Kapitel 83 - Die bittere Wahrheit

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Brulestown | Nach über einen Monat spricht die in Untersuchungshaft genommene Rose Parker zum ersten Mal über den Vorfall des 4. Oktobers. Anlass war das Verschwinden ihres Sohnes, der vergangene Nacht von seinem eigenem Vater entführt wurde. Die allein für das Sorgerecht verantwortliche Mutter wusste anscheinend von dem Vorhaben ihres Ex-Mannes, da dieser sie im letzten Monat mehrmals besucht hat.

Jetzt behauptet Rose Parker, dass sie sich in der Mordnacht heimlich mit Eric Payton in Raystown getroffen habe. Das geschiedene Ehepaar führte schon seit mehreren Monaten eine heimliche Beziehung - Heimlich, weil Rose ihre Tochter, die immer noch traumatische Erinnerungen verfolgen, nicht verletzen wollte. Rose Parker gesteht damit, dass sie mit dem Mord an George Haal nichts zu tun habe, da sie zum Tatzeitpunkt nicht in Brulestown gewesen sein soll.

Ermittler haben den Ex-Mann mit krimineller Vergangenheit ebenfalls in Untersuchungshaft genommen, wo er sich erneut behaupten muss. Der 40-Jährige Eric Payton hatte nämlich schon einmal Probleme mit der Justiz. Wegen versuchten Totschlags an seiner Frau und Gewaltakten an seiner Tochter hatte er vier Jahre in Haft gesessen.

»Ich habe nichts gesagt, weil ich nicht wollte, dass er wieder im Gefängnis landet!«, beharrt Rose Parker, »Ich wusste, dass es falsch war, aber was hatte ich denn für eine andere Wahl?«

Ob es sich bei dem Geständnis um die Wahrheit handelt, ist noch nicht bewiesen. Die Polizei ermittelt weiter.

Ich spürte, wie mein Herz in zehntausend kleine Stücke zerfiel. Alles in mir begann sich gegen mich zu drängen. Ein Schmerz, der viel gewaltiger als alles Andere, das ich jemals erlebt hatte, fraß mich von innen auf.

Vollkommen überwältigt ließ ich die Zeitung fallen und starrte meinen Onkel schockiert an.

Niedergeschlagen wandte er den Kopf ab. Er hatte mich gewarnt. Er wusste, dass es mich verletzen würde. Er wollte mich nur beschützen. Aber ich hatte nicht auf ihn gehört.

Ich spürte, wie meine Augen anfingen zu brennen. Mein Körper zitterte. Meine Sicht verschwamm. Mom hatte sich mehrere Monate hinter meinem Rücken mit meinem Vater getroffen? Mit dem Mann, der uns so unglaublich verletzt hatte? Der unser ganzes Leben ruiniert hatte? Der uns kaltblütig und ohne jede Hemmung die Herzen gebrochen hatte?

Ich war fassungslos.

Verzweifelt sank ich auf die Knie. Meine eigene Mutter hatte mich verraten. Belogen. Hintergangen.

Schluchzend verbarg ich mein Gesicht in meinen Händen. Ich konnte nicht mehr. Ich wollte das nicht wahrhaben. Ich konnte nur noch an die Narben denken, die mich jeden Tag daran erinnerten, was damals passiert war.

Und jetzt wussten es alle.

Nun wussten alle, dass ich, Allyson Parker, früher von meinem Vater geschlagen wurde. Dass er meine Mutter fast umgebracht hatte. Dass er vier Jahre im Knast saß.

Sie wussten alles. Meine ganze Lebensgeschichte.

Wir waren umsonst umgezogen. Meine Fassade war gebrochen. Ich war gebrochen.

Ich war wieder die schwache und zerbrechliche Allyson von früher. Die Allyson, die sich jeden Tag ängstlich in ihrem Zimmer verstecken musste. Die Allyson, die nichts mehr fürchtete als ihren Vater.

* * *

Während der Schmerz mich von innen auffraß und ein Sturm von Gefühlen in mir tobte, starrte ich vollkommen aufgelöst an die Decke. Sie wussten alles. Jeder einzelne von ihnen. Alle hatten die Zeitung gelesen oder darüber gesprochen. Niemand blieb unwissend.

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