Epilog

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Die Luft im Gerichtssaal ist stickig. Eine angespannte Stille hat sich über die anwesenden Personen ausgebreitet, jeder weiß, wie entscheidend die nächsten Minuten sein werden.
Das Urteil des Richters wird über Leben und Tod entscheiden. Über Schuld und Unschuld. Und in diesem Fall, auch über Lüge und Wahrheit.

Der Mann, dessen Anklage laut vorgelesen wird, sitzt neben seinem Verteidiger. Sein schwarzes, dichtes Haar trägt er kürzer als normalerweise. Auch der leichte Bart aus seinem Gesicht ist verschwunden. Er sieht abgemagert aus, seine Augen liegen tief in ihren Höhlen. Er weiß, was ihn erwarten wird. Er weiß, dass er schuldig ist. Er hat diese Tat begangen und wird nun die gerechte Strafe dafür erhalten. 

Er hat seine ganze Konzentration dem Richter geschenkt.

Jeder im Raum kann seine Anspannung sehen, seine verkrampfte Haltung, die Kleidung, die ihn von allen anderen abhebt, da diese nur in Gefängnissen von den Häftlingen getragen wird. Er ist anders als die anderen.

In vielen Augen ist er schuldig. Die Strafe, die ihm bevorsteht, ist für seine Tat gerechtfertigt. Andere aber sehen in ihm einen Helden, der große Opfer für seine Familie erbracht hat. 

Der Angeklagte spürt die Blicke seiner Familie in seinem Rücken. 
Sein Bruder, der vor einigen Jahren selbst auf diesem Stuhl hier saß. Er wurde zur Todesstrafe verurteilt, hatte einige Sekunden lang sogar wirklich sein Leben hergegeben, bis ihn die Wahrheit gerettet hat. Die Aussage eines anonymen Mannes, der den Angeklagten gesehen hat, wie er Jason Burne mit einer Eisenstange erschlagen hatte.

Nun sind alle Beweise vollständig. Es gibt die Aussage des Augenzeugen, die von Liv und Claire. Auch Steve, seinem Bruder, wurde nun endlich geglaubt, dass er das Opfer wirklich nur gefunden hatte. 

Auch die nicht vorhandenen Fingerabdrücke auf der Tatwaffe wurden geklärt. Dafür hat Luke selbst gesorgt. Er hat mit seinem Anwalt geredet und zusätzlich auch mit seinem Bruder. Er hatte keine Handschuhe dabei, sondern eine banale Plastiktüte. Vorher war er mit dem Hund seines Bruders spazieren und hatte diese Tüte dabei, um die Hinterlassenschaften des Hundes aufzuheben. Dass diese Tüte solch eine große Bedeutung in seinem weiteren Leben haben würde, hätte er sich niemals denken können. 

Er schämt sich für das, was er getan hat. Er war ein Feigling gewesen, ein Idiot. Das alles hier hätte verhindert werden können. Aber er selbst war so dumm gewesen und hatte sich hinter einer Lüge versteckt. Diese Lüge hat seinem Bruder das Leben gekostet. Nur durch die schnelle Reaktion der Gefängnisärztin, ist er wieder hier. Das wird Luke sich nie verzeihen.

Egal wie der Richter sich entscheiden wird, er hat diese Strafe verdient. Ob Todesstrafe, lebenslange Haft oder einige Jahre Gefängnis. Er stellt sich innerlich auf alles ein. 

Währenddessen greift Steve nach der klammen Hand seiner Frau. Seine Kleidung ist mit schwarzen Hundehaaren übersäht. Seit er nach all den Jahren endlich nach Hause zurückgekehrt ist, weicht ihm die alte Hündin Waltraud nicht mehr von der Seite. Sie hat endlich ihr Herrchen zurück und scheint jede Sekunde aufzuholen, die er nicht bei ihr war.

Auf der anderen Seite, neben ihm, sitzt seine Tochter. Sie hat sich an seine Schulter angelehnt. Endlich hat sie ihren Anker in ihrem Leben zurückerhalten. Die Person, der sie nun wieder alles anvertrauen kann. Ihren Vater, insgeheim ihrem Helden, der von den Toten wieder auferstanden ist. Sie hat ihn auf dieser Liege sterben sehen und hat ihn nun endlich wieder zurück. 

Eine Reihe hinter der Familie sitzt Sadie, die Gefängnisärztin. Sie war es gewesen, die Steve zurück ins Leben befördert hat. Sie arbeitet immer noch im Gefängnis, aber in einem anderen Bundesstaat. Dort sind Todesstrafen verboten.

