31- Das Beste für das Volk

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Um sie herum war es dunkel, alles schwankte. Dumpfe Stimmen drangen an ihr Ohr, doch sie konnte die Worte nicht unterscheiden. Hustend wegen dem Wasser in ihrer Lunge zwang sie sich, die Augen zu öffnen. Akira trug sie in gleichmäßigen Bewegungen zum Ufer. Um sie herum war es nun gleißend hell. Das Licht schmerzte in ihren Augen und sie brauchte einige Sekunden, damit sie wieder klar sehen konnte. Ihre Sicht schwankte, weshalb sie sich vorsichtshalber auf Akiras Hals abstützte. Sie tätschelte das Kelpie dankbar. Der Kampf am Ufer war vorüber. Keine Wiedergänger waren mehr zu sehen. Als Thara empörte Schreie hörte, drehte sie sich nach links. Die rothaarige Gestalt schlug um sich, doch Marei konnte nichts gegen ihre vier eigenen Wachen tun, die nun ihre Hände auf dem Rücken zusammenbanden und sie abführten. Thara wurde aus ihrer Benommenheit gerissen, als Akira ihre bunten Flossen gegen Beine und die schillernden Schuppen gegen das schwarze Fell eintauschte und die letzten Schritte durch das Wasser watete. Thara klammerte sich in ihre Mähne, da sie befürchtete, sofort von ihrem Rücken zu rutschen, sobald sie aus dem Wasser waren. Doch da streckte sich eine Hand neben ihr aus, welche sie sofort ergriff und sich von ihr ans Ufer legen ließ. Erst jetzt sah sie in das Gesicht ihres Helfers.

"Ist mir immer wieder eine Freude, Euch aus dem Wasser zu ziehen." Elrohir deutete eine Verbeugung an und Thara erwiderte sein Lächeln matt, froh, ihn und Ronda, die nun ebenfalls auf sie zukam, unverletzt zu sehen.

Sie rappelte sich in eine sitzende Haltung auf und nachdem die Welt aufgehört hatte, sich zu drehen, schaute sie auf - direkt in ein vertrautes, lebloses Gesicht. Sie keuchte auf vor Schreck. Firions einst freundlichem Gesicht war jegliche Farbe entwichen. Thara hatte erneut Schwierigkeiten zu atmen, wie er an ihr vorbeigetragen wurde.

"Ein mutiger Mann. Er hat eine Gruppe Rebellen aus Maora und Ekadia angeführt. Kanntet Ihr ihn?", fragte Ronda, die auf Tharas entsetzten Blick aufmerksam geworden war. Eine Träne lief über ihr Gesicht, als sie nickte.

"Wer ist sonst noch gestorben?", presste sie hervor.

Ronda schwieg einen Moment. Es gab einige Opfer, die meisten davon Wiedergänger, es sind aber noch nicht alle Toten identifiziert.

Thara unterdrückte ein lautes Schluchzen, als sie ihren Namen hörte.

"Thara?!" Jaromirs Gesicht tauchte dicht vor ihrem auf, bevor er sie fest in seine Arme schloss. Sein Haar war nass und verklebt von Schweiß und Blut, doch er lebte. Sie konnte ihre Tränen nicht länger zurückhalten. Sie ließ sich von ihm auf die Füße heben und umklammerte ihn so fest sie konnte, als der Schwindel erneut einsetzte. Sie wartete, bis sie wieder einigermaßen sicher alleine stehen konnte, dann löste sie sich von ihm. Wie gerne wäre sie einfach so stehen geblieben, das Gesicht in seiner Schulter versenkt, nicht sehend, welches Leid die Schlacht hinterlassen haben mochte. Doch sie musste auch wissen, was passiert war. Jaromir wich nicht von ihrer Seite und sie war dankbar, dass er ihr Halt bot. Niemand schenkte ihnen Beachtung, als sie sich ihren Weg durch die umher eilenden Sanitäter und verwirrten Krieger bahnten. Anori und Drasere trafen sie beim provisorischen Krankenlager, sie waren mit oberflächlichen Wunden davongekommen. Doch die Fläche am Ufer, zu der die Toten gebracht wurden, wuchs immer weiter.

Thara steuerte auf eine kleine Gestalt zu, die alleine am Ufer saß und die nackten Füße im Wasser baumeln ließ.

Naira blickte zu ihr und Jaromir auf. Sie lächelte schwach. "Ihr lebt."

Sie ließen sich neben Naira ins Gras sinken. "Er ist weg", erklärte die Elbe, "Ist feige in eine andere Welt geflohen." Sie fuhr sich durchs Haar und ließ ihre Fußspitzen im Wasser Kreise ziehen. Thara bemerkte, wie kalt ihr allmählich wurde, schließlich war sie klitschnass, doch sie musste zuerst noch Tinnuviel finden.

"Tinnuviel ist da drüben bei Marei, falls ihr sie sucht", sagte Naira, als hätte sie Tharas Gedanken gelesen und deutete in Richtung des Waldes.

Als Tinnuviel sie näher kommen sah, sagte sie noch schnell etwas zu einer der Wachen, die Marei gefangen hielt, dann kam sie ihnen entgegen. Mareis blasses, eigentlich so schönes Gesicht war vor Abscheu und Verbitterung zu einer hässlichen Grimasse verzogen. Ein paar endlose Sekunden lang herrschte Schweigen, bevor Tinnuviel sagte: "Guter Plan."

"Du auch", erwiderte Thara.

"Ach naja", Tinnuviel zuckte die Schultern. "Ich denke, die waren irgendwie voneinander abhängig. Wir wären vermutlich trotzdem unterlegen, wenn die Geister der Toten die Wiedergänger nicht geschwächt hätten. Als du die Edelsteine in die Truhe geschlossen hast, hat eine Druckwelle das ganze Ufer erfasst und Tyrdans ganze Armee hat sich aufgelöst. Mögen sie ihren Frieden finden." Tharas Blick fiel während Tinnuviels Worten hinab zum See, er spiegelte nicht mehr und sie konnte eine massive Felsformation in der groben Form des einstigen Königreichs durch das klare Blau am Grund des Sees erkennen. Die Bäume rund um das ganze Ufer blühten in den unterschiedlichsten Farben, es herrschte Frühling im ganzen Land, es gab keine Grenzen mehr. Sie hatten den Kreislauf wie prophezeit wieder hergestellt.

"Weißt du, wo er jetzt ist?"

Tinnuviel schüttelte den Kopf. "Könnte überall in jeder Welt sein, aber ich habe ein paar Vermutungen, wo ich zuerst nachschauen werde."

"Du wirst ihn also weiter verfolgen?"

Sie nickte. "Ich kann nicht zulassen, dass er irgendwo anders Schaden anrichtet. Sie zögerte kurz, dann stahl sich ein versonnenes Lächeln in ihr Gesicht. "Und was wäre mein Leben langweilig, wenn ich es nicht tun würde. Er hat seine Niederlage selbst mit ansehen müssen, dass wird ihn herrlich ärgern."

"Fass mich nicht an!" Alle drei wandten sich gleichzeitig Marei zu, die sich erneut mit allen Kräften gegen ihre Wachen wehrte. Tinnuviel seufzte.

"Vorher werde ich wohl noch sicherstellen, dass unsere liebe Königin dort sicher verwahrt wird. Ich habe gehört, Ekadias Gefängnisse sollen weitaus am sichersten sein." Sie zwinkerte ihnen zu, bevor sie sich wieder zum Waldrand begab und mit Marei und ihren Wachen davonzog.

Die Leute drängten sich an diesem Nachmittag in den Straßen, stiegen auf Leitern, beugten sich weit aus ihren Fenstern und nahmen ihre Kinder auf die Schultern, um sich selbst zu überzeugen, dass ihre Königin zurück war. Anori zeigte Naira die Wohnung in einem der Häuser im Innenhof des Schlosses, die Thara ihr angeboten hatte. Jaromir begleitete Thara ins Schloss, an dessen Eingang Artha ihr stürmisch um den Hals viel.

"Ist schon gut", murmelte Thara mit bebender Stimme in ihr dichtes Haar. Artha schluchzte haltlos, während Thara ihr über den Rücken streichelte. Eine ganze Weile standen sie einfach da und keine der Schwestern sagte ein Wort.

"Wie geht es dir?" Sie setzten sich an einen der kleinen Tische im Innenhof. Die Wachen und auch Jaromir hielten respektvollen Abstand, sodass sie ungestört reden konnten.

Artha schmunzelte und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. "Schon viel besser, jetzt wo ihr zurückseid. Aber eigentlich sollte ich das wohl fragen."

"Ach was, mir gehts prima." Thara winkte ab. "Ich war nur auf Weltreise und hab nebenbei den Frieden gesichert. Du warst die, die auf einmal dieses ganze Königreich zu verantworten hatte." Drauf hin streckte ihre Schwester ihr, immer noch schluchzend, die Zunge heraus. "Danke für die Truppen am See übrigens."

"Ich hab außerdem die Ausbesserung der Straßen um den Marktplatz und die Erneuerung des Daches der Bäckerei neben der Kirche in Auftrag gegeben, ich hoffe, das war okay." Artha wurde rot. "Vater hatte es schon so lange vor", fügte sie entschuldigend hinzu. "Oh und zwei Bauern wollten weniger Weizen und dafür mehr Raps anbauen, das habe ich genehmigt, weil wir doch auch seit kurzem keinen Raps mehr aus Pelonien beziehen."

Thara stand der Mund offen. "Das hast du in der Zeit alles organisiert?", sie war beeindruckt, an das Dach der Bäckerei hatte sie noch nicht einmal mehr gedacht.

"Naja, du hast mir das hier alles einfach so hinterlassen." Artha zuckte mit den Schultern. "Ich musste ja irgendwas machen, in der Zeit, in der du weg warst."

Thara sah ihrer Schwester tief in die Augen. "Ich bin beeindruckt." Und da kam ihr ein Gedanke.

"Weißt du noch? Eine Königin tut immer das Beste für ihr Volk."

"Ja?"

"Ich denke, das Beste für das Volk bist du."

Des Königs letzter SchatzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt