36. Kapitel

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Ich habe alles versaut.

Diese Tatsache wird mir immer deutlicher bewusst, während ich in meiner Zelle auf die Einkerbungen in der Wand starre.

Müde sitze ich mit angezogenen Beinen auf meinem Bett und kann nichts anderes tun, als dumm vor mich hinzustarren.

Meine Vermutung hat sich bestätigt, ich habe keinen weiteren Besuch mehr bekommen. Weder Liv noch Luke wollen noch mit mir reden. Oder vielleicht können sie es auch nicht, weil die Polizei ihre Aussagen zu Protokoll nimmt. Ich weiß es nicht, aber es beunruhigt mich.

Diese Verabschiedungen waren so ein wesentlicher Bestandteil dieses Tages, dass es sich irgendwie unecht und falsch anfühlt, wenn sie nicht stattfinden.

Aber eigentlich sollte das gut sein. Denn es bedeutet, dass ich es geschafft habe, wirklich etwas zu verändern. Dieser Tag nimmt einen anderen Verlauf als die davor. Und anders kann ich nicht aus diesem ewigen Kreislauf zwischen Leben und Tod ausbrechen.

Es muss anders werden, damit diese Hinrichtung nicht stattfindet. Aber bisher steht sie mir immer noch bevor. Es kam noch niemand vorbei, der mir das Gegenteil verkündet hat. Marina ist beschäftigt, ich habe sie nur nochmal kurz über das Gefängnistelefon erreichen können, um ihr meine Information über Liv mitzuteilen, dass ich denke, dass sie Jason die Finger abgebissen hat. Marina hat mir versprochen, Liv nochmal darauf anzusprechen, da sie es in ihrem Gespräch natürlich erneut nicht erwähnt hat.

Vielleicht traut sie sich ja jetzt endlich, wie Claire, die Wahrheit zu sagen, wo Luke sie nicht mehr erpressen kann.

Zwischendurch sehe ich immer wieder nervös in Richtung Tür. Ich weiß nicht, wie viel Uhr es mittlerweile ist, in dieser Zelle ziehen sich die einzelnen Sekunden wie Stunden. Aber wahrscheinlich sitze ich hier nun auch schon eine Stunde tatenlos rum. Ich kann aber auch nichts mehr machen, außer zu warten.

Und zu hoffen, nicht meine Familie von mir gestoßen zu haben. Ich weiß, wie labil Liv war. Vielleicht sagt sie auch gar nicht aus, weil sie doch noch vor irgendwas Angst hat. Aber eigentlich ist sie nun frei, Luke kann sie nicht mehr erpressen. Claire muss es schaffen, sie dazu zu bekommen, endlich der Polizei die Wahrheit zu sagen. Und der Richter muss sich all diese Aussagen ansehen und zu diesem Fall zulassen. Sonst war alles umsonst.

Verbittert atme ich tief durch. Wenn diese neuen Informationen wirklich vom Gericht abgelehnt werden, dann ist diese gesamte Situation hoffnungslos. Dann soll es nicht anders sein. Dann tun die anderen alles dafür, um in mir weiterhin den Schuldigen zu sehen.

Mehr als ihnen den wahren Mörder zu zeigen, kann ich nicht. Mehr ist nicht möglich und dieser Gedanke deprimiert mich.

Hier so tatenlos herumsitzen zu müssen, macht mich wahnsinnig.

Müde schließe ich meine Augen. Ich versuche, mich halbwegs zu entspannen. Trotzdem kann ich nicht verhindern, bei jedem noch so kleinen Geräusch zusammenzuzucken, welches durch meine Zellentür dringt. Denn jedes Mal könnte es meine Anwältin sein, die gute Neuigkeiten für mich hat. Aber jedes Mal entfernen sich die Schritte wieder, ohne dass etwas passiert.

Ich werde immer resignierter und gebe die Hoffnung schon fast auf, dass doch noch etwas passiert. Dann aber endlich höre ich, wie ein Schlüsselbund klimpert. Sofort sitze ich senkrecht im Bett, mein Herz überschlägt sich in meiner Brust und ich sehe mit großen Augen zur Tür.

Ich male mir aus, was Marina mir sagen könnte. Dass die Anklage gegen mich fallen gelassen wurde. Oder wenigstens mehr Zeit eingeräumt wurde, um die neuen Beweise zu sichern und abzuklären. Dass die Hinrichtung nicht heute stattfindet und ich diesen gottverdammten Tag endlich überlebe.

Sentenced - The last dayWhere stories live. Discover now