen Vater geschockt ansehe.

"Ich glaube in letzter Zeit lag zu viel Druck auf ihrer Tochter.", meint diese komische Frau und schiebt ihre Brille auf ihrer Nase nach oben.
"Wir haben ja nicht gewusst, dass dieses Internat einen noch schlechteren Einfluss auf unsere Tochter haben wird", quietscht meine Mutter und ich bin froh, dass der Direktor nicht da ist, sonst wäre hier ein Krieg wegen dem Kommentar ausgebrochen.

Ich will gerade etwas sagen, als mein Vater wieder anfängt zu reden.
"Ich werde sofort mit dem Direktor reden. Ich will meine Tochter nicht weiter unter Druck setzen. Wir werden sie für zwei Wochen mit nach Hawaii nehmen und dort kann sie sich erholen. Wir werden uns um eine Therapie kümmern müssen", plappert mein Vater und ich reiße geschockt meine Augen auf.

"Ich-"
Der böse Blick meiner Mutter liegt auf mir und bringt mich zum Verstummen. Was soll ich denn auf Hawaii? Als ob es mir da irgendwie besser gehen würde. Ich habe nicht mal Selbstmordgedanken. Verdammt, was geht nur bei meinem Vater falsch?

"Wenn Sie das machen wollen, es ist natürlich auch Ihre Entscheidung. Ich würde allerdings gerne mit Ihnen in Verbindung bleiben um zu sehen, wie die Therapie anschlägt. Natürlich nur, wenn Sie einverstanden sind.", brabbelt die Tante. Mein Vater nickt nur knapp und steht dann auf.

Ich wette, und hoffe, dass ich doch keine Therapie machen muss. Die Hoffnung, dass mein Vater doch noch schnallt, dass er sinnlos sein Geld zum Fenster raus schmeißen würde, besteht und meiner Mutter wäre es doch insgeheim recht, wenn ich in dem Container gestorben wäre.

Dad geht auf die Tante zu und schüttelt ihre Hand, während meine Mutter sich desinteressiert im Raum umsieht und schließlich bei ihren Fingernägeln hängen bleibt. Ich sitze einfach nur auf dem Stuhl und starre auf die Fliege, die die Wand mit ihren winzigen Rüssel untersucht.

Ich bin knapp zwei Wochen in dem Internat und werde von den Leuten, die mich hier her abgeschoben haben wieder raus geholt? Wie dämlich klingt das denn?

Wenn ich jetzt gehe, denken alle, dass ich in eine Entzugsklinik eingewiesen worden bin.

"Dann wäre das geklärt. Clive wir werden dich später gleich mit nehmen, also packe schon mal deine Sachen und verabschiede dich von deiner Mitbewohnerin", lächelt mich Dad an und fast hätte ich die Augen über so viel Liebe verdreht.

Sobald seine Tochter sterben gehen will, kümmert er sich oder wie soll ich das verstehen? Gut, meine Mutter ist da noch ein bisschen anders. Ihr wäre es ja scheiß egal, was mit mir passiert. Dann könnte sie sich jemand mit besseren Manieren als Erben suchen.

Außerdem bezweifle ich, dass ich mich von Amber verabschieden werde. Zumindest nicht im traditionellen Sinn mit Umarmungen und Küsschen. Eher mit einer Stinkbombe und einem Eimer Wasser.

Den könnte ja Adam- Fuck, nein es gibt kein Adam mehr.

Wütend auf mich selber, dass ich gerade schon wieder an Adam denke, springe ich schnaufend auf. Vielleicht ist es doch keine schlechte Idee weg zu gehen. In zwei Wochen kann auch die Welt untergehen. Vielleicht ignoriert mich Adam dann auch und ich kann ihn vergessen und die anderen Leute runter machen. Wozu brauche ich ihn denn auch? Ich kann das auch ohne ihn.

Ich habe meinen Spaß auch schon gehabt, als ich noch nichts mit Adam zu tun hatte.

"Ich geh packen", murmel ich und ignoriere die irritierten Blicke der Tante und meines Vaters. So schnell wie möglich stürme ich aus dem Raum und laufe los.

Irgendwo zwischen Liebe und HassWhere stories live. Discover now