13. Kapitel

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Das Quietschen der sich öffnenden Tür lässt uns zusammenfahren. Sadie entzieht mir ihre Hand und rutscht auf ihrem Hocker ein Stück nach hinten, während der junge, blonde Wärter uns fragend ansieht. Noch bevor er seinen Mund vollständig öffnen kann, um etwas zu sagen, erhebt sich Sadie von ihrem Hocker.

»Wir sind fertig«, beantwortet sie die unausgesprochene Frage des Wärters, denn dieser nickt. Mit einer Handbewegung gibt er mir zu verstehen, dass ich ebenfalls aufstehen soll. Ich tue dies und lege meine Hände bereitwillig auf den Rücken, damit er mir die Handschellen wieder anlegen kann. Er tut es deutlich vorsichtiger als sein Kollege, ich spüre keine Schmerzen, was natürlich auch an dem Verband liegen kann.

»Bis später«, sagt Sadie zur Verabschiedung. Stockend nicke ich und lasse mich von dem Wärter nach draußen auf den Flur führen. Irgendwie wäre ich gerne noch länger bei ihr geblieben, aber ich habe auch Verständnis dafür, dass sie mich irgendwann wieder zurück in meine Zelle bringen. Ich bin nicht Sadies einziger Patient in diesem Gefängnis.

Sehr zu meiner Erleichterung, hält der Wärter seinen Mund und bringt mich einfach schweigend zurück zu meiner Zelle. Der Weg geht viel zu schnell, ehe ich es realisieren kann, wird meine Tür geöffnet und ich blicke in den dunklen, kleinen, aber vertrauten Raum hinein. Der Raum, den ich die letzten Jahre mein Zuhause nennen konnte. Der Raum, den ich nun zum letzten Mal betreten werde.

Mit einem Klicken öffnen sich die Handschellen und ich ziehe meine Arme wieder nach vorne. Fast schon aus Gewohnheit, reibe ich mir über die Handgelenke, auch wenn diese absolut nicht wund sind. Es fühlt sich einfach nur gut an, meine Hände wieder frei bewegen zu können.

»In einer Stunde wirst du abgeholt«, teilt mir der Wärter sachlich mit, während er mich in das Innere der Zelle schiebt. Mit einem lauten Knall schließt er die Tür hinter mir, sodass ich zusammenzucke. Sein Schlüssel klirrt, während er ordentlich abschließt. Das Nächste was ich höre, ist wie sich seine Schritte entfernen. Ich bin allein. Das erste Mal seit heute Morgen, bin ich wieder ganz allein.

Langsam gehe ich zu meinem Bett herüber. Die alte Matratze gibt unter meinem Gewicht nach, als ich mich daraufsetze. Ich rutsche nach hinten, bis ich mit dem Rücken gegen die kalte Wand stoße. Ich lehne mich dagegen und ziehe meine Beine nah an meinen Körper.
Eine Stunde. Mir bleibt noch genau eine Stunde zu leben.

Vor meinem inneren Auge sehe ich eine Uhr, welche langsam heruntertickt. Unerbittlich dreht sich der Zeiger weiter, er lässt sich durch nichts aufhalten. Ich bin hier drinnen handlungsunfähig, kann nichts dagegen tun.

Die einzigen zwei Personen, die mein Leben noch retten können, sind Marina und der wahre Mörder. Aber auch ihnen rennt die Zeit davon. Der wahre Mörder hat sich jahrelang im Verborgenen gehalten, er wird sich also nicht in der letzten Stunde zu erkennen geben. Und Marina müsste ein wahres Wunder vollbringen, um eben diesen Menschen noch innerhalb einer Stunde ausfindig zu machen. Der Zeiger tickt unaufhaltsam weiter. Ihr wird es nicht gelingen, da bin ich mir ganz sicher.

Ich lasse die Treffen mit meiner Familie Revue passieren. Erneut trifft mich ein unangenehmer Schmerz, als ich an die Zurückweisung meiner Frau Claire denke, welche sich nicht mehr von mir anfassen lassen wollte. Es hat einige kostbare Minuten gedauert, bis sie mich wieder an sich herangelassen hat. Irgendwie habe ich mir das letzte Treffen mit meiner Frau anders vorgestellt. Allgemein habe ich mir von diesen Treffen mehr versprochen und zu viel erwartet. 

Vielleicht habe ich auch etwas übersehen, eine Aussage nicht verstanden, falsch gedeutet. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich ein komisches Gefühl habe, wenn ich an diese Treffen zurückdenke.

Nach Claire kam das Gespräch mit Liv, welches mich durch ihren letzten Satz völlig aus der Bahn geworfen hat. Noch immer weiß ich nicht genau, was sie meinte. Aber Marina versucht es gerade in diesem Moment herauszufinden. 

Sentenced - The last dayWhere stories live. Discover now