8. Kapitel

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Entschlossen schiebt Marina den Stapel Akten, der zwischen uns auf dem Tisch liegt, an die Seite. Ihre Augen funkeln, als sie die oberste Akte mustert. Langsam greift sie mit der Hand nach ihr, lässt sie dann aber unschlüssig in der Luft hängen.

Sie scheint zu überlegen, wie sinnvoll es ist, in diesen Fall noch mehr Energie zu stecken. Ich an ihrer Stelle, würde aufhören nach einem Ausweg zu suchen. Zwar wünsche ich mir nichts sehnlicher, als heute nicht sterben zu müssen. Aber ich weiß, dass ich es nicht ändern kann.

Ich muss mich endgültig damit abfinden. Und das kann ich nicht, solange diese Akten existieren. Die vielleicht irgendwo versteckt doch noch einen Hinweis darüber enthalten, wer der wahre Mörder von Jason Burne ist.

Marina scheint im Gegensatz zu mir noch nicht aufgegeben zu haben. Sie schnappt sich die oberste Akte und legt sie zwischen uns. Schwungvoll klappt sie das Deckblatt weg. Ein wenig ratlos starren wir beide auf das Bild, das in Erscheinung tritt. Es ist das Bild des ermordeten Mannes.

Regungslos und mit einem leicht verdrehten Oberkörper liegt er mit dem Rücken auf dem Bordstein. Eine Blutlache hat sich um seinen Kopf ausgebreitet, ebenso um seine Hand, welche halb auf der Straße liegt. Die zwei abgetrennten Finger liegen nutzlos daneben. Sein Gesicht ist verunstaltet, die Lippe geschwollen, die Nase eingedrückt und gebrochen. Er sieht fürchterlich aus.

Eine Gänsehaut zieht sich über meinen Körper. Ich kann mich noch sehr genau daran erinnern, wie er in der Realität ausgesehen hat, als ich ihn gefunden habe. Der Geruch nach Eisen durch das verlorene Blut, der Gestank von Fäkalien, da er seine Schließmuskeln nicht mehr unter Kontrolle hatte. Es war ekelhaft gewesen. Und verdammt erschreckend, denn er lebte noch.

Marina tippt mit ihrem kleinen Finger auf das Bild.
»Unser Opfer. Jason Burne. 36 Jahre alt, geboren in Denver. Er hat keine nachvollziehbare Verbindung zu dir. Er war Handwerker, hat bei der Dachdeckerfirma Stölting gearbeitet, dort hat er auch schon seine Ausbildung gemacht. Es gab nie eine Beschwerde über ihn, was sein Chef vor Gericht bestätigt hat. Er war ein vorzeigbarer Mitarbeiter gewesen und ihm ist niemand eingefallen, der sich so brutal an ihm hätte rächen wollen.« Mit neutraler Stimme fasst sie die Informationen zusammen, die wir über den Mann haben.
Der Mann, der in gewisser Weise dafür gesorgt hat, dass ich nun hier sitze.

Marina blättert weiter. Auf dem nächsten Bild ist eine Eisenstange abgebildet, welche neben der Leiche auf dem Boden liegt. Blut klebt an ihr.

»Die Tatwaffe«, betitelt Marina das Bild. »Aufgefunden neben dem leblosen Opfer. Es sind deine Fingerabdrücke darauf vorhanden. Mit dieser Stange wurde dem Opfer der Schädel eingeschlagen. Durch zwei kräftige Schläge. Einer ging gegen die Stirn, was dazu führte, dass er auf dem Boden zusammenbrach. Der nächste Schlag traf seine Nase.
Sie brach, einzelne Knochensplitter drangen bis in sein Gehirn ein, was schließlich durch innere Blutungen und erhöhtem Hirndruck nach ein paar Minuten zum Tod führte. Der Ablauf dieser Tat wurde von einem Gerichtsmediziner anhand der zugefügten Verletzungen ermittelt, bestätigt und zu Protokoll gegeben.«

Sie blättert auf die nächste Seite. Die neue Kameraaufnahme zeigt die abgetrennten Finger. Ein Seufzen kommt über Marinas Lippen.
»Eine weitere Verletzung, die jedoch nichts mit dem eigentlichen Tod des Mannes zu tun hat. Die Finger wurden gewaltsam abgetrennt, es ist keine Tatwaffe dafür gefunden worden. Die Ränder an seiner Hand weisen deutliche Risse auf, was gegen ein Messer spricht. Dann wäre der Schnitt mit einer glatten Kante versehen.

Die Finger an sich sind leicht gequetscht, sonst aber unversehrt. Unter den Fingernägeln wurden keine Spuren gefunden, die auf einen Täter hinweisen können«, setzt sie ihre Analyse fort. Sie ist ganz damit beschäftigt, den Fall noch einmal durchzugehen. Noch ein letztes Mal alles zu benennen, in der Hoffnung, etwas zu finden. Das scheint bei diesem Bild der Fall zu sein, denn sie blättert nicht zur nächsten Seite um.

Sentenced - The last dayWhere stories live. Discover now