34. Kapitel

129 42 28
                                    

Mit gemischten Gefühlen nähere ich mich dem Besucherzimmer. 

Noch immer ist in meinem Kopf das reinste Chaos. Ich weiß nicht, was ich mit der neuen Information anfangen soll und wie ich sie am besten verwandle. Bisher ist es nur eine Vermutung, ich habe keine Bestätigung dafür erhalten.
Liv wird durch die Presse und Marinas Befragung schon genug unter Druck gesetzt. Deswegen halte ich erstmal meinen Mund und auch die neue Erkenntnis zurück, dass Liv die Finger mutmaßlich abgebissen hat.
Vielleicht gesteht sie diese Tat aufgrund der neuen Voraussetzungen durch die Presse und Marinas Wissen ja von selbst.

Daher habe ich entschieden, erst einmal den Besuch mit Claire hinter mich zu bringen, bevor ich weiter darüber nachdenke, was ich mache und wieso Liv mich weiterhin anlügt. Vielleicht kann sogar Claire mir die notwendigen Informationen liefern. Das ist gerade die einzige Hoffnung, die ich habe. 

Als ich das kleine Zimmer betrete, sitzt Claire bereits an dem kleinen Tisch in der Mitte des Raumes. Mit zusammengepressten Lippen sieht sie zu mir rüber, in ihren hellen, grünen Augen schimmern leichte Tränen. Sofort überkommt mich das Bedürfnis, sie in den Arm zu nehmen, aber ich unterdrücke es und setze mich stattdessen ihr gegenüber auf den freien Stuhl.

Claire sieht mich zögernd an, knetet ihre Finger durch. »Waltraud geht es gut«, sagt sie dann mit leiser Stimme. Ich nicke ein bisschen abwesend, da ich ebenfalls nicht weiß, wie ich das Gespräch in die gewünschte Richtung lenken kann. Ich möchte von ihr Antworten, ohne sie zu verschrecken, sodass sie gar nichts mehr sagt. Das kann doch eigentlich nicht so schwer sein. Aber es ist in diesem Moment verdammt schwer. 

Ich denke an die verbleibenden 15 Minuten, die uns nur noch bleiben und treffe eine Entscheidung. Ich werde nun keine Rücksicht mehr auf ihr Befinden nehmen, sondern muss mein eigenes Leben retten. Sollte es mir gelingen, kann ich später immer noch alles erklären und wieder in Ordnung bringen.

Entschlossen hebe ich meinen Blick von ihren Händen und sehe ihr direkt in die Augen. »Was weißt du wirklich über diese Mordnacht?«

Claire blinzelt perplex, ich kann sehen, wie sie sich versteift und leicht unwohl auf dem Stuhl herumrutscht. »Was? Wieso denkst du...?« Ihre Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern und sie senkt verunsichert ihren Blick. 

»Ich weiß, dass Liv mit Jason eine Affäre hatte. Sie war an diesem Abend bei ihm, sie war am Tatort. Und ich weiß, wer ihn erschlagen hat.«

Erschrocken sieht Claire wieder hoch und starrt mich fast schon fassungslos an. »Woher weißt du das?«

Skeptisch kneife ich meine Augen zusammen. »Ich weiß es einfach. Akzeptiere das. Aber dem Richter reicht es noch nicht, es fehlen die Beweise dafür. Du musst mir helfen.« Ich ärgere mich darüber, wie flehend meine eigene Stimme klingt. Dabei wollte ich stark wirken, ihr keine andere Wahl lassen, als mir die Wahrheit zu sagen. Und jetzt wimmere ich vor ihr herum, wie ein kleiner, verängstigter Welpe. 

»Ich...kann dir nicht helfen...Ich war nicht dort gewesen.« Sie stottert ausweichend. Entrüstet greife ich nach vorne und nach ihren Händen. Geschockt will sie ihre Hände wegziehen, aber ich halte sie fest umklammert und sehe ihr dabei durchdringend in die Augen. »Verdammt Claire, ich werde sterben! Ich muss alles wissen, was du weißt! Wieso lügst du mich an? Wieso lügt ihr mich alle an?!« Verzweifelt platzt alles aus mir heraus und ich reiße meinen Blick von ihr los, um nicht die Fassung zu verlieren.

Ihre Finger fühlen sich kalt und irgendwie fremd an und ich lasse sie wieder los, bevor noch ein Wärter hereinplatzt und diesen Besuch beendet, weil ich eine Gefährdung für meine Frau darstelle. Stattdessen starre ich die Wand rechts neben mir an und versuche, mich wieder zu konzentrieren. Aber ich bin so durcheinander, dass ich einfach nicht mehr weiter weiß.

Sentenced - The last dayWhere stories live. Discover now