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Am nächsten Morgen wachte ich mit schmerzenden Knochen auf. Mein ganzer Körper fühlte sich an, als hätte ich den ganzen Tag schwere Lasten geschleppt. Stöhnend öffnete ich meine Augen und ich merkte, dass ich nicht in meinem Bett war. Ich befand mich in dem Raum, von dem ich geträumt hatte ... oder war es gar kein Traum gewesen?

Ich wusste es nicht, denn es fühlte sich so an, als hätten sich Traum und Realität miteinander vermischt.

Vorsichtig richtete ich mich auf und blickte mich um. Es war genauso, wie ich es in Erinnerung hatte, selbst das Buch lag neben mir.

Schnell schnappte ich mir das Buch, es musste doch irgendwie zu öffnen sein. Wieder drehte ich es in meinen Händen und versuchte angestrengt darüber nachzudenken, wie es wohl zu öffnen war. Und plötzlich fiel es mir ein. Blut. Blut war doch für alles die Lösung, zumindest für Vampire.

Mit knackenden Knochen stand ich auf und ging zu dem Schreibtisch, auf dem ich das Buch gefunden hatte. Dort fand ich einen kleinen Dolch mit geschwungener Klinge. Der Griff des Dolches war aus einem dunklen Holz, mit Leder umwickelt. Ohne groß darüber nachzudenken, nahm ich ihn und führte die scharfe Klinge zu meinem Handgelenk. Die Schneide ließ ich nur leicht über meine Haut gleiten und spürte schon, wie sich das Blut sammelte. Die ersten Tropfen fielen auf den Einband und verschwanden dort sofort wieder.

Plötzlich erzitterte das Buch und schlug sich von selbst auf. Die Seite, auf der es stehen geblieben war, war allerdings leer. Wieder wartete ich einen kurzen Moment, doch nichts weiter geschah.

Verwundert strich ich über das Pergament und spürte, wie sich in meinem Innern etwas tat. Ich fühlte mich mächtig, so als könnte ich alles schaffen und irgendwie spürte ich, wie etwas lang Verlorenes zurückgekommen war. Aber was es war, konnte ich nicht sagen ...

Nach einer Weile ging ich wieder nach oben, das Gefühl der Macht hatte mich immer noch nicht verlassen und ich genoss es. Doch es steigerte auch meine Neugier. Irgendetwas konnte doch mit mir nicht stimmen? Allein schon die Tatsache, dass ich ohne ersichtlichen Grund zum Vampir geworden war und jetzt das.

Kopfschüttelnd trat ich wieder in mein Schlafzimmer. Inzwischen stand die Sonne hoch am Himmel und eine mir unbekannte Angst gesellte sich zu meinen anderen Gefühlen. Das Zimmer war hell erleuchtet, nur das Bett lag im Schatten.

Ich überlegte, was wohl passieren würde, wenn ich mich jetzt hinaus ins Tageslicht begeben würde. Würde mein Körper verbrennen?

Schnell nahm ich ein paar tiefe Atemzüge, bevor ich meinen ganzen Mut zusammen nahm und quer durch das Zimmer sprintete. Am Bett angekommen, atmete ich erleichtert aus. Es hatte gar nicht wehgetan, eigentlich war es ziemlich normal gewesen, die warme Sonne auf meiner Haut zu spüren.

Ich schmiss mich auf das Bett und betrachtete meine Finger. Alles schien normal zu sein und auch als ich meine Hände ein kleines bisschen von mir weg streckte, um in die Sonne zu fassen, passierte nichts. Nicht einmal ein Kribbeln spürte ich.

Kurz zuckte ich mit den Achseln, das ganze Grübeln, was wohl los war mit mir, brachte doch eh nichts. Ich musste endlich damit klar kommen, was und vor allem wer ich war.

Plötzlich grummelte mein Magen und erinnerte mich daran, dass ich schon viel zu lange nichts mehr gegessen hatte, deshalb entschloss ich mich, nach unten in die Küche zu gehen. Jetzt, wo ich wusste, dass ich keine Angst vor der Sonne haben musste, hatte ich auch kein komisches Gefühl dabei.

Doch die Suche nach einer Küche stellte sich schwerer raus, als ich es gedacht hatte. Die Villa war so riesig, dass ich fast schon die Befürchtung hatte, eine Karte zu brauchen. Sie war so verwinkelt, dass ich mehrere Räume öffnen musste und trotzdem nichts fand.

Genervt wollte ich die Suche fast schon aufgeben, als ich plötzlich ein Räuspern hinter mir vernahm und ich mich schnell umdrehte.

„Lillith, was machst du hier? Solltest du nicht schlafen?", fragte mich der alte Mann. Seine Brille hing ihm auf der Nase und in der Hand hielt er ein altes, vergilbtes Buch.

„I ... Ich ...", stotterte ich, doch ich konnte mich nicht konzentrieren. Der Hunger war inzwischen so groß, dass ich mich nicht mehr unter Kontrolle hatte. Ich hörte Acairs Herzschlag und bildete mir ein, dass ich seine Halsschlagader pulsieren sah. Wieder überkam mich der Rausch, den ich schon bei der Heimleitung gespürt hatte, doch dieses Mal viel intensiver.

Ich machte einen großen Schritt auf Acair zu und leckte mir leicht über die Lippen, als ich zum Sprung ansetzte. Doch kaum hatte ich ihn berührt, wurde ich durch die Luft geschleudert.

„Lillith, was soll das?", Acair sah mich wütend an, doch es war mir egal. Ich wollte nur sein Blut auf meiner Zunge spüren, deshalb versuchte ich wieder aufzustehen, aber etwas hielt mich am Boden fest. Verzweifelt schrie und wandte ich mich, doch ich bewegte mich kein Stück, dabei war mein Hunger so groß.

Plötzlich hielt Acair mir eine kleine Phiole mit Blut vor die Nase. Verwirrt blickte ich ihn an, wo hatte er das so schnell her bekommen?

„Trink", sagte er und hielt mir die geöffnete Flasche an die Lippen. Gierig sog ich den roten Saft aus der Flasche. Doch es schmeckte komisch, sodass ich angeekelt das Gesicht verzog, bevor ich fragte: „Was ist das?"

„Blut", murmelte er. Ich schüttelte stumm den Kopf, das war doch kein Blut. Es schmeckte abgestanden und nicht wie Blut schmecken sollte. Allerdings musste ich mir gestehen, dass es mir geholfen hatte. Mein Hunger war, zumindest fürs erste, gestillt und ich konnte wieder klar denken. Aber das berauschende Gefühl, zu erleben, wie einem Körper das Leben entwich, blieb aus.

Seufzend zog ich meine Beine an den Körper, als mir klar wurde, was ich wieder angestellt hatte. Fast hätte ich Acair getötet. Was war nur in letzter Zeit los mit mir?

Frustriert schlug ich mit der Faust auf den Boden.

„Mach dir keine Gedanken. Es ist ja nichts passiert", sagte Acair sanft und streckte mir seine Hand entgegen. Zögerlich nahm ich sie an, konnte er etwas Gedanken lesen?

Er schüttelte kurz den Kopf, bevor er mir erklärte, dass er das nur in speziellen Situationen konnte.

„Acair ...?", fragte ich zögerlich und spielte mit einer Haarsträhne, während wir zum Kaminzimmer gingen. Auch hier war es ziemlich sonnig, doch ich wusste ja, dass mir die Sonne nichts ausmachte, deshalb ging ich ohne zu zögern hinein. Acair schaute mich kurz etwas verwirrt an, lächelte aber dann und erwiderte: „Ja, was gibt es?"

Ich erzählte ihm alles, was mir gerade so im Kopf herumspukte. Die ganzen Fragen, warum ich einfach so zum Vampir geworden bin, dass ich immun gegen die Sonne war und auch von dem Buch erzählte ich ihm.

Doch alles was er dazu sagte, war, dass ich eben etwas Besonderes sei und dass ich das alles mit der Zeit herausfinden würde. Er ließ mich total frustriert zurück. Seine Antworten brachten mir gar nichts. 

Lillith (im Moment pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt