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Vor über hundert Jahren als die Kreaturen der Nacht fast ganz ausgelöscht und ihre Königin den Freitod gewählt hatte, wurde ich von einer mächtigen Hexe in diese Gruft gesperrt und in einen tiefen Schlaf versetzt. Wahrscheinlich war das die Strafe meine Buße, für das, was ich war. Eine ungöttliche Kreatur, ein Monster.



Nichts und niemand konnte meinen Schlaf stören, bis mir dieser süßliche und irgendwie wohlbekannte Geruch in die Nase stieg.


Schlaftrunken öffnete ich meine Augen und brauchte einen kurzen Moment, bis ich realisierte, dass ich immer noch in diesem schrecklichen Steinsarg lag.



Ich streckte meine steifen Arme aus, bei jeder Bewegung knackte und schmerzte es, doch ich konnte unmöglich in diesem Gefängnis bleiben, dieser Duft lockte mich förmlich an.



Mit aller Kraft stemmte ich mich gegen den Deckel, doch nichts geschah, ich war einfach zu schwach.


Seufzend ließ ich meine Arme sinken und überlegte fieberhaft, wie ich hier raus kommen könnte, da hörte ich ihn plötzlich, diesen markerschütternden Schrei, gefolgt von einem gedämpften Schlag.


Es war die Stimme engelsgleiche Stimme eines Mädchens, in der so viel Wut und Trauer mitschwang. Wahrscheinlich ging auch von ihr dieser Geruch aus.



Und plötzlich fand ich die Kraft, den Deckel zur Seite zu schieben, ich musste unbedingt dieses Mädchen sehen. Wer war sie und was hatte sie auf diesen Gottesacker getrieben?



Als ich aus dem Sarg sprang, schwankte ich einen kurzen Moment und mir wurde schwarz vor Augen, zu lange, hatte ich schon nichts mehr gegessen ...



Doch ich sammelte meine letzte mir verbliebene Kraft und zwang mich, so leise ich mit meinen schmerzenden Gliedern konnte, auf die schwere Eisentür zu zugehen, die die Gruft immer noch versperrte.


Durch die Gitterstäbe konnte ich das Geschöpf endlich erblicken.



Ihre Wangen waren nass von den unzähligen Tränen, die sie geweint hatte und doch sah man ihrem Blick deutlich an, dass sie auf etwas oder jemanden wütend war.



Sie ließ sich von ihrer Wut leiten und schlug auf die brüchige Friedhofsmauer ein. Sofort begannen ihre Finger zu bluten. Als ich das sah, meldeten sich meine niederen Vampirinstinkte zurück, mein Hunger wuchs und wurde zu einer unbändigen Blutlust. Ich konnte mich nur noch auf die dunkelrote Flüssigkeit, die aus der Wunde tropfte und den Wunsch diesem kleinen Engel die Kehle aufzuschlitzen konzentrieren. Doch als ich den Blick sah, den das Mädchen auf ihr eigenes Blut warf, wusste ich, dass etwas nicht stimmen konnte. Welcher Mensch starrte so fasziniert auf seinen eigenen Lebenssaft?



Eine ungute Emotion schlängelte sich zwischen meine Blutgier und ließ mich im Zwiespalt zurück. Auf der einen Seite wollte ich sie kosten, so sehr, doch auf der anderen Seite hielt mich etwas zurück. Ein Gefühl, dass ich sonst nur bei den Creatura Tenebrarum, verspürte.



Doch als ich mich endlich von meinen Gedanken losreißen konnte, war sie verschwunden und mit ihr diese Empfindungen. Doch eines blieb, die Blutgier.



Getrieben von der Blutgier, rüttelte ich am Gitter. Nach einigen Versuchen sprang dieses tatsächlich auf. Schnell lief ich aus meiner Gruft. Zum Glück war es inzwischen dunkel geworden, sodass ich mich ohne Probleme bewegen konnte.



Ich lief an einigen Gräbern vorbei, doch bei jedem Schritt merkte ich, dass trotz meiner Gier, meine Kraft langsam schwand. Meine Beine fühlten sich so an, als würden sich die Knochen in Luft auflösen und ich schwankte gewaltig. Mir wurde schwarz vor Augen und ich sank langsam zu Boden.



Ich musste einige Minuten weggetreten gewesen sein, denn ein junger Mann beugte sich über mich und ich spürte seinen warmen Atem über meine Haut streifen, als er vergebens versuchte meinen Herzschlag zu hören.



Doch im Gegensatz zum ihm hörte ich den seinen und auch wie sein Blut durch seine Adern rauschte. Sofort war meine Kraft wieder da und meine Blutgier stärker als zu vor.


Als ich meine Augen öffnete, legte sich der mir so verhasste rote Schleier über meine Augen. Mein Jagdtrieb war geweckt. Schnell griff ich ihm um den Hals und zog ihn zu mir runter. Er schrie laut auf und versuchte sich zu befreien. Doch ich war stärker, viel stärker. Ich schlug ihm meine Zähne in den Hals und saugte ihm den köstlichen Saft aus den Adern. Ich konnte mich nicht zurückhalten. Es war wie ein Drang, solange zu saugen, bis er schlaff über mir hing. Seine Lebensgeister waren bald ausgehaucht.



Auch als ich den leblosen Körper von mir gestoßen hatte, war die Gier noch nicht abgeklungen. Es war wie ein Rausch, von dem man immer mehr wollte, hatte man einmal davon gekostet.



Ich war plötzlich frei von meinen Schmerzen und spürte, wie die Kraft wieder durch meinen Körper floss. Meine Sinne waren wieder doppelt so stark, wie die eines Menschen. Was so ein kleiner Tropfen Blut ausmachen konnte.



Ich blickte ein letztes Mal auf den jungen Mann zu meinen Füßen, kein Fünkchen Mitleid regte sich in mir. Was hatte er auch so spät auf einem Gottesacker zu suchen?



Missbilligend blickte ich auf seine Kleidung. Was hatte er bitteschön an? Doch es war immer noch besser als meine, deshalb beschloss ich sie mir anzueignen.



Als ich an einer Halle, in der vermutlich die Leichen aufbewahrt wurden, vorbeikam und mich in einem der Fenster spiegelte, erwachte ich sofort aus meinem Rausch. Jenes Gefühl, dass mich zuvor unbesiegbar fühlen ließ, verschwand und machte meinem Selbsthass Platz. Was hatte ich nur getan?



Mir starrte aus vorwurfsvollen Augen mein Opfer entgegen. Fast hätte ich in meiner Blutgier, meinen eigenen Fluch vergessen. Den Fluch, mich in alles und jeden zu verwandeln, den ich aussaugte. Ihn hatte ich schon vor meiner Zeit als Vampir, ich war ein Gestaltwandler.



Wütend schlug ich meinen Kopf gegen die Wand, wie konnte ich das nur wieder vergessen. Wieso hatte ich mich nicht besser unter Kontrolle, verdammte Axt. Das durfte nicht wieder passieren, niemals. Ich musste lernen, mit meinem Hunger klarzukommen oder ihn auf andere Weise zu befriedigen. Es ging nicht anders, ich hasste diese Kreaturen, Kreaturen wie ich eine war.


Lillith (im Moment pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt