kapitel 6 - leah

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LEAH

Ich sitze am Esstisch und es ist still im Haus. Es ist bereits dunkel, meine Eltern schlafen schon und ich habe das untere Stockwerk für einen kurzen Moment für mich allein. Die Verletzungen vom Vortag sind noch immer deutlich zu spüren, doch mein pastellgelbes Kleid verdeckt das dunkelblaue Hämatom an meinem Rücken. Den dunklen Schatten unter meinem Auge habe ich mit Makeup abgedeckt. Wenn ich meine blauen Flecken nicht verdecke, wird er wütend.

Ich mache mir ein Müsli und als ich eine Schale aus dem völlig intakten Glasschrank nehme, gegen den ich gestern geschleudert wurde, finde ich einen kleinen Splitter in der Schüssel, den er übersehen hat.

Ich drehe ihn in der Hand, bis er in meinen Finger schneidet und ein winziger Blutstropfen hervortritt.

Er kann neues Geschirr kaufen, die Scheiben ersetzen und so tun, als wäre nichts passiert. Doch die Scherben bleiben. Sie stecken tief in meiner Haut und auch wenn niemand sie zu Gesicht bekommt- ich weiß, dass sie da sind.

Plötzlich vibriert mein Handy und ich zucke zusammen. Es ist Dominic, der mir eine Nachricht geschickt hat.

Ich hole dich in 15 Minuten ab. Zieh was Schwarzes an.

Irritiert runzele ich die Stirn. Es ist halb zwölf. Was hat er vor?

Ich habe nichts Schwarzes, schreibe ich zurück, doch er liest die Nachricht nicht mehr. Mist.

Auf einmal bin ich nervös. Was meint er, er holt mich ab? Mit welchem Auto? Und wohin?

Zieh etwas schwarzes an. Ich blicke an meinem gelben Kleid herunter und hätte beinahe gelacht. Aber ich habe wirklich nichts Schwarzes. Ich trage nie dunkle Kleidung, meine Eltern wollen, dass ich hellere Dinge anziehe, wegen der Farbpsychologie. Sie haben wirklich an alles gedacht.

Oh nein- meine Eltern! Was auch immer er vorhat, er darf nicht zu nah an unser Haus kommen, bevor die Überwachungskameras ihn aufnehmen. Ich habe keine Zeit zu verlieren. Sofort schleiche ich in mein Zimmer und lege meine Bettdecke über ein paar Kissen, um zumindest oberflächlich den Anschein zu erwecken, in meinem Bett zu liegen, falls jemand nachschaut.

Ich kann nicht mit ihm mitkommen, aber ich muss ihn aufhalten, bevor er bei meinem Haus aufkreuzt. Woher weiß er überhaupt, wo ich wohne? Egal. Keine Zeit.

Hastig gehe ich die Treppe wieder herunter, so leise und so schnell wie möglich, ehe ich meine weißen Sneaker anziehe.

Ich habe keine Zeit, mir eine Jacke zu holen. Schnell greife ich eine kleine Tasche und meine Schlüssel, dann verlasse ich das Haus und schließe geräuschlos die Tür.

Statt den Garten zu durchqueren und einfach auf die Straße zu gehen, biege ich nach rechts ab, gehe an ein paar Bäumen und Büschen vorbei und klettere anschließend über die niedrige Mauer, die unser Grundstück umgibt.

Es ist verrückt, was ich hier tue. Aber es ist auch die einzige Möglichkeit, nicht von den Kameras aufgenommen zu werden.

Ich habe mich noch nie nachts aus dem Haus geschlichen und bisher stand das auch nicht auf meiner To Do Liste.

Mein Herz rast und meine Hände sind klamm. Wenn sie mich erwischen, will ich mir gar nicht vorstellen, was passiert.

Aber ich habe keine andere Wahl, denn ich kann genauso wenig erklären, warum Dominic Ashford mitten in der Nacht vor unserer Haustür auftaucht und auf mich wartet.

Also renne ich auf die völlig menschenleere Straße und warte. Mein schwerer Atem ist das einzige Geräusch in der Dunkelheit und kurz frage ich mich, ob er sich einen Scherz erlaubt hat und gar nicht kommt.

ANTITHESISWhere stories live. Discover now