36. Kapitel

1.4K 45 7
                                    

Erschrocken sah ich Alaric an, ich versuchte mich aus seinem Griff zu befreien, doch er drückte daraufhin nur fester zu. Erst als ich mich entgegen meiner ganzen Angst beruhigte und meine Wehrversuche einstellte, ließ er mich los und tätschelte mein Kopf, wie einen
kleinen Hund. „Du lernst schnell. Wir werden noch viel Spaß haben, Puppe“, grinste er, dann wand er sich von mir ab und lief seines Weges, als hätten wir uns niemals getroffen, als wären die letzten Minuten nicht der Hölle entsprungen, sondern lediglich ein
Konstrukt meiner Gedanken, die ,ich allmählich in den Wahnsinn treiben wollten. Aufgelöst vergrub ich mein Gesicht in meinen Händen und begann hemmungslos zu schluchzen. Wie war ich nur in diese Situation gekommen? Bis vor einigen Stunden verlief mein
Leben wie erhofft und nun war ich in die Arme eines narzisstischen Psychopathen gelaufen, der in mir sein nächstes Opfer sah. Mein Körper zitterte, als würde er unter Strom gesetzt werden, ich hatte keine Kontrolle mehr über ihn. Wie ein Beifahrer in meinem
eigenen Leben versuchte ich die Situation, in die ich mich manifriert hatte zu überblicken. Ich fühlte mich wie die Hauptdarstellerin in einem Steven King Roman, welche gerade die letzten Züge des Lebens erhaschte, bevor sie auf eine besonders qualvolle Art und
Weise sterben würde. Ich presste meine Beine zusammen, ignorierte den ziehenden Schmerz. Ich war haarscharf davon gekommen, das wurde mir langsam bewusst, ebenso wie die Tatsache, dass das hier noch lange nicht vorbei war. Meine Gedanken schliffen zu
Ivar. Wie sollte ich ihm das erzählen? Mit welchen Augen würde er mich nach diesen Geschehnissen sehen? Plötzlich fuhr ich erschrocken hoch und sah auf mein Handgelenk, an dem sich sonst immer meine Armbanduhr befand. Wie spät war es? Ob Ivar bereits
wach war? Was, wenn er den Zettel gesehen hatte und mich nun suchte. Auf keinen Fall durfte er mich so sehen. Schnell rappelte ich mich auf und sah an mir herunter. Dass helle Shirt war von der Rinde verdreckt und meine Arme waren rot und wiesen einige Kratzer
auf. Mit einer raschen Handbewegung öffnete ich meine Haare und versuchte sie halbwegs zu richten, bevor ich mich mit schnellen Schritten auf den Heimweg machte. Mein Atem zitterte immer noch, genauso wie meine Hände, als ich die Haustür aufschloss und
leise in das Haus tapste. „Bloß nichts anmerken lassen“, herrschte ich mich in Gedanken selbst an, als ich die Tür vorsichtig schloss. Doch kaum hörte ich sie verriegeln, wissend, dass ich in Sicherheit war, schien der Damm in meinem Inneren zusammen zu brechen.
