18. Kapitel

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Schneller als erwartet bleibt Connor mit mir vor einer der geschlossenen Türen der Besucherräume stehen. Owen, der wartend davorsteht, öffnet die Tür und tritt einladend einen Schritt zur Seite. 

»Du hast 15 Minuten«, teilt mir Connor die Information mit, welche ich mittlerweile schon in- und auswendig kenne. Diese verdammte Viertelstunde pro Person, die dazu ausreichen muss, einen Mörder ausfindig zu machen. 

Ungeduldig schiebt er mich durch die geöffnete Tür und ich bleibe wie angewurzelt stehen, als ich Claire erblicke. Sie sieht mich blass und mit großen Augen an, ihre Wangen wirken eingefallen. Sie sieht grausam aus, aber das ist mir egal. 

Sie ist meine Frau, sie ist einfach perfekt, egal wie fertig sie aussieht. Vor meinem inneren Auge verwandelt sich ihr Aussehen in das von unserer Hochzeit. Damals trug sie ihre braunen, lockigen Haare etwas länger und hatte aus diesen eine kunstvolle Hochsteckfrisur gezaubert. Sie trug nur dezent Schminke, dafür aber ein atemberaubend schönes, weißes Kleid. So umwerfend wie an diesem Tag sah sie selten aus. Aber ich liebte sie an jedem anderen Tag, in Jogginghose und mit unordentlichem Dutt auf dem Kopf, genauso wie in diesem Moment, als ich sie das erste Mal im Hochzeitskleid erblickte. 

Mein Kopf ist leergefegt. Ganz dumpf kann ich mich daran erinnern, dass mein ursprünglicher Plan daraus bestand, aus ihr mehr Informationen herauszubekommen. Von ihr zu erfahren, was meine Familie mit dem Mord zu tun hat. 

Aber jetzt, wo sie wirklich erneut vor mir sitzt, kann ich das nicht. Zu verzweifelt habe ich mir gewünscht, sie noch einmal sehen zu können, sie noch einmal in den Arm zu nehmen. In den letzten Augenblicken vor meinem Tod, wollte ich einfach nur bei ihr sein. Und nun habe ich die Möglichkeit dazu. 

Ich vergesse, was ich ursprünglich tun wollte und überwinde die paar Meter Abstand zwischen uns. Claire blinzelt erstaunt, als ich dicht neben ihr stehen bleibe. Fast schon abwehrend beugt sie ihren Oberkörper nach hinten, blickt mich dabei flehend an. 
»Steve...ich...« setzt sie an, aber ich ignoriere sie. Ich weiß, was sie mir sagen möchte. Nämlich, dass sie in einigen Stunden sowieso alleine ist und nun lernen muss, damit klarzukommen. Aber sie vergisst dabei den wichtigen Teil, dass ich nur noch jetzt da bin. Und nur jetzt können wir uns gegenseitig Halt geben und uns in dieser schwierigen Situation stützen. 

Ohne auf ihren Widerstand zu achten, schlinge ich meine Arme um sie. Spüre, wie sich ihr schlanker, zerbrechlich wirkender Körper versteift und sie versucht, mich mit ihrer Hand wegzustoßen. Aber ich gebe nicht nach, ich halte sie weiter fest, bis sie aufgibt und ihre Arme um meinen Nacken schlingt. Ihre Anspannung fällt von ihr ab, sie hängt regungslos in meinem Arm, das Gesicht an meine Brust gedrückt. 

Beruhigend drücke ich sie weiter an mich, genieße dieses Gefühl, sie einfach festhalten zu können. Ihr unverkennbarer Geruch steigt in meine Nase. Von der einen auf die andere Sekunde fühle ich mich sicher und auch geborgen. Für diesen Augenblick kann ich die gesamte Situation ausblenden. 

Mein Herzschlag beruhigt sich, auch meine Muskeln entspannen sich. Mir wird erst jetzt bewusst, wie angespannt auch ich die letzten Momente war. Jetzt fällt alles von mir ab, ich breche unter dieser Last zusammen.

Kraftlos sacke ich herunter auf meine Knie und halte die Luft an, weil ein ziehender Schmerz durch meine Beine schießt. Ich halte mich an Claire fest, um nicht ganz umzukippen. Diese löst sich erschrocken von mir und starrt mich besorgt an. 

»Was ist los?«, fragt sie fast schon tonlos, als sie in mein tränenüberströmtes Gesicht blickt. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich angefangen habe zu weinen. Claire rutscht von ihrem Stuhl runter und kniet sich ebenfalls auf den kalten Boden, um mit mir auf einer Augenhöhe zu sein. Sanft spüre ich, wie sie ihre kalten Hände auf meine Wangen legt. Ich schließe meine Augen und konzentriere mich darauf, ruhiger zu atmen. 

Sentenced - The last dayWhere stories live. Discover now