Ich denke nicht, dass Liv durch dieses »Es tut mir leid« unbeabsichtigt einen Mord gestanden hat. Für diese Tat wäre sie gar nicht imstande gewesen. So viel Kraft, um den Schädel von Jason Burne zu zerschmettern, hat sie nicht in ihrem Körper, da bin ich mir ganz sicher.
Sie hat genau den gleichen, zarten Körperbau wie ihre Mutter. Obwohl ich momentan dünner als die beiden bin. 

Ich sehe an mir herunter und stelle fest, wie abgemagert ich bin. Hauptsächlich bestehe ich nur noch aus Haut und Knochen. Meine Gefängniskleidung schlabbert an meinem Körper, aber ich habe meiner Figur nie wirklich Beachtung geschenkt hier drinnen. Und ich habe keine Ahnung, wieso ich ausgerechnet jetzt darüber nachdenke.

Schnell schiebe ich den Gedanken an die Seite. In meiner letzten Stunde bei Bewusstsein, muss ich nicht über meine Figur nachdenken. Stattdessen denke ich an Luke zurück, welcher als Einziger versprochen hat, zu meiner Hinrichtung zu kommen. Ein dumpfes Gefühl breitet sich in mir aus. Ich hätte dieses Wort nicht denken sollen. Sofort fühle ich mich unwohl, die Stille um mich herum erdrückt mich.

Die Dunkelheit zieht mich in ihren Bann, ich starre in die dunkle Ecke mir gegenüber. Mit jedem Atemzug, den ich nehme, komme ich meinem Tod ein Stück näher. Jeder Herzschlag bringt mich der Hinrichtung näher, die einzelnen Schläge sind gezählt. Wie ein Countdown, werden die verbliebenen Herzschläge immer weniger.

Meine Muskeln spannen sich an, als ich das Gefühl habe, die Wände rücken immer näher an mich heran. Immer schneller schieben sie sich vorwärts, immer rasanter fällt die Decke auf mich herunter. Ich kneife meine Augen zusammen und reiße sie wieder auf. In der Hoffnung, dass es aufhört. Aber das tut es nicht. Die Wände erreichen mich, sie zerquetschen meinen Körper. Die Decke erdrückt mich von oben mit ihrem Gewicht. Ich kann mich nicht mehr bewegen, nicht mehr atmen. Die Dunkelheit hält mich gefangen, die Schwere der Steinmauern um mich herum, begräbt mich unter sich.

Mein Herz überschlägt sich, ich höre meinen Puls in meinen Ohren rauschen. Durch den Sauerstoffmangel wird es immer langsamer, stolpert, bis es erneut wieder anfängt, in einem viel zu schnellen Tempo zu schlagen. Es soll aufhören. Dieses Gefühl soll aufhören.

Verzweifelt schreie ich auf, schlage mir die Hände vor das Gesicht, damit ich nichts mehr sehe. Damit diese Einbildung endlich aufhört, damit ich wieder klar denken kann. Die Wände stehen noch genau da, wo sie hingehören. Immer wieder rede ich mir diesen Satz ein, konzentriere mich darauf, regelmäßig zu atmen. Ich kann noch atmen, ich muss es nur tun. Ich muss meinen Verstand besiegen. Noch kann ich leben, noch können meine Lungen den Sauerstoff aufnehmen und er kann durch das fließende Blut in meinem Körper verteilt werden.
Ich darf mich nicht zu sehr in die Panik hineinsteigern.

Verkrampft löse ich meine Hände von meinem Gesicht. Ganz vorsichtig öffne ich die Augen. Die Wände sind wieder einige Meter von mir weggerückt. Die Panikattacke ist vorbei.

Erschöpft lege ich mich zusammengekauert auf das Bett. Ich schlinge meine Arme um meine Beine und mache mich so klein wie möglich. Am liebsten würde ich mich in Luft auflösen, einfach verschwinden. Diese ganze Scheiße, die mich gleich erwarten wird, überspringen. Aber das kann ich nicht, ich muss dadurch.

Mein Körper entspannt sich langsam. Die Sekunden verstreichen, werden zu Minuten, in denen ich einfach nur still daliege. Fast schon teilnahmslos sehe ich die Wand an. Mir sind die Hände gebunden, ich kann nichts mehr tun. Diese Erkenntnis gräbt sich immer weiter in mein Gehirn, lässt mich resignieren. Wie gerne würde ich noch weiterkämpfen, meine Unschuld beweisen und weiterleben. Aber ich weiß nicht wie. Ich habe keine Möglichkeiten, keine neuen Beweise, keine Aussagen, die mir helfen. Es ist zu spät. Das sollte ich einfach akzeptieren.

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Ich weiß nicht, wie lange ich, ohne mich zu Bewegen, auf der Seite gelegen habe. Anscheinend fast eine Stunde lang, denn ich höre, wie sich Schritte nähern. Sofort schellt mein Puls in die Höhe. Sie kommen, um mich zu holen. Jetzt gibt es wirklich keinen Ausweg mehr.

Sentenced - The last dayWhere stories live. Discover now