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,,Hör zu, Chica. Nicht jeder der so mit mir spricht überlebt den Tag."
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Nach dem Satz hätte ich normalerweise nochmal was gekontert aber ich hatte mich rechtzeitig zurückgehalten, denn Miguels Blick war ziemlich kalt und bedrohlich gewesen.

Was danach passiert war war mir im Vornherein schon klar gewesen. Ich hatte einfach angefangen den letzten Unterrichtsstoff zu erklären während ich dabei das Gefühl hatte, dass ich es mir selbst erklärte, denn Miguel sah nicht danach aus als hätte er zugehört. Und gegen Ende hatte er einfach ganz ehrenlos sein Handy rausgeholt und mir nochmal fest vor Augen gestellt, dass ich blöd wäre. So kam ich mir zumindest vor.

Und meine Laune war jetzt im Keller, ganz abgesperrt im hintersten Raum.
Ich saß in der U-Bahn und hatte Kopfschmerzen wegen Miguel und war ziemlich genervt.
Was ich mich fragte war wirklich, warum er sich Nachhilfe geben ließ, wenn er nicht einmal zuhörte. Das war völlige Zeitverschwendung gewesen. Für mich und für ihn.

Ich stieg aus der U-Bahn und lief in dem Gewimmel an den Menschen vorbei. Ich wollte nur noch nach Hause. Auf Tamis Nachricht, wie es war hatte ich einfach den genervten Emoji geschickt.

Ich kam zu Hause an und dass Dads Auto nicht hier verriet mir, dass er heute länger arbeitete oder, ja..
Sobald ich die Tür aufschloss hörte ich Lias Stimme.
,,Ich will aber nicht!"

Stirnrunzelnd zog ich die Schuhe aus und lief in die Küche, wo Lia mit einer verzweifelten Meli am Küchentisch saß.
,,Hey, Süße. Hey Meli", begrüßte ich sie und bekam es nur von Meli zurück. Fragend sah ich sie an und sie deutete mit den Augen auf die Brotscheibe und kam dann auf mich zu.
,,Sie hat heute nur einen kleinen Fruchtyoghurt gegessen. Sonst nichts", flüsterte sie besorgt und ich nickte leicht.
Ich murmelte etwas undeutliches und setzte mich neben Lia hin.

,,Willst du mir sagen was du heute gemacht hast?", fragte ich neugierig nach, aber ich konnte sie nicht dazu bringen, den Kopf von der Tischplatte zu heben.
,,Oh, und Meli hat dir Nutellabrot geschmiert. Das muß doch sehr gut schmecken, oder nicht?" Aber das half auch nicht.

,,Hast du mich denn nicht vermisst?"
Jetzt hob sie ihren Blick an und sah mich aus Kulleraugen an.
,,Doch, hab ich", säuselte sie und ihr Blick huschte kurz zu Meli, die sich auf den dritten Stuhl niedergelassen hatte.
,,Willst du das Brot nicht essen?"
Sie schüttelte den Kopf.
,,Warum nicht. Du magst doch Nutella."
Sie zuckte mit den Schultern.
,,Soll ich dir was anderes geben?"
Sie schüttelte den Kopf.
,,Und soll ich dir was kochen?"
Wieder ein Kopfschütteln.

Ich seufzte.
Meli erhob sich und sah mich an.
Dann deutete sie mir, dass sie gehen würde. Ich folgte ihr in den Flur.
,,Ich hab dir das schon mal gesagt, Cosima. Aber ich kann mich da nicht wirklich einmischen. Lia braucht Hilfe.", meinte sie.

Ich konnte darauf nichts antworten. Sie hatte vielleicht Recht aber ich hatte irgendwie das Gefühl dass sich Lia unter Druck gesetzt und eingeengt fühlen würde, wenn mehr Leute um sie herum mit ihr umgehen würden als wäre sie eine Kranke.

Meli umarmte mich und verabschiedete sich.
Ich wandte mich wieder Lia zu.
,,Weißt du dass mich das traurig macht, wenn du nichts isst?", redete ich auf sie ein, als ich mich hinsetzte.
Lia sah auf den Tisch.
,,Ich will dich aber nicht traurig machen", nuschelte sie und ich musste leicht lächeln.
,,Isst du dann was für mich?"
Sie verneinte.

Ja, so war das an manchen Tagen. Und es strenge mich zutiefst an, denn ein kleines Kind konnte wohl schlecht den ganzen Tag ohne Essen überstehen.

,,Gut, wenn du nichts essen willst, dann machen wir jetzt was anderes. Was schlägst du mir vor?"
Sie sah mich an.
,,Was du willst."

○○○
Wir saßen am Abendtisch und Dad versuchte jetzt ebenfalls Lia davon zu überzeugen, etwas zu essen. Ich hatte sogar ihr Lieblingsessen gekocht, Kartoffelbrei. Doch sie wollte nichts davon wissen.

Wenn Dad nüchtern war war er ganz anders. Viel liebevoller, füsorglicher.
Lias Laune hatte sich auf ihn abgefärbt und er saß genauso wie sie da und stocherte im Essen rum.

,,Mach ich euch traurig?"

Dad und ich tauschten Blicke und sahen dann zu Lia.
Dad legte den Gabel zur Seite und zog