22- Geborgen im Dunkelwald

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"Das Kelpie hat verrückt gespielt, also habe ich ihr die Satteltaschen abgenommen und das Loch im See etwas größer gemacht, damit sie leichter unter dem Eis stehen kann. Ich wollte auch wissen, was passiert, deshalb bin ich mitgekommen." Sie zuckte mit den Schultern. Irgendetwas, an der Art, wie schnell sie fortgefahren war, sagte Thara, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt war, um sie weiter nach Takar auszufragen. Jaromir schien ebenfalls zu diesem Schluss gekommen zu sein.

"Du hast uns noch nicht gesagt, wie du heißt. Ich bin Jaromir und das ist Thara."

"Naira", sagte sie. Dann stand sie auf, um den Topf vom Feuer zu nehmen. Während sie den Eintopf verschlangen, erzählten sie Naira, warum sie in dem Eissee gewesen waren und warum sie den Saphir hatten finden müssen. Sie hörte ihnen die ganze Zeit sehr aufmerksam zu und unterbrach sie kein einziges Mal. Sie wollte gerne mitkommen und weder Thara noch Jaromir konnten etwas dagegen einwenden, schließlich hatte sie ihnen das Leben gerettet.

Sie würden in den Dunkelwald reiten, um dort auf Anori, Drasere und hoffentlich auch Tinnuviel zu stoßen. Sie kamen langsam voran, da Jaromir immer noch etwas geschwächt war, weshalb sie größtenteils im Schritt ritten. Sie vermuteten, dass Thara so glimpflich davon gekommen war, weil sie den Bernstein dabei gehabt hatte, welcher sie etwas vor dem eisigen Wasser geschützt hatte.

In der Ferne konnte Thara die Frostwaldbrücke erkennen. Umso weiter sie kamen, desto lichter standen die Bäume und warfen lange Schatten im Licht der untergehenden Sonne. Und plötzlich stand dort jemand. Hoch oben auf einem großen Rappen schaute die Gestalt ihnen entgegen. Sie stand mitten auf der Brücke, unter ihr spülte der Caruba tosend das Flussbett aus. Die Sonne stand in ihrem Rücken, so konnte Thara nicht erkennen, wer sie da erwartete. Ob es Freund oder Feind war, würden sie herausfinden müssen.

Thara warf einen Blick nach hinten zu Jaromir und Naira, die am Schluss ritt. Jaromir zuckte nur die Schultern.

Wenn wir es wissen wollen, müssen wir wohl hin, schien er sagen zu wollen. Thara bedeutete ihnen mit einem Griff an ihr Messer, aufmerksam zu sein. Das Pferd war gar kein Rappe, sondern ein brauner Hengst mit heller Mähne und hellem Schweif. Und als sie näher kamen, war die Gestalt auf seinem Rücken auch nicht mehr in Schatten gehüllt. Tinnuviel stieg von Rihs Rücken, als sie sie erkannte. Thara schwang sich ebenfalls von Akira und lief auf sie zu. Tinnuviel schloss sie in eine warme Umarmung.

"Ihr habt es geschafft", hauchte sie Thara ins Ohr.

"Ja", antwortete sie atemlos. Beide traten einen Schritt zurück, um die jeweils andere auf Verletzungen zu überprüfen.

"Und ihr seid wohlauf", lächelte Tinnuviel.

"Nun ja." Jaromir stieg etwas uneleganter ab und musste sich kurz an Lanas Mähne festhalten, bis er nicht mehr schwankte. Mehr oder weniger, wir leben immerhin. Tinnuviel schloss auch ihn in die Arme.

"Was ist mit dir, geht es dir auch gut?", wollte Thara wissen, doch Tinnuviel winkte ab.

"Es ging mir nie besser. Euch gesund zu sehen, und ihr habt den Saphir!" Ihre Augen glänzten vor Begeisterung, dann entdeckte sie Naira, die auf ihrem grauweißen Pony hinter Lana hervortrat.

"Und ihr habt neue Gefährten gefunden."

"Das ist Naira", stellte Thara vor. Sie hat uns das Leben gerettet, ohne sie hätten wir den Saphir niemals bekommen können.

Tinnuviel nickte und musterte Naira, welche ihr ein knappes Lächeln schenkte.

Die Landschaft wandelte sich auf wundersame Weise vor ihren Augen. Und sie konnten den Frühling die Welt beleben sehen, umso weiter sie in den Mittraum kamen. Sie kamen von verschneiten Einöden in blühende Sümpfe weiter durch sonnige Felder und hohe Berge. Die Bergkette des Iddan stellte sie auf eine Probe. Die Bergstraße verlief sich zwischen den steinigen Hängen und sie mussten ihren eigenen Weg finden. Die Pferde rutschten auf dem Geröll. Sie mussten steile Hänge hinauf und wieder hinunter klettern. Viele Passagen konnten sie nur führend zurücklegen. In den Nächten, wenn sie rasteten, schlief Thara unruhig. Immer wieder hörte sie schrille Schreie in der Ferne, die von den Bergen zurückgeworfen wurden. Die Schreie versetzten sie zurück in den Solée, gaben ihr das Gefühl, erneut mit dem Drachen eingesperrt zu sein. Ließen das Drachenfeuer erneut vor ihrem inneren Auge aufflammen und ihren Arm verbrennen. Und obwohl sie von der Friedlichkeit der Drachen des Iddan und derer aus dem Dunkelwald gegenüber Wanderern gehört hatte, konnte sie nicht verhindern, mitten in der Nacht schweißgebadet aufzuwachen und wie hypnotisiert die dunklen Schatten am Himmel zu verfolgen, die mit ihren Flügeln die Sterne verdeckten. Doch schließlich hatten sie das Gebirge hinter sich gebracht. Der Dunkelwald lag direkt am Fuße der Berge und gab Thara mit seinen uralten Bäumen und ihren hohen Kronen sofort das Gefühl, geborgen und in Sicherheit zu sein. Eine tiefe innere Ruhe durchflutete sie, während sie die frische Luft und den Geruch der Kiefernnadeln einsog. In diesem Wald lebte ohne jeden Zweifel Magie.

Des Königs letzter SchatzWhere stories live. Discover now