Kapitel 11 - Tochter einer Mörderin

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Erschöpft sank ich auf mein Bett herab. Es war zwar erst kurz nach drei, aber ich hatte auf Nichts mehr Lust. Moms Geheimnistuerei, diese unheimlichen Schmerzen und Josh hatten mir die letzten Nerven geraubt. Völlig ausgelaugt vergrub ich mich in meiner Bettdecke.

Ich konnte immer noch nicht fassen, was in den letzten zwei Tagen passiert war. Alles ging so schnell. Und von Stunde zu Stunde wurde es schlimmer. Die Tatsache, dass jemand Onkel Harrys Fahrrad sabotiert hatte, gab mir keine Ruhe. Wer hatte es auf mich abgesehen? Und vor allem: Was hatte ich getan, dass der- oder diejenige meiner Familie und mir so viel Schaden zufügen wollte? Verloren in meinen Gedanken und Ängsten, schlief ich irgendwann ein.

»Allyson!«, schrie jemand. Erschrocken fuhr ich hoch und erblickte Max, der vor meinem Bett auf und ab hüpfte. Die Tür stand sperrangelweit offen. Draußen war es bereits dunkel geworden.

»Was ist?«, murmelte ich verschlafen.

»Es ist etwas Schlimmes passiert!«, rief Max aufgelöst.

Sofort war ich hellwach. Wie ein Tiger sprang ich aus dem Bett und packte meinen Bruder an den Schultern. »Was ist passiert?«, fragte ich alarmiert und rechnete mit dem aller schlimmsten. Ging es um Mom? War ihr etwas passiert?

Doch Max hatte mich umsonst in Panik versetzt. »Jemand hat Onkel Harrys Fahrrad kaputt gemacht!«, erzählte er aufgeregt und machte hektische Handbewegungen.

Ich ließ ihn los und schlug mir mit der Hand gegen die Stirn. Das durfte doch nicht wahr sein.

Genervt setzte ich mich auf die Bettkante. »Wieso erzählst du das mir?«, fragte ich ihn schließlich gespielt überrascht, »Erzähl das lieber Onkel Harry! Es ist doch sein Fahrrad.«

Sofort rannte Max aus meinem Zimmer und stürmte die Treppen herunter. »Onkel Harry!«, rief er durch das ganze Haus, »Onkel Harry!«

Vielleicht könnte der sich eine bessere Geschichte als die Wahrheit überlegen? Max musste ja nicht wissen, dass ich einen kleinen Unfall hatte. Sonst würde er womöglich wieder mehrere Tagelang bei meinem Anblick weinen. So war es zumindest als ich mich einmal geschnitten hatte. An einem Stück Papier. Nicht auszuhalten!

Gereizt setzte ich mich an den Schreibtisch und warf einen Blick auf die Uhr. 19:56 Uhr. So lange hatte ich geschlafen? Gebracht hatte es wenig. Denn ich fühlte mich wie eine Leiche, die eine Zombieapokalypse starten könnte.

Ich strich mir die blonden Strähnen aus dem Gesicht und band sie zu einem Pferdeschwanz.

Dann ließ ich dn Blick über den Zeitungsartikel schweifen, den ich heute Morgen mit nach oben genommen hatte. Am Mittwoch genau um etwa diese Zeit hatte der Raubüberfall stattgefunden.

Don's Juwelier. Von dem Juwelier hatte ich noch nie gehört und eigentlich kannte ich mich in unserer Innenstadt gut aus. Ich holte mein Handy hervor und suchte im Internet nach der Adresse. Vielleicht würde mir das irgendwie weiterhelfen?

Lancasterstreet 5 war das Ergebnis.

Ich hielt inne. Kannte ich diese Straße nicht von irgendwo her? Ich überlegte und überlegte.

Mir fiel es wie Schuppen von den Augen.

Hastig kramte ich in der letzten Schublade nach dem Zettel, den ich gestern Nacht fälschlicherweise aus dem Wald mitgenommen hatte. Und tatsächlich. Dort stand genau dieselbe Adresse: Lancasterstreet 5.

Mit offenem Mund starrte ich auf die zusammengesetzten Buchstaben. Dieser einst so unwichtige Zettel entpuppte sich als wichtiges Beweismaterial, das ich keinesfalls ignorieren konnte.

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