1. Kapitel

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Laut schlägt jemand etwas gegen die Tür. Das Metall erzittert unter dem Schlag. Der Schall wird von den Wänden wiedergegeben, es dauert einige Sekunden, bis er ganz aus der Zelle verschwindet.

Diese paar Sekunden führen dazu, dass ich senkrecht in meinem Bett sitze. Mir schlägt das Herz bis zum Hals, meine Hände zittern, sodass ich sie fest um das Gestell des Bettes klammere.

Ein zweites Mal knallt der Schlüssel des Wärters draußen gegen die Tür. Der Schall klingelt in meinen Ohren und ich presse die Augen zusammen.

»Aufstehen Hampton! Heute ist dein großer Tag!« Die Stimme des Wärters trieft vor Spott.
In mir zieht sich alles zusammen. Panik erfasst mich und ich reiße meine Augen wieder auf. Doch um mich herum bleibt es dunkel. Nur ganz langsam gewöhnen sich meine Augen an das schummrige Licht, welches aus einem kleinen Belüftungsloch zu mir hereinscheint.

Ganz am Rande meines Bewusstseins nehme ich wahr, wie sich die Schritte des Wärters wieder entfernen. Langsam drehe ich meinen Kopf zu der dicken Metalltür. Durch eine Klappe bekomme ich bald mein Frühstück gereicht. Aber schon bei dem Gedanken daran, etwas essen zu müssen, dreht sich mir der Magen um.

Ich reiße meinen Blick von der Tür, welche mich von den anderen Gefangenen trennt, los. Schon seit Wochen sitze ich hier in diesem dunklen Loch in Isolationshaft. Und nicht zum ersten Mal frage ich mich, was schlimmer ist.
Im Gefängnis zu sitzen und auf die eigene Hinrichtung zu warten, oder alleine im Gefängnis zu sitzen und auf den Tag zu warten, an dem man umgebracht wird.

Ich finde, beides ist schlimm. Die Wärter sehen in mir einen brutalen Mörder, deswegen lassen sie mich nicht zu den Anderen. Am Anfang war ich oben in einer normalen Zelle. Doch je weiter das Verfahren gegen mich fortschritt, desto mehr isolierten sie mich von den Anderen. So, als ob ich hier drinnen eine große Gefahr für sie wäre.

Das Alleinesein führt dazu, dass man langsam verrückt wird. Ich sehe kaum einen anderen Menschen. Die einzigen Personen, die mit mir reden, sind die Wärter und der Besuch, den ich manchmal bekomme.

Aber immer nur für 15 Minuten. Nicht länger. Selbst diese paar Minuten hat sich meine Anwältin hart für mich erkämpft. Eigentlich darf ich noch nicht einmal Besuch haben. Aber da ich mich hier im Gefängnis immer gut benommen habe und nie auffällig geworden bin, haben sie mir diese 15 Minuten Besuchszeit erlaubt.

Nachdenklich starre ich die Wand an, die sich ein paar Meter vor meiner Nase befindet. Ich habe schon lange keinen Besuch mehr bekommen. Bestimmt schon seit mindestens einer Woche nicht. Wenn nicht sogar schon länger.

Hier verschwimmen die Tage. Sie werden zu einer grauen Masse, kein Tag hebt sich so richtig von dem anderen ab.

Aber der heutige Tag ist anders. Denn heute ist der Tag, den ich immer versucht habe zu verdrängen. Ich wollte es nicht wahrhaben, dass ich wirklich sterben könnte, dass wirklich niemand rechtzeitig Beweise finden würde, um mich zu entlasten.
In mir keimte immer die schwache Hoffnung, dass ich gerettet werden würde. Aber diese Hoffnung zerbröselt mir nun zwischen den Fingern, wie die Zeit, die mir noch zum Leben bleibt.

Heute Nachmittag ist meine Hinrichtung. Das halbe Land freut sich wahrscheinlich, dass ich endlich das Zeitliche segne. Nur kennt es die Wahrheit nicht. Ich habe nichts schlimmes getan. Ich bin unschuldig.

Wütend ballt sich meine Hand zur Faust. Warum sind die Menschen so blind? Warum sehen und glauben sie nur das, was ihnen vorgespielt wird? Warum denken sie nicht einfach einmal selbst nach?

Durch die Medien werden die Menschen kontrolliert. Durch sie erfahren sie, was in der Welt geschieht. Was gerade wichtig ist, was angesagt ist und was niemanden interessiert. Nur ein einziger Artikel kann das Leben von einem Menschen zerstören. Wenn dieser Mensch falsch dargestellt wird, ihm niemand glaubt und alle nur noch die Person in ihm sehen, welche die Medien ihnen vorspielen.

Sentenced - The last dayWhere stories live. Discover now