Nie wieder möchte sie einen Menschen durch ihr Handeln bewusst töten. Sie hat alles dafür getan, um es so erträglich wie möglich für den zum Tode verurteilten zu machen. Gerne hätte sie eine bestimmte, neue Medikamentenkombination ausprobiert. Sie hat die Vermutung, damit etwas außergewöhnliches schaffen zu können. Aber auf Wunsch des Gefangenen hat sie es sein gelassen und mittlerweile all ihre Dokumente zerstört, die diese bestimmte Formel beschrieben haben. 

Eine weitere Person ist im Gerichtssaal anwesend, und zwar die ehemalige Anwältin von Steve. Sie sitzt mit ein bisschen Abstand zu ihrem ehemaligen Mandanten. Mittlerweile ist sie eine gefragte Anwältin. Sie ist bekannt für ihre rabiaten Methoden, aber auch dafür, niemals aufzugeben. Sie hat einen der bekanntesten Mordfälle Amerikas aufgeklärt. Sie hat das Leben ihres Mandanten gerettet, obwohl alles dagegensprach. So viel Respekt wie ihr, wird keiner anderen Person ihres Berufes entgegengebracht. 

Der Richter hat sein Urteil gefällt. Jeder in diesem Gerichtssaal hält die Luft an. Die einen aus Hoffnung, diesen Mann sicher im Gefängnis zu wissen, die anderen aus Trauer, diesen Mann zu verlieren.
Die Menschen sind gespalten, die Jury war es auch. Doch der Richter ist sich sicher, nun endlich die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Dieser Mordfall hat ihn fast seinen Job gekostet, aber er hat noch rechtzeitig gemerkt, dass er die falsche Person eines Mordes bezichtigt hatte. Nun hat er die Möglichkeit dazu, diesen Fehler wieder gut zu machen. 

Der Richter nimmt seinen Hammer in die Hand, der das Urteil besiegeln wird. Fest sieht er dem Angeklagten in die Augen. Dann kommen die Worte über seine Lippen, die den Angeklagten erstarren lassen. Der Richter verurteilt ihn nicht dazu, sterben zu müssen. Es ist eine andere, angemessene Bestrafung für den Totschlag, als welcher der Mord ab jetzt offiziell betitelt wird. 

Mit einem lauten Knall schlägt der Richter den Hammer auf den Tisch.
Der Fall ist beendet. Mit dem Knall ist es offiziell.
Der Angeklagte ist für schuldig befunden worden, er wird ins Gefängnis müssen.

Ein leises Raunen geht durch die anwesenden Menschen, während der verurteilte Mann leicht auf seinem Stuhl zusammensackt. Er hat es erwartet, seine Freiheit zu verlieren, aber es nun laut zu hören, reißt ihm dennoch den Boden unter den Füßen weg. Und es erinnert ihn gleichzeitig daran, dass er selbst seinem Bruder viel Schlimmeres angetan hat. Er sollte diese Strafe mit Würde absolvieren. Denn er hat sie verdient. 

Der Richter hat die richtige Entscheidung getroffen, alle Tatsachen dafür konnten ihm rechtzeitig bewiesen werden. Der offiziell Verurteilte ist kein Mörder, es war Totschlag gewesen, weil er seine Nichte retten wollte. 

In den Augen mancher Menschen ist er daher ein Held, in anderen ein Versager, weil er seinen Bruder opfern wollte, um sein eigenes Leben zu retten. Die Bevölkerung ist gespalten. Dieser Fall wird noch lange in aller Munde sein.

Da ist sich auch der Mann sicher, der in der hintersten Reihe des Gerichtsaals sitzt. Er hat diesen Fall immer in den Medien verfolgt, aber nicht aus persönlichem Interesse, sondern eher, weil ihn jeder automatisch verfolgt hat. Nun aber hat er einen engen Bezug zu diesem Fall. 

Denn genau um 12:00 Uhr des Tages, an dem Steve Hampton hingerichtet wurde, ist in seinem Forschungslabor etwas Seltsames passiert. Eine Maschine hat sich selbstständig gemacht und eine gewaltige Explosion verursacht. Der grelle Blitz hat bis heute dafür gesorgt, dass er auf einem Auge nicht mehr gut sieht. 

Dieser Moment bereitet ihm bis heute Gänsehaut. Niemand kann sich erklären, was der Auslöser dieser Explosion war. Was für Folgen sie hinterlassen hat.

Der grelle Blitz war in der gesamten Stadt zu sehen gewesen, hat kurzzeitig jegliche Elektronik lahmgelegt. 

Und wer weiß, was er noch angerichtet hat...

ENDE

Sentenced - The last dayWhere stories live. Discover now