Meine Sicht verschwamm, keine Sekunde später rollten die Tränen meine Wangen herunter. Schnell presste ich mir meine Hand auf den Mund, um mein Schluchzen verstummen zu lassen. Mein Herz zog sich krampfhaft zusammen und jagte einen stechenden
Schmerz durch meinen Körper, der mich kurzzeitig zwang den Atem anzuhalten. Parallel überrollte mich eine unbändige Übelkeit. „Kleines?“, hörte ich Ivars noch verschlafene Stimme, er musste gerade erst aufgewacht sein. „Komm her und setz dich auf deinen
Daddy“, drang seine tiefe Stimme zu mir durch. Ein weiteres Schluchzen wurde von meiner Hand verschlungen. Ich hörte das Knarren der Couch, als ich nicht antwortete. Er durfte mich so nicht sehen! Schnell sprang ich auf und flitzte am Wohnzimmer vorbei ins
Badezimmer und schloss mich dort ein. Mit zitternden Fingern schaltete ich Dusche ein und entledigte mich meiner Kleidung. Das dreckige Shirt legte ich ganz nach unten in den Wäschekorb, damit es nicht allzu sehr auffiel. Wie in Trance stieg ich in die Dusche und
ließ mich an der Wand hinunterrutschen. Gedeckt von dem beruhigenden Rauschen des Wassers legte ich meine Arme um meine Beine und begann erneut hemmungslos zu Schluchzen. Das heiße Wasser nahm meinen zitternden Körper in Besitz und ließ meine
Tränen unsichtbar werden. Es dauerte nicht lange, bis sich meine Haut unter dem viel zu warmen Wasser rot färbte, doch ich brauchte diesen Schmerz gerade, um mich von den schrecklichen Gedanken und Bildern in meinem Kopf ablenken zu können. Fast schon
hysterisch fuhr ich über meine Armem da wo er mich angefasst hatte und versuchte seine Spuren von meinem Körper zu bekommen. „Olivia? Ist alles in Ordnung?“, hörte ich Ivars besorgte Stimme auf der anderen Seite der Badezimmertür. Ich antwortete nicht, zu
groß war meine Angst, er würde herausfinden, dass etwas nicht stimmte. Ich wusste nicht, ob ich die Kontrolle über meine Stimme hatte. „Ich komme rein“, kam es entschlossen von Ivar, bevor er sich an dem Schloss zu schaffen machte. Wie von der Tarantel gestochen
versuchte ich erneut die Spuren seines Bruders auf meinem Körper zu entfernen, damit er sie nicht sah. Da Schloss in der Tür drehte sich um und gab den Weg zu mir frei. Ich schnappte nach Luft und versuchte meine Atmung zu kontrollieren. Dankbar, dass das
Wasser alle anderen Spuren verdeckte, sah ich auf den Boden der Dusche. Ivars Schritte kamen eilig auf mich zu. Besorgt streckte er seine Hand nach mir aus, zog sie jedoch bei dem ersten Wasserkontakt wieder zurück. „Verdammt Olivia was soll das? Willst du dich
verbrühen?“, hastig schaltete Ivar die Dusche aus und hockte sich zu mir herunter. Noch immer zeichneten sich unter seinen Augen dunkle Augenringe ab. Er trug nur seine Shorts. Sanft streckte er seine Hand nach mir aus und wollte mein Kinn leicht nach oben
drücken, sodass ich ihn ansehen musste, aber ich zuckte augenblicklich zurück und sorgte für genügend Abstand zwischen uns. Erschrocken sah mich Ivar an: „Was ist los?“ Ich schüttelte nur meinen Kopf und fuhr mir mit meinen Händen über mein Gesicht. „Olivia“,
knurrte Ivar ungeduldig und sah mich eindringlich an. Ich schluckte, wusste, dass er nicht locker lassen würde. Unruhig sah ich in dem Raum hin und her, nur nicht in seine Augen. „Ich höre“, drängte mich Ivar weiter und hielt mir währenddessen ein Handtuch hin.
Dankbar nahm ich es an und wickelte meinen Körper in den weichen Stoff. „Nichts“,räusperte ich mich und atmete tief durch, „es ist nichts. Ich hatte nur einen blöden Albtraum.“ Ich schluckte und biss mir auf meine Unterlippe, um die aufsteigenden Tränen zu
unterdrücken. Wie gern würde ich ihm die Wahrheit sagen, mich fest an ihn schmiegen und solange an ihn kuscheln, bis ich eingeschlafen und all der Schrecken vorbei gezogen war. „Ein Albtraum also“, hakte Ivar nochmal mit hochgezogenen Augenbrauen nach. Ich
nickte nur stumm. Mein Herz raste immerhin in meiner Brust, es fühlte sich so unwirklich an, als würde es nicht mehr zu mir gehören. Ivar musterte mich einen Moment kritisch, dann zog er mich an seine Brust und schloss mich in seine Arme. Ich versteifte mich und
wollte mich aus seinen Armen befreien, als sein beruhigender Duft in meine Nase stieg und mich daran erinnerte, dass ich sicher war. Langsam entspannte ich mich und begann die Umarmung zu erwidern und mich enger an ihn zu drücken. „Shhh“, versuchte Ivar
mich zu beruhigen und strich mir über den Rücken, als ich meinen Kopf in seiner Halsbeuge vergrub und erneut anfing zu weinen, „es ist alles gut.“ Nichts war gut. Aber woher sollte er das wissen. „Komm beruhige dich Kleines, ich bin doch da“, Ivar stützte sein Kinn
auf meinem Kopf auf und wog uns langsam hin und her. Ich hörte seinen ruhigen Atem und das Schlagen seines Herzens, was sich langsam auf das meine übertrug. „Es war nur ein Traum“, flüsterte er und küsste meinen Scheitel. Wenn er doch nur Recht gehabt
hätte. So langsam schaffte ich es meine Atmung zu beruhigen, auch meine Tränen schienen zu versiegen. Mein Körper schien im Moment zu erschöpft für solch emotionale Strapazen zu sein. Ich nickte und löste mich vorsichtig aus der Umarmung, auch wenn sie mir
im Moment so viel Halt und Stärke gab. „Zieh dir etwas an, Ich mach uns etwas zu essen, okay?“ Wieder nickte ich. Ivar zog mich nochmals zu sich und küsste mich vorsichtig, bevor er das Bad verließ. Sehnsüchtig sah ich ihm hinterher. Wie in Zeitlupe trocknete ich
mich ab, betrachtete meine immer noch gerötete Haut und spürte das Brennen, das von ihr ausging. Meine Augen glitten zu dem weißen Bademantel, welchen ich mir überstreifte, bevor ich barfuß in die Küche tapste. Bereits im Flur schlug mir der Geruch von
Pancakes entgegen, Ivar gab sich wirklich Mühe, dabei hatte ich keinen Hunger. Mir war noch immer schlecht, aber das konnte ich ihm ja schlecht sagen. „Für meine Prinzessin“, lächelte Ivar und stellte mir einen Teller mit zwei Pancakes vor die Nase, sie hatten ein
Gesicht aus Blaubeeren und Haare aus frisch geschlagener Sahne. Meine Mundwinkel verzogen sich kurz zu einem minimalen Lächeln, bevor sie wieder nach unten sanken. Ivar setzte sich neben mich und sah mich auffordernd an, während er selber etwas von
seinem Teller aß. Ich schluckte und sah schuldbewusst auf meinen Teller. „Sicher, dass du mir nicht erzählen möchtest, was los ist?“ „Es is t wirklich nichts weiter“, ich zwang mir ein Lächeln auf und begann zu essen, auch wenn ich mich zusammenreißen musste, alles
herunterzuschlucken. Während dem Frühstück redeten wir nicht miteinander, ich spürte immer wieder Ivars stechenden Blick von der Seite. Er glaubte mir nicht, davon war ich überzeugt. Er versuchte meinen Körper zu lesen, in der Hoffnung dadurch an die
Informationen zu kommen, die er sich so sehnlichst wünschte, aber das würde nicht funktionieren. Auch der restliche Tag verlief sehr distanziert, ich zog mich in mein Zimmer zurück und starrte unentwegt an die Decke. Mein Handy vibrierte immer wieder, vermutlich
war es Mary, die noch nachträglich Details zum gestrigen Abend haben wollte, doch ich war im Moment nicht bereit mit ihr oder irgendjemand sonst darüber zu reden. Ivar sah immer wieder nach mir und versuchte irgendwelche Einzelheiten aus meinem
angeblichen Traum erhaschen zu können, doch ich antwortete ihm nicht, sondern starrte einfach vor mich hin wie eine Flasche, der man den Flaschengeist entzogen hatte. Ich fühlte mich leblos wie eine Hülle ohne Inhalt. Ich weiß nicht wie lange ich herumgelegen
hatte, es hätte Stunden sein können oder Minuten. Ich verlor mich komplett in Zeit und Raum. Irgendwann begann es zu dämmern, der Gesang der Vögel wurde zunehmend leiser, als Ivar auf einmal mit so viel Schwung in mein Zimmer platzte, dass die Tür mit
einem lauten Knall gegen die Wand prallte. Ich schreckte auf und sah ihn mit großen Augen an. „Und jetzt wirst du mir endlich verraten was los mit dir ist!"

ObsessionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt