29. Kapitel

120 43 12
                                    

Angestrengt versuche ich, meine Augen geöffnet zu lassen. Meine Lider fühlen sich schwer wie Blei an und ich nehme nur ganz am Rande meines Bewusstseins wahr, wie Sadie sich um meine blutige Hand kümmert.

Ich weiß nicht, wie lange ich bereits in ihrem Arztzimmer sitze, aber sie hat noch kein einziges Wort mit mir gewechselt, sondern starrt nur konzentriert auf meine Verletzung. Ein bewaffneter Wärter ist mit im Raum und behält jede meiner Bewegungen im Auge. Scheinbar rechnet er damit, dass ich jederzeit erneut ausrasten und die Kontrolle verlieren würde.

Aber was auch immer Sadie mir gegeben hat, führt dazu, dass ich einfach nur müde werde. Meine Gedanken sind wie in Watte gepackt, immer wieder fallen mir die Augen zu. Ich bin seltsam ruhig, obwohl ich gerade noch am hyperventilieren war. Diese verdammte Tablette, kapselt mich völlig von der Realität ab. 

Nur verschwommen nehme ich wahr, wie Sadie mit meiner Hand fertig ist und mir die Manschette um den anderen Arm bindet, um meinen Blutdruck zu messen. »90/60«, seufzt sie, als sie damit fertig ist. 

Ich nehme zur Kenntnis, dass dieser Wert um einiges niedriger ist, als in der vorherigen Version dieses Tages. »Die Tablette scheint sehr gut zu wirken...vielleicht hätte eine halbe auch gereicht.« Sie überlegt und mustert mich. Konzentriert versuche ich meine Augen geöffnet zu halten, auch wenn die Müdigkeit mich bereits wieder droht zu übermannen. 

»Es tut mir leid, so sehr wollte ich dich nicht abschießen«, flüstert Sadie leise, sodass ich kurz überlege, ob ich es mir nur eingebildet habe. Ich öffne meinen Mund, um etwas zu erwidern, aber meine Muskeln gehorchen mir nicht. Erst, als sie sich einem Klemmbrett zugewandt hat, öffnen sich meine Lippen und da habe ich es schon wieder aufgegeben, etwas dazu zu sagen. Ich schließe meinen Mund wieder und sehe sie abwartend aus halb geschlossenen Augen an.

All meine Sorgen und Gedanken, ob Marina noch kommen wird, wirken so weit entfernt. Dabei weiß ich insgeheim, dass sie gerade mein größtes Problem sein sollten. Die einzige Sache, mit der ich mich noch beschäftigen sollte. Aber ich kann nicht. Ich kann keinen einzigen klaren Gedanken fassen.

Mit den verstreichenden Minuten wird mir bewusst, dass ich in diesem Zustand absolut nichts mehr ausrichten werde. Ich kann nichts verändern, nicht mehr kämpfen. Ich bin handlungsunfähig.

Und das alles nur, weil ich die Kontrolle verloren habe. Wäre ich in meiner Zelle ruhig geblieben, dann hätte ich nicht diese Tablette bekommen. Aber nun ist es zu spät. 

Sie ist in meinem Organismus und ihre Wirkung wird vermutlich so lange anhalten, dass ich selbst die Hinrichtung nur in diesem seltsamen Zustand erleben werde. Was natürlich gar nicht so schlecht ist.

Dazu soll es jedoch gar nicht erst kommen, so war zumindest mein ursprünglicher Plan. Warum muss denn nur alles schief gehen?

Teilnahmslos sehe ich Sadie dabei zu, wie sie ihre Liste ausfüllt und mir dabei die Wirkung der einzelnen Medikamente erklärt, die sie mir bei meiner Hinrichtung spritzen wird. Ich höre ihr nicht wirklich zu, immerhin kenne ich diese ja bereits. 

Stattdessen versuche ich krampfhaft, mein eigenes Gehirn wieder zum Arbeiten zu bekommen. 
Eigentlich habe ich jetzt sowieso nichts mehr in der Hand, ich bin auf die anderen angewiesen. Auf den Richter, auf Marina und auf meine Familie, die mich mit einer Aussage retten könnte. Vor allem Luke. 

Ich selbst sitze nur hier drin herum und warte darauf, dass sie mich in dieses Zimmer bringen, in dem ich sterben muss. In dieser restlichen Zeit kann ich mit niemandem mehr reden, ich habe alles gesagt, was ich weiß. Also sollte es mich eigentlich gar nicht stören, in diesem schläfrigen Zustand hier zu sitzen. Mich verlässt trotzdem nicht dieses Gefühl, meine letzten Minuten zu verschenken. 

Sentenced - The last dayWhere stories live. Discover now