kapitel 9 - dominic

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DOMINIC

Zweitausend Dollar.

Es ist nicht genug, aber es ist zumindest etwas. Ich zähle die letzten Scheine, die auf dem Tisch verteilt sind, ehe ich beginne, sie zu stapeln.

„Und?" fragt Chase, der auf der Couch versunken ist und die geröteten Augen geschlossen hat. Er hält einen Joint in der Hand, der sanft qualmt, und atmet langsam aus.

„Nicht genug. Zweitausend."

„Dann wird es wohl Zeit für ein paar andere Mittel, hm? Du könntest dich prostituieren. Die Mädels würden bestimmt ne Menge Geld für dich zahlen." Sagt Jackson unbekümmert und grinst, woraufhin Chase leise lacht.

„Nicht nur die Mädels, Son. Aber nicht, solange er so aussieht." Er wirft mir einen matten Blick zu und ich spüre das Pochen in meiner Nase, den Schmerz, der sich bis über mein blaues Auge zieht.

Ich nehme ihm den Joint weg und er schaut mich böse an, doch ich brauche einen Zug. Der Rauch erfüllt meine Lungen und ich atme tief ein, spüre wie sich meine Muskeln lockern und der Schmerz in den Hintergrund rückt. Die drückende Panik, die mich schon mein Leben lang begleitet, verblasst kurzzeitig.

„Ich habe eine bessere Idee."

Chase sieht jetzt schon wenig begeistert aus, doch Jackson schaut mich interessiert an.

„Hau raus, was hast du vor?"

„Einen Einbruch."

Kurz ist es still im Raum, dann fängt Jackson an zu lachen und Chase stöhnt, während er sich das Gesicht reibt.

„Ich kann nicht mehr mit euch." Brummt er und rollt sich auf die Seite, um mich und mein blaues Gesicht nicht länger ansehen zu müssen.

„Nichts Neues." Sagt Jackson, ehe er sich mir zuwendet. „Was genau schwebt dir vor?"

„Wir brechen ein, holen Geld oder wertvolle Gegenstände und verschwinden wieder." Antworte ich ruhig und er zieht die Augenbrauen hoch.

„Klingt etwas zu simpel, meinst du nicht?" brummt Chase von der Couch, aber ich habe den besonderen Teil meines Plans noch gar nicht erläutert.

„Wir nehmen Leah mit."

„Was?"

Ein Grinsen verzieht meine Lippen, während sich langsam eine Idee in meinem Kopf formt.

„Sie ist unser Schutz."

„Was meinst du? Der Zwerg ist gerade mal einen halben Meter groß. Ich glaube nicht, dass sie uns schützen kann. Es sei denn, sie beißt unseren Angreifern in die Kniekehlen." Sagt Jackson und lacht leise über seinen eigenen Witz. Ich schüttele ungeduldig den Kopf. Die beiden verstehen nicht schnell genug, worauf ich hinauswill. Nicht mal Chases hochbegabtes Hirn scheint mir zu folgen, also fahre ich fort.

„Wenn wir erwischt werden, schicken wir sie vor. Jeder kennt sie als das brave reiche Mädchen der Kingsteens, also wird niemand damit rechnen, dass sie mit uns involviert ist. Und schon gar nicht, dass sie versucht, jemanden auszurauben. Sie ist so lieb, dass sie sich problemlos aus allem rausreden kann."

„Okay, ich sehe die Vision." Sagt Jackson schließlich und nickt langsam, während ich den Rest des Geldes sortiere und in Stapeln ansammle.

„Ich nicht." Erwidert Chase trocken, doch ich ignoriere ihn und seine schwache Begeisterung. Ich weiß, dass ich verzweifelt bin, aber ich werde alles tun, um an das Geld zu kommen. Okay, vielleicht nicht alles, ein paar Ausnahmen gibt es noch. Aber wenige. Viel zu wenige.

„Das könnte wirklich funktionieren, Chase. Leah ist so harmlos, niemand würde sie verdächtigen." Entgegnet Jackson, den ich mehr begeistern konnte, als ich erwartet hatte.

„Lass dich nicht immer von Dom anstiften, Son. Der Typ hat ein psychisches Problem."

Ich grinse. Möglich. Trotzdem ist die Idee gut.

„Apropos. Ich hatte Leah irgendwie schlimmer in Erinnerung, oder geht es nur mir so? Irgendwie war sie... wütender. Wie ein Giftzwerg." Sagt Jackson da. „Sie ist wirklich harmlos."

Ist sie das? Ist sie ungefährlich, wenn sie seit gestern ständig in meinem Kopf herumschwirrt, wenn eine einfache Umarmung dafür sorgt, dass sie mich vollkommen aus dem Konzept bringt? Nein, nichts an ihr ist harmlos, denn auch heute noch spüre ich ihren zitternden Körper an meinem, habe ihren Duft in der Nase, als stände sie hinter mir, spüre ihre Hände um meinen Körper gewickelt, wie sie sich an mich presst und sich an mir festhält.

Aber ich glaube nicht, dass ich sie nach gestern wiedersehen werde. Zum Glück. Ich weiß nicht mal, warum ich die Arme nach ihr ausgestreckt und sie an mich gezogen habe. Es war ein Reflex, den ich noch nie zuvor empfunden habe. Ich umarme keine Leute, was zur Hölle? Ich habe noch nie jemanden umarmt. Und noch nie hat jemand seine Arme um mich gelegt. Es hat sich seltsam angefühlt. Ich wusste nicht, wie es geht, und dann war es doch so leicht, als hätte ich mein Leben lang nichts anderes getan.

Aber in meiner Vergangenheit gibt es keine Liebe, keine Zuneigung, und schon gar keine körperliche.

Die einzige Person, zu der ich auch nur ansatzweise eine Beziehung hatte, habe ich ausgelöscht.

Und das ist meine Schuld.

Ruckartig stehe ich auf, nehme einen letzten Zug von Chases Joint und gehe zur Tür.

„Was machst du?" fragt er, aber ich habe keine Lust Fragen zu beantworten, also entgegne ich „deine Mutter" und verschwinde.

„Bastard." Murmelt er und zeigt mir halbherzig den Mittelfinger, doch ich bin schon zur Tür raus. Normalerweise machen wir keine Witze über Chases Mutter, denn nachdem sie ihren Krebs überwunden hat, ist das irgendwie nicht mehr angebracht. Aber manchmal macht der Junge mich so wahnsinnig, dass ich gar nicht anders kann.

Ich gehe die Treppe zu meinem kleinen Apartment hinauf, betrete das Badezimmer und blicke mich für einen Moment im Spiegel an. Gut, vermutlich würde momentan wirklich niemand für Sex mit mir zahlen. Nicht, dass ich das in Erwägung ziehen würde. Meine Nase ist noch immer geschwollen und blau, ein wenig schief und der Bluterguss zieht sich bis zu meinem linken Auge. Ich sehe aus wie ein Schwerverbrecher.

Was ich auch bin, um fair zu sein. Ich habe Dinge getan, für die ich ins Gefängnis sollte. Ich wünschte, ich wäre verurteilt worden. Eigentlich sollte ich gar nicht mehr atmen und trotzdem stehe ich hier.

Das Blut in meinen Adern ist plötzlich kochend heiß. Ich wünschte, ich könnte meinen Kopf für einen Moment abschalten, die Gedanken ausblenden. Vielleicht ist es endlich still, wenn ich ihn mit aller Kraft gegen die Wand schlage.

Aber ich halte mich zurück. Stattdessen atme ich tief durch und beginne, den gebrochenen Knochen wieder in seine normale Position zu rücken. Ich atme scharf ein, der Schmerz ist so stark, dass meine Augen tränen. Aber ich habe das schon zwei Mal gemacht. Es funktioniert und das Gras macht die Sache erträglicher. Ich habe kein Geld für einen Arzt und alleine geht's auch. Ich brauche keine Hilfe.

Ich bemühe mich, ruhig weiter zu atmen. Neues Blut fließt über meine Lippe, tropft ins Waschbecken, während ich weiter drücke, fokussiert und unaufhaltsam. Ich verdiene diesen Schmerz. Es fühlt sich gut an, zu bezahlen. Es ist eine Erleichterung, zumindest für wenige Sekunden. Beinahe bin ich froh, dass der Schrank seinen Job getan hat. Sonst müsste ich ihn selbst erledigen.

„Ah, fuck." Ich keuche, wische mir die schwarzen Haare aus der Stirn und begutachte mein Werk. Die Nase sitzt wieder gerade, meine Augen sind wieder fokussiert. Ich spucke Blut ins Waschbecken, ehe ich einen Schluck Wasser nehme. Der brennende Drang in meinem Körper ist verklungen, ich kann wieder atmen. Nicht lang, aber lang genug.

Ich bin wieder alleine.

Ein Schmunzeln verzieht meine Lippen, während ich das frische Blut aus meinem Gesicht wische.

Chase hat Recht.

Ich habe definitiv ein Problem.

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