23. Kapitel

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»Steve!« Die weibliche Stimme ruft mich. Panik schwingt in ihr mit, was mich verwundert. Jemand klatscht gegen meine Wange, aber diese Berührung ist für mich so weit entfernt, dass ich sie gar nicht richtig realisiere.

Die Dunkelheit ergreift immer weiter von meinem Körper Besitz. Mit jeder Sekunde lasse ich mich tiefer hineinfallen, die Schreie von Sadie, die versucht, mich am Leben zu halten, rücken immer weiter in den Hintergrund.

Stattdessen konzentriere ich mich auf die Stimme, die mich aus der Dunkelheit zu sich ruft. Mein Herz zerspringt, so schmerzhaft vermisse ich diese Stimme. Sie klingt noch genauso kindlich wie damals und so vertraut, als hätte ich sie erst gestern das letzte Mal gehört. 

»Dad.« Immer leiser fleht sie, obwohl ich mich ihr immer weiter nähere. Schon bald ist sie nur noch ein entferntes Flüstern, obwohl mich die Dunkelheit fast vollständig in sich aufgesogen hat. Die Schmerzen in meinem Schädel sind zu einem entfernten Pochen geworden, genauso wie der Stich einer Nadel, den ich dumpf in meinem Arm wahrnehme. Kalte Flüssigkeit breitet sich in meinem Gewebe aus und reißt mich ein Stück weit aus der Dunkelheit heraus. 

Krampfhaft versuche ich, mich daran festzuhalten. Ich will nicht zurück in dieses grelle Licht des Lebens, in diesen Kampf um meine Unschuld, den ich sowieso verlieren werde.

Hier wirkt alles so friedlich, ruhig und endgültig. 

Die ganze Zeit habe ich angestrengt versucht, gegen den Tod anzukämpfen. Nun hat er mich in seinen Händen und ich genieße dieses Gefühl, endlich angekommen zu sein. Nicht mehr kämpfen zu müssen, nicht mehr enttäuscht zu werden. Sich einfach fallen zu lassen, nicht nachdenken zu müssen, sondern einfach alles aufzugeben. Die verschwendete Energie, die ich jede Sekunde aufgebracht habe, um für andere stark zu sein, endlich einzustellen und sich nur noch auf mich selbst konzentrieren. Mir den Frieden schenken, den ich verdient habe. Aufzugeben.

Ich stocke, werde einen weiteren großen Schritt in Richtung Licht geworfen. Sadies Stimme dringt immer weiter in mein Bewusstsein. Aufgeben. Dieses Wort führt dazu, dass mir die Dunkelheit langsam entgleitet. 

Es ist noch zu früh. So sehr ich mir auch wünsche, die Stimme meines Sohnes endlich zu erreichen, so sehr weiß ich, dass er immer auf mich warten wird. Mit jedem Schritt, den ich in seine Richtung gemacht habe, hat er sich weiter von mir entfernt. Es ist noch nicht so weit. Bestimmt wollte er mir das damit sagen. 

»Verdammt, Steve!« Laut klatschend knallt Sadies Hand erneut gegen meine Wange. Erstaunlich, dass ich heute schon zum zweiten Mal von einer Frau geschlagen werde. Aber auch diese Ohrfeige reißt mich nicht vollständig aus der Dunkelheit heraus. 

Denn jetzt spüre ich sie wie eine zähe Masse, die an meinem Körper klebt, mich immer wieder zurück nach unten zieht. Der Tod ist stark, er gibt mich nicht kampflos frei. Er ist leicht zu nehmen, aber gehen lässt er niemanden so schnell. 

Die Panik, welche aus Sadies Rufen zu mir dringt, springt auf mich über. Ich schaffe es nicht, meine Augen zu öffnen. Je weiter ich mich zurück ins Leben kämpfe, desto präsenter wird die Dunkelheit, desto stärker werden die Schmerzen. 

Erneut strömt diese kalte Flüssigkeit durch meinen Arm. Mein Herz überschlägt sich in meiner Brust, pumpt viel zu schnell, sodass Adrenalin durch meine Adern rauscht. Meine Atmung beschleunigt sich, meine Lider flattern, kleben aber immer noch zusammen. Angestrengt versuche ich, sie zu öffnen. Ich konzentriere mich vollkommen auf Sadies Stimme, die mir irgendwelche Flüche an den Kopf knallt. 

Sie leitet mir den Weg zurück aus dieser Dunkelheit. 

Plötzlich nehme ich einen sehr starken Schmerz auf meinem Brustkorb wahr. Keuchend fahre ich hoch und reiße meine Augen auf. Orientierungslos blicke ich mich um, kann durch die blendende Lampe direkt über mir kaum etwas erkennen und kneife meine Augen schmerzerfüllt wieder zusammen. 

Sentenced - The last dayWhere stories live. Discover now