13- Dem Sturm entgegen

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Tinnuviel stand mit unlesbarem Gesicht vor der offenen Tür, ihre Umhängetasche über der Schulter.

"Ist das nicht das Pferd seiner Frau?", erinnerte sich Thara, an eine von Firions Erzählungen vom vergangenen Abendessen. Doch bevor Tinnuviel den Mund aufmachen konnte, um etwas zu erwidern, kehrte Firion auch schon wieder zurück. Am Zügel führte er eine gesattelte Schimmelstute. Firion tätschelte zärtlich ihren zierlichen Hals.

"Helena, meine Frau, hat Lana geliebt. Sie war mehr im Sattel in den Wäldern unterwegs, als auf dem Feld. Aber nun, ich kann nicht reiten und das Futter neigt sich immer schneller dem Ende, seit Helena nicht da ist und-", seine Stimme erstickte und er drückte Tinnuviel die Zügel in die Hand.

"Ihr könnt sie mitnehmen, Euch hilft sie mehr als mir. Gebt gut auf sie Acht, ja? Für Helena, sie wäre nicht zu trösten, wenn ihrer Stute etwas zustieße, das weiß ich." Er schluckte schwer und tätschelte den Hals der Stute erneut. Dann wandte er sich ab und tat ein paar feste Schritte in Richtung seiner Tür, als befürchtete er, ohne genug Distanz den Abschied nicht ertragen zu können. Tinnuviel blickte ihm tief in die Augen.

"Ich danke Euch sehr, Herr Firion. Seid gewiss, dass wir Eure Geste zu schätzen wissen. Und möge Eure Frau in Frieden ruhen." Und es klang wie das Aufrichtigste, was Thara je gehört hatte. Die Stute schnupperte freundlich an Tinnuviels Tasche und stupste dagegen. Tinnuviel gab ihr lächelnd die Rinde, die sie von ihrem letzten Brot noch behalten hatte und schwang sich schließlich behutsam in den Sattel. Lana stand artig still, bis Tinnuviel sicher saß.

"Mach es gut, mein Mädchen", murmelte Firion und blickte ihnen nach, bis sie im Schatten der Häuser verblassten.

Der alte Handelsweg führte sie auf direktem Weg zur Carubabrücke. Gut bepackt mit Vorräten, die sie Demarta, einer schrulligen alten Frau, für nicht wenige Goldstücke abgekauft hatten, schritten die Schimmelstute und Akira nebeneinander den breiten Weg aus fester Erde entlang. Die Mittagssonne wurde gerade von ein paar Wolken verdunkelt, als die Brücke in Sicht kam.

Tinnuviel nahm die Zügel an und brachte Lana zum Stehen.

"Lass uns hier unter der Brücke etwas rasten. Geschützt vor fremden Blicken, auch wenn ich nicht glaube, dass wir verfolgt wurden", schlug sie vor. Die Fläche zwischen Ufer und Brücke war nicht besonders groß und mit hohem Gras bewachsen, doch die Brücke war hoch genug, um darunter stehen zu können ohne nasse Stiefel zu bekommen. Thara willigte ein. Als sie Akira gerade das Gepäck abnahm, ließ ein schriller Schrei das Kelpie ruckartig den Kopf heben. Thara fuhr zusammen und schnellte herum, um die Ursache für das Geräusch ausfindig zu machen. Tinnuviel führte Lana zum Wasser und deutete den Fluss hinauf. Und dort sah Thara sie auch. Sie waren lediglich schwarze Punkte auf den erdfarbenen Kürbisfeldern, doch Thara erkannte sie sofort. Es sah aus, wie das gleiche Pack Wiedergänger, dass sie auch bei ihrem Gelage vor Ekadia in der Nacht erblickt hatten. Nur schienen es Thara weniger zu sein, als noch vor ein paar Tagen, doch das konnte natürlich auch der beachtlich größeren Entfernung zuzuschreiben sein.

"Sie sind immer noch da. Oder wieder", stellte sie mit einem Schaudern fest und ihr war, als würde sie ihre Kälte selbst in diesem großen Abstand spüren.

Tinnuviel nickte düster. "Ich frage mich, was ihr Auftrag war und ich hoffe, sie konnten ihn nicht erfüllen." Sie gab Lana einen Klaps und die Stute schnaubte und ging ein paar Schritte, um das saftig grüne Gras am Ufer abzugrasen.

"Wir reiten also nach Harvin." Thara warf ihre Taschen mit dem Proviant ins Gras und suchte all ihre Feldflaschen heraus, um sie mit dem klaren Wasser des Carubas zu füllen. Tinnuviel nickte und tat es ihr mit ihren Flaschen gleich.

"Ja, es ist nahe liegend, findest du nicht?", fragte sie erstaunt. Thara antwortete nicht sofort. Die Gesichter von Jaromir und Anori schlichen sich vor ihr inneres Auge und auch Leanord und Drasere konnte sie vor sich sehen. Sie hatten keine Ahnung, dass sie und Tinnuviel nicht im Solée gestorben waren, aber vielleicht hörten sie ja von Ekadias Fahndung nach ihnen. Genauso hatte Thara gleichzeitig auch keinerlei Anhaltspunkte über ihr Schicksal. Sie wusste weder wo sie waren, ob frei, gefangen oder –und das mochte sie sich gar nicht ausmalen- tot. Ob sie es geschafft hatten, wie nach ihrem ursprünglichen Plan, ins Nebelmoor zu reisen und auch ob sie es geschafft hatten, dort mit dem Rosenquarz unverletzt wieder heraus zu kommen.

Des Königs letzter SchatzWhere stories live. Discover now