12. Kapitel

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Schluchzend hole ich Luft und ärgere mich über die Geräusche, die ich dabei von mir gebe. Nur stoßweise füllen sich meine Lungenflügel wieder mit frischer Luft, was leichte Panik in mir auslöst. Für Sekundenbruchteile fühlt es sich an, als ob ich ersticken würde. 

Ich kneife meine Augen zusammen und versuche, mich langsam wieder zu beruhigen. Angestrengt konzentriere ich mich darauf, trotz des Engegefühls in meiner Brust, gleichmäßig zu atmen. Im gleichen Takt, wie der Sekundenzeiger einer Uhr hier im Raum schlägt, versuche ich meine Lungenflügel wieder mit Luft zu füllen.

Durch den schnellen Rhythmus habe ich das Gefühl, dass genug Luft in meine Lungen dringt. Nach einigen Minuten habe ich mich so weit beruhigt, dass ich einige Sekunden für einen Atemzug brauche. Mein Herzschlag beruhigt sich, die Panik verlässt meinen Körper und macht einer unglaublichen Leere Platz. Einem Gefühl, das beängstigend ist, aber mich heute nicht zum ersten Mal heimsucht.

Neben mir nehme ich ein zupfendes Geräusch wahr und hebe meinen Kopf von Sadies Schulter. Peinlich berührt nehme ich das Taschentuch entgegen, das sie mir hinhält. Es scheint sie nicht gestört zu haben, dass ich mich wie ein kleiner Junge bei ihr ausgeheult habe, aber mir ist es nun dennoch sehr unangenehm.

Leicht drehe ich meinen Kopf zur Seite und schnäuze mir geräuschvoll die Nase. "»Es tut mir leid.«" Sofort schiebe ich eine Entschuldigung hinterher, als mir auffällt, dass ich das auch hätte leiser erledigen können.

»Du musst dich nicht entschuldigen«, sagt Sadie mit ruhiger Stimme und ich sehe sie vorsichtig wieder an. Meine Gesichtshaut glüht, das spüre ich an der Hitze in meinem Kopf. Ich bin mir nur nicht sicher, ob es von meiner Heulattacke stammt oder davon, dass ich mich gerade total vor ihr schäme.

»Trotzdem... Ich weiß auch nicht, das passiert mir schon den ganzen Tag.« Ich zerknülle das Taschentuch zu einem kleinen Ball. Sadies große Augen liegen aufmerksam auf mir. Sie verurteilt mich nicht für mein schreckliches Benehmen oder Aussehen, sondern motiviert mich mit ihrem Blick eher dazu, weiterzusprechen. Und ohne richtig drüber nachzudenken, kommen die nächsten Worte über meine Lippen.

»Ich habe heute so viel geweint, wie noch nie zuvor. Selbst vor meiner Familie. Ständig, immer wieder rutsche ich in diese Verzweiflung hinein und schaffe es nicht, wieder da rauszukommen. Kurzzeitig gelingt es mir und durch das nächste Ereignis oder einem Satz, den jemand sagt, bin ich wieder in diesem Loch gefangen.« Ich seufze und fahre mir mit einer Hand durch die Haare. 

»Ich bin wie in einem Hamsterrad gefangen. Ich komme nicht hinaus und jeder Versuch, daraus zu fliehen, treibt mich nur tiefer dort hinein. Lässt mich schneller werden und die Aussicht darauf, dass es aufhört, wird immer geringer und unwahrscheinlicher.« Ich plappere unbefangen weiter und presse schnell meine Lippen zusammen, bevor ich noch mehr Blödsinn von mir gebe. Aber Sadie scheint zu verstehen, was ich ihr sagen möchte. Der Druck ihrer Hand auf meinem Knie nimmt kurzzeitig zu.

»Dabei kann dir niemand helfen. Nur du allein kannst es schaffen, aus diesem Rad auszubrechen.«

Langsam nickend nehme ich ihre Worte zur Kenntnis, auch wenn sich mir der Sinn dahinter nicht wirklich erschließt. Denn eine entscheidende Sache wird nicht berücksichtigt: Ich kann nicht ausbrechen. Ich habe keine Möglichkeit mehr, dem nahenden Tod zu entkommen.

Sadie mustert mich und langsam verändert sich ihr Gesichtsausdruck. Ihre Lippen werden schmaler, ihre Augen trauriger, bis sie den Blickkontakt nicht mehr halten kann und neben mir auf den Boden sieht. Verwirrt runzle ich meine Stirn.

»Ich... Ich weiß nicht, ob du es schon weißt oder dir vielleicht denken kannst...« Langsam hebt sie wieder ihren Blick. Fast schon entschuldigend sieht sie mir in die Augen. »Ich werde es heute Nachmittag sein, die dich umbringt. Ich werde dir die Medikamente geben, ich werde daneben stehen und nicht eingreifen dürfen. Du wirst durch meine Hand sterben«, bricht es aus ihr heraus. Die Bedeutung ihrer Worte fühlt sich wie eine Ohrfeige an, die mein Gehirn einmal komplett durcheinander würfelt. Eine eisige Kälte zieht sich über meine Gliedmaßen, kriecht über meine Arme, meinen Oberkörper bis hin zu meinem Herz und hält dieses fest umschlossen.

Sentenced - The last dayWhere stories live. Discover now