Kapitel 72 - Unheimliche Nähe

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Die ganze Fahrt über sagte Josh kein Wort. Anscheinend gefiel ihm der Gedanke, dass ich am Training teilnehmen wollte, überhaupt nicht. Er sollte sich meiner Meinung nach aber glücklich schätzen, dass ich dieses Angebot überhaupt wahrnahm.

Ich betrat die Sporthalle und ging auf May und Louis zu, die sich dehnten. Grinsend nickte ich den beiden zu, als sie mich erblickten. Doch ihre Miene war alles andere als erfreut. »W-was machst du denn hier?«, fragte Louis mit großen Augen.May starrte mich ungläubig an. »Du wurdest fast gekillt und kommst trotzdem zum Training?«

Mir verging das Grinsen. Mein Herz zog sich zusammen. Warum mussten mich alle die ganze Zeit an den Vorfall mit Collin erinnern?

»Können wir bitte über irgendetwas anderes reden?«, fragte ich unglücklich. Ich wollte wirklich nicht ununterbrochen daran denken.

Zum Glück zeigten die zwei sofort Verständnis. May fing an zu erzählen, was das Thema der letzten Stunde war. Aber irgendwie fiel es mir schwer ihr zuzuhören. Stattdessen ließ ich den Blick durch die Sporthalle schweifen. Mehr oder weniger waren die gleichen Leute wie vorletzte Woche anwesend. Jugendliche und größtenteils Erwachsene. Ich stoppte bei einem grauen Augenpaar, das mich aus der Ferne böse anfunkelte.

Ein Schauder lief mir über den Rücken.

Scott.

Schnell wandte ich den Blick ab. Hier war ich sicher. Hier konnte er mir nichts tun. Hier waren genug Menschen. Trotzdem musste ich an Halloween und seinen Angriff denken. Er war zu dem Zeitpunkt zwar betrunken gewesen, aber ich wurde das Gefühl nicht los, dass er mich trotzdem abgrundtief hasste.

»Hörst du mir überhaupt noch zu?«, fragte May plötzlich.

Ehe ich zu einer Ausrede ansetzen konnte, betrat Josh die Sporthalle. Wir versammelten uns in einem Kreis um ihn herum und er fing an die Übung für heute zu erklären.

Als er seinen Gegenüber, der ihn angreifen sollte, am Arm fasste und ihm zu Boden schleuderte, weitete ich die Augen. Ich fasste ich mir an den Arm. Vielleicht sollte ich doch nur zugucken?

Eigentlich tat die Wunde gar nicht mehr weh und war so gut wie verheilt, aber ich wollte wirklich nichts riskieren. Außerdem fühlte ich mich unglaublich unwohl, was daran lag, dass ich Scotts verabscheuende Blicke auf mir spürte.

Ich versuchte Josh wieder zuzusehen. Er erklärte die genaue Ausführung der Übung. Aber so sehr ich wollte, ich konnte mich einfach nicht konzentrieren. Alle seine Worte flogen an mir vorbei.

Als er fertig war, begann die Übungsphase. Alle suchten sich einen Partner.

Ich wich zurück. Ich wollte doch nicht mehr teilnehmen. Josh hatte Recht. Ich war ein absolutes Wrack.

Ich setzte mich an den Rand und sah den anderen zu. Teilweise landeten mehrere Leute schmerzhaft auf der Matte. Immer, wenn jemand krachend auf den Boden stürzte, verzog ich das Gesicht. Manchmal hatte ich sogar das Gefühl, Collin zu sehen. Die Wucht, mit der Einige vorgingen, erinnerte mich an seine Angriffe. An die Sense. An das Blut.

»Du siehst aus wie eine Leiche, weißt du das?«, hörte ich Josh plötzlich sagen.

Ich sah zu ihm auf und legte die Hände auf meine Wangen. »Echt?«

Josh setzte sich dicht neben mich. »Ja. Ich habe dir doch gesagt, dass ich heute nichts mit dir anfangen kann«, seine Stimme klang nicht abschätzig, sondern ernst. Er schien sich nicht über mich lustig zu machen.

Trotzdem starrte ich beschämt zu Boden. »Ja... hast du...«, murmelte ich. Ich hasste es, wenn er Recht hatte.

»Das ist dein Problem, Parker«, seufzte er, »Du bist viel zu ehrgeizig. Das ist eigentlich eine positive Eigenschaft, aber du übertreibst! Vorgestern ist das mit Collin erst passiert und zwei Tage später zwingst du dich zur Schule und zum Training? Meinst du nicht, da läuft irgendetwas falsch?« Josh Blick war intensiv.

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