Kapitel 2

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Madelyn

„Ist sie wach?" Ich weiß nicht, zu wem die Stimme gehört, die ich als erstes wahrnehme, als ich aufwache. Codys ist es definitiv nicht. „Nein, sie ist auch erst gegen vier eingeschlafen." Das ist Cody.
„Weckt sie doch einfach, sie wird schon nicht sterben, wenn sie statt zehn Stunden nur acht schläft." Wenn der Schlag auf meinen Kopf mich nicht komplett verwirrt hat, nehme ich jetzt sogar eine dritte, ziemlich genervt klingende Stimme wahr. Es sind also drei Männer mit mir in diesem Haus. Das ist dann vermutlich der, der mich im Wald gefunden haben soll.
Also wenn der immer so drauf ist, wie seine Stimme sich gerade anhört wundert es mich auch nicht mehr, dass er mitten in der Nacht im Wald rumrennt.
Ist es eine gute Idee einfach aufzustehen, die Tür zu öffnen und anzukündigen, dass ich jetzt wach bin und mich auf den Weg nachhause machen werde? Wohl eher nicht. Zuerst muss ich noch in Erfahrung bringen, was gestern wirklich passiert ist. Es kann nicht sein, dass ich einfach zusammengeschlagen und im Wald gefunden werde aber niemand mitbekommt, wer es war und was genau passiert ist. Sorgt sich eigentlich niemand um mich? Wo zur Hölle ist mein Handy?
Als ich aufstehe und die Tür öffnen will, kommt mir jemand zuvor. Jemand, an den ich mich nur grob erinnern kann. Es ist der Typ, der da war als ich aufgewacht bin. Ich glaube sein Name war Caden. Im Tageslicht sieht er sogar noch besser aus, jetzt erkenne ich erst, was für schöne Augen er hat. Sie glänzen blau und harmonieren ziemlich gut mit seinem markanten Gesicht und den perfekt liegenden blonden Haaren. Er trägt ein weißes Hemd und eine graue Chino, als hätte er gleich ein wichtiges Meeting oder sowas. Nicht, dass ich wüsste, was man zu so einem Anlass trägt, aber so stelle ich es mir auf jeden Fall vor. Er blickt an mir herunter und schmunzelt. Auch ich kann mir das Schmunzeln nicht verkneifen, als ich merke, dass ich noch immer mein Kleid trage.
„Bist du denn wirklich so wenig Gentleman, dass du der Kleinen nicht mal was zum Anziehen anbieten kannst, Cody?" Dieselbe Stimme, die vorhin gesagt hat, sie sollen mich doch einfach wecken. Diesmal klingt sie jedoch weniger genervt, eher spöttisch. Nun treten auch Cody und der Unbekannte ein, die scheinbar die ganze Zeit hinter dem schweigenden Caden standen, und beobachtet haben, wie ich ihn analysiere. Cody sieht in seiner Jogginghose und mit den zerzausten Haaren sehr müde aus, während der Unbekannte neben ihm, vermutlich Trevor, recht Fit aussieht. Seine dunklen Haare fallen ihm locker ins Gesicht und seine braunen Augen strahlen Wärme aus. Seinen Tattoos an den Armen nach zu urteilen, ist er der typische Bad Boy unter ihnen. „Sorry", sagt Cody kleinlaut, mit einem Hauch von Scham auf den Wangen.
„Möchtest du etwas essen oder trinken?", wendet Caden sich nun an mich und hört somit endlich auf, die vielen Blutflecken auf meinem Kleid zu mustern. Ich schüttle bloß den Kopf, obwohl mein Magen praktisch nach Essen und mein Hals nach Wasser schreit. „Ich würde gerne duschen und etwas anderes anziehen.", murmle ich.
„Jetzt hat Madame auch noch Extrawünsche. Sollen wir dir vielleicht noch einen Schön, dass du zusammengeschlagen wurdest und wir dich jetzt am Hals haben – Kuchen backen?" „Trevor!" Caden ermahnt ihn mit einem Ellenbogenstoß in die Seite. Trevor hingegen verdreht nur die Augen und verlässt das Zimmer.
„Mach dir nichts draus, er ist immer so." Caden lächelt und schickt damit tausend walzertanzende Schmetterlinge in meinen Bauch.
„Natürlich kannst du duschen. Cody zeigt dir das Bad und ich hole dir sofort Handtücher und frische Kleidung, danach kannst du etwas essen." Er marschiert allein los, Cody führt mich aus dem Zimmer heraus und zeigt auf die gegenüberliegende Tür. Zum ersten Mal, seit ich hier bin verlasse ich sein Schlafzimmer und schaue mich um. Neben der Tür führt eine lange Treppe nach unten, die Wände sind in einem edlen Grauton gehalten, scheinbar haben sie Ahnung von Inneneinrichtung. Auf dieser Etage befinden sich drei weitere Zimmer, wahrscheinlich die Schlafzimmer der anderen beiden und eine Abstellkammer oder sowas. Als ich das Badezimmer betrete, fallen mir beinahe die Augen aus dem Kopf. Es ist riesig. Eine geflieste Wand trennt die Regendusche vom Rest des Badezimmers und ein riesiger Spiegel prangt über dem noch riesigeren Waschbecken, welches man auch glatt als Badewanne für ein Baby oder einen kleinen Hund verwenden könnte.

Eine lange und entspannende Dusche ist es nicht geworden, da meine Wunden bei jeder Berührung des Wassers anfingen, wie Feuer zu brennen. Außerdem lässt die Tatsache, dass ich keine Ahnung habe, wo ich bin, mich nicht zur Ruhe kommen. Handtücher und neue Klamotten wollte Caden mir in Codys Zimmer legen, allerdings kann ich ja schlecht nackt und komplett nass durch den Flur laufen. Es ist mir sowieso schon peinlich genug, dass mich einer von ihnen gestern im Wald aufgesammelt, der andere mich beim Schlafen beobachtet und meine Wunden versorgt und irgendeiner von ihnen mich ins Bett gelegt hat, da müssen sie mich nicht auch noch nackt sehen.
An der gefliesten Wand neben der Tür sind vier goldene Kleiderhaken befestigt, von denen der erste und der dritte leer sind. An den anderen drei Haken hängen schwarze Bademäntel, dessen Besitzer höchstwahrscheinlich meine Retter der letzten Nacht sind. In einem der Bademäntel, welcher mir bis zu den Zehenspitzen reicht, eingewickelt verlasse ich das Badezimmer und gehe, so schnell wie nur möglich, damit mich bloß keiner in diesem Bademantel sieht, zurück in das Zimmer, indem ich vorhin aufgewacht bin. Es sieht aus wie vorher. Caden scheint noch auf dem Weg zu sein, um mir neue Klamotten und Handtücher zu holen, wobei ich die Handtücher jetzt sowieso nicht mehr gebrauchen kann. Auf dem Boden unter mir hat sich bereits eine Pfütze gebildet und auf dem Laminat im Flur zeichnen sich meine nassen Fußabdrücke ab.
Niemals hätte ich gedacht mich jemals so zu freuen, wieder nachhause zu gehen, wie jetzt gerade. Ich war nur eine Nacht weg, aber es fühlt sich an, als wären es fünf gewesen. Meine Verletzungen schmerzen immer noch und ich bekomme jetzt schon Panik davor, meinem Onkel zu erklären, wo ich war und weshalb ich nicht nachhause gekommen bin. Ein kleiner Stich zieht durch mein Herz, als ich wieder an Jacob denke. Ich muss mich bei ihm entschuldigen, ich hätte niemals auch nur darüber nachdenken dürfen, mich von ihm zu trennen. Wenn er wüsste, dass ich mit Cody in einem Zimmer und zwei weiteren fremden Männern in einem Haus geschlafen habe, von denen mich einer aus dem Wald getragen und der andere meine Wunden versorgt hat, wäre er sicher derjenige, der über eine Trennung nachdenken würde.
Ein lautes Türknallen und Hundegebell unterbrechen meine Gedanken, mein Herz beginnt wie auf Knopfdruck zu rasen. Seit ich denken kann habe ich panische Angst vor Hunden. Bevor meine Mutter damals ins Gefängnis kam, hatten wir selbst einen. Ein riesiger Rottweiler namens Sam, welcher ausschließlich auf Mom und Onkel Harold gehört hat. Es hat ihnen Spaß gemacht, mich mit ihm zu bedrohen und mir Angst zu machen.
In der Zeit, in der Mom schon im Gefängnis saß, wurde Sam immer aggressiver und Harold begann, die Drohungen wahr zu machen. Dem Arzt erzählte er jedes Mal, ich hätte den Hund so lange provoziert, bis er aggressiv wurde und mich gebissen hat. Irgendwann hat er ihn dann einfach im Wald ausgesetzt, weil er selbst auch nicht mehr mit ihm umgehen konnte und seine Zeit lieber anderweitig verbracht hat. Meine Hoffnung, dass dieser Hund, dessen Bellen allein Panik in mir hervorruft, genau da bleibt, wo er gerade reingekommen ist, platzt in dem Moment, als sich die Tür öffnet.
Zwei schwarze Hunde, ein kleiner und ein großer, stürmen bellend ins Schlafzimmer, in welchem ich mich vor Angst in die engste Ecke kauere. Welche Rasse es ist kann ich nicht genau sagen, dafür reichen meine letzten verbliebenen Gehirnzellen nicht aus aber sie sehen so aus, als könnte ein Biss mein Ende bedeuten.
Ein schrilles Pfeifen beendet das Bellen, schneidet gefühlt einen Riss in mein Trommelfell. „Sitz!", ruft eine tiefe Stimme aus dem Flur, dessen Besitzer kurz danach ebenfalls den Raum betritt. Immer noch in der Ecke kauernd starre ich abwechselnd die vor dem Bett sitzenden Hunde und den brünetten, gottähnlichen Mann an, welcher mich nur schief angrinst. „Schicker Bademantel, hab zufällig den selben." Sein Zwinkern, nachdem er den Satz ausgesprochen hat, lässt mich beinahe schmelzen und ich spüre wie mir das Blut in meine Wangen fließt. Im nächsten Atemzug werde ich allerdings wieder kreidebleich, als mir auffällt, dass es wohl doch vier Männer in diesem Haus gibt. Er zeigt auf die Stelle, an der mein Herz mir beinahe rausspringt. Erst jetzt bemerke ich, dass genau dort zwei Buchstaben in weißer Schrift aufgestickt wurden. D.C. „Dylan Carter, der Besitzer des Bademantels. Und du bist?"
„Madelyn", murmle ich, ohne ihm in diese eisblauen Augen zu schauen, welche mir eine Gänsehaut bereiten, wenn ich nur an sie denke.

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