kapitel vierunddreizig' kein böses blut

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—VIERUNDDREIZIG
KEIN BÖSES BLUT

Wahrscheinlich hatten sich die Mädels den Start in London komplett anders vorgestellt. Höchstwahrscheinlich sogar sehr weit weg von einem kulturellen Museum, das nicht sehr viel mit der britischen Kultur zutun hatte. Aber da ich praktisch darum gebettelt hatte und Gründe nannte, die für einen Besuch sprachen, konnten sie mir meinen Wunsch kaum abschlagen und begleiteten mich an unserem offiziell ersten Tag in England ins British Museum. Das Interesse für die Kultur war bei ihnen nur zur Hälfte vorhanden und schafften es insgesamt eine Stunde durchzuhalten, was echt lobenswert war. Während sie sich die ideale Location für ihr neues Bild auf Instagram suchten, lief ich gemeinsam mit Julie durch das Museum und sahen uns einige Stücke an.

»Ich versteh' echt nicht, wie du darauf abfahren kannst.«, murmelte sie verständnislos in meine Richtung und sah zu dem Gemälde hoch, dass sich uns präsentierte. So sehr ich verschiedene Kulturen und ihre Geschichte liebte, konnte ich das Gemälde niemandem und keiner bestimmten Zeit zu ordnen. »Nein, im Ernst. Wie kannst du dich für Dinge begeistern, die über hunderttausend Jahre vor deiner Zeit passiert sind? Sogar vor Christus!«, fragte sie mich und stupste mich an.

»Es passiert einfach.«, zuckte ich mit meinen Schultern und wusste nicht, wie ich es ihr anders erklären sollte. »Ich kann es dir echt nicht erklären, aber es ist so. Ereignisse zu merken und zu wissen, in welcher Zeit sie passiert sind, scheint wohl mein Ding zu sein.«, lachte ich leicht und erntete von ihr ein Augenrollen. »Ich liebe Geschichte einfach, okay?«

»Deine Liebe zu Geschichte und Kultur ist kaum zu übersehen.«, erwiderte sie direkt und blieb neben mir stehen. »Ich möchte dich echt ungern aus deiner Bubble holen, aber–«

»Dann tu' es nicht.«, unterbrach ich sie.

Plötzlich griff sie nach meinem Arm und zerrte mich praktisch hinter eine große Pflanze, um uns beide dahinter zu verstecken. Völlig verwirrt entriss ich mich ihrem Griff und wollte sofort wissen, warum sie mich brutal hinter eine Pflanze zerren musste und mich dabei, höchstwahrscheinlich versehentlich, kniff. Doch bevor ich meinen Mund öffnen konnte, kam sie mir zuvor: »Flipp jetzt nicht aus.«

»Warum sollte ich jetzt ausflippen?«, entgegnete ich ihr und verstand nicht, was sie von mir wollte. Ihr Blick glitt öfter zur Seite und ließ mich echt fragen, was mit ihr los war. Tatsächlich hätte ich so eine Aktion von Tinka erwartet, die alles überdramatisierte und wahrscheinlich irgendjemanden mit irgendeiner bekannten Person verwechselte. Bei Julie machte ich mir tatsächlich Gedanken darüber, ob sie jemanden zu Gesicht bekommen hatte, den wir beide kannten. »Wen hast du gesehen?«, fragte ich sie im nächsten Atemzug und folgte ihrem Blick, der auf einer Gruppe von Jungen lag. »Willst du mich verarschen?«

»Schau genau hin!«, zischte sie mich an und wied mich darauf hin, mir die Gruppe genauer anzuschauen. Es dauerte ein bisschen bis ich unter ihnen ein bekanntes Gesicht entdeckte und mir mein Herz vor Schreck aus der Brust drohte zu fallen. Kaum hatte ich das erste Gesicht wieder in Erinnerung gehabt, erinnerte ich mich wieder an den Rest und wollte am liebsten wieder los. »Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie zufällig hier sind? Nicht gerade hoch, oder?«, fragte sie mich und deutete indirekt damit an, dass dahinter irgendeiner stecken musste. Im besten Fall Magda, der Julie sowieso nicht trauen konnte.

»Verschwinden wir.«, sagte ich zu ihr und wollte ihre Aufmerksamkeit nicht auf uns ziehen, weshalb wir uns langsam zurückzogen und nur das Weite von ihnen suchten. Zu unserem Pech lief Julie direkt in jemanden herein, der bis gerade noch der Gruppe gefehlt hatte.

Es machte nun kein Sinn mehr sich still und heimlich aus dem Staub zu machen.

»Er hat echt nicht halluziniert.«, kam es zuerst von seinem besten Freund, bevor der Genannte sich ebenfalls umdrehte und uns sah. »Und ich dachte schon, ich müsste ihn einweisen.«, scherzte er herum und schien nicht mehr im Sinn gehabt zu haben, dass der Kontakt zwischen uns so kaum wie gar nicht mehr existierte. »Willst du uns einfach nur anschauen, Aïssa? Geht man so etwa mit alten Freunden um, Julie?«

»Dafür müsste man erst einmal miteinander befreundet gewesen sein, um sich selbst einen alten Freund nennen zu können.«, konterte Julie und griff nach meiner Hand. »Es wär gelogen, wenn ich nun behaupte, dass es schön war euch wieder gesehen zu haben. Daher ciao.«, sagte sie schnell und versuchte uns zwischen den beiden Typen durchzuschieben. 

»Erstens, autsch! Zweitens, wohin wollt ihr so schnell? Nach all den Jahren sehen wir uns wieder in London und ihr wollt so schnell verschwinden? Wo bleibt da die Freundlichkeit alten Freunden gegenüber? Und ich bin mir sicher, dass wir beide mehr als nur alte Freunde sind.«, ließ er den größten Macho aus sich heraus und erinnerte mich wieder daran, warum genau ich mich nur selten mit ihm verstanden hatte. »Hat die Katze dir die Zunge geklaut, Aïssa, oder hat dein Freund dir verboten mit Jungs zu sprechen?«, scherzte er herum, was mir kein bisschen gefiel.

»Chill, Marius.«,  meldete sich Maxi zu Wort und räusperte sich anschließend. »Sorry, aber er ist heute mit dem falschen Bein–«

»Erzähl's deinem Hund.«, unterbrach Julie ihn und zerrte mich von beiden Jungs weg. Direkt machten wir uns auf die Suche nach Tinka und dem Rest, um hier endlich verschwinden zu können. Leider war das Museum so groß, dass die Suche etwas mehr Zeit in Anspruch nahm und wir die kleine Gruppe erreichten, nachdem sie Tinka und den Rest entdeckt hatten. »Wie Zecken seid ihr.«, hörte Julie leicht hörbar und stöhnte auf. »Kürzen wir das hier ab. Hast du was damit zutun? Falls ja–«

»Ich hab nichts damit zutun!«

»Is' klar. Und ich bin der Papst.«, verdrehte sie ihre Augen. »Warum sonst sind die hier?«

»Meine Großeltern leben noch hier.«, entgegenete Maxi und sprach ohne direkt von Julie angesprochen geworden zu sein. »Und wir beide haben schon lange keinen Kontakt mehr. Genau gesagt, seitdem dein Vater meinen Alten wegen einem Deal über den Tisch gezogen hat!«, erzählte er und erwähnte eine Sache, die bisher noch niemand gewusst hatte. »Aber ich bin nicht mein Vater und es gibt kein böses Blut.«, hob er seine beiden Hände schützend vor sich und überzeugte mich in irgendeiner Art nicht ganz. Jedoch erkannte man an Magdas Blick, dass sie tatsächlich nichts mit der Sache zutun hatte und von seinem Auftauchen mehr als überrascht war.

Ob ich dem Schauspiel glauben schenken sollte?

»Mein Vater soll deinen über'n Tisch gezogen haben? Was kann meiner dafür, dass deiner sich nicht den vollständigen Vertrag durchliest und... Ich möchte mich in die Sache Null einmischen, da ich keine Ahnung von dem ganzen Geschäftsquatsch habe.«, unterbrach sie sich selbst und schüttelte ihren Kopf. »Dich hier zu sehen hab' ich nun echt nicht erwartet.«

»Dito.«, erwiderte er und schaute mich an. »Zweimal in einem Monat in den wohl unerwartetsten Orten der Welt. Schicksal?«, grinste er und wackelte mit seinen Augenbrauen.

»Zufall.«, fand ich meine Stimme ihm gegenüber zurück und mied seine Blicke, da sie recht unangenehm waren. »Wie Julie vorhin sagte; Es wär gelogen, wenn ich nun behaupte, dass es schön war euch wieder gesehen zu haben. Daher geht jeder seinen Weg und wenn der Zufall wieder eingreifen möchte, sehen wir uns in Deutschland wieder.«, räusperte ich mich.

»So schnell wollt ihr uns loswerden?«, fragte einer seiner Freunde, der sich nichts anders verhielt als vorhin Marius oder zum Teil auch Maxi. Eine Gruppe von Machos. Und unter ihnen war Maxi wohl der Einzige, der noch irgendwo in sich eine charmante Art hatte.

Die mir mehr als nur egal sein konnte.

»Ihr seid eine Gruppe und wir sind eine Gruppe? Warum nicht die Gruppe zusammentun und gemeinsam London erkunden? Maxi kennt jede Ecke hier und bestimmt auch Orte, die ein Post auf Instagram würdig sind.«, entgenete Marius schnell. »Nur heute, danach seid ihr uns eh los.«

𝐩𝐫𝐢𝐯𝐚𝐭𝐞 𝐛𝐮𝐭 𝐧𝐨𝐭 𝐚 𝐬𝐞𝐜𝐫𝐞𝐭 ⌁ florian wirtz Where stories live. Discover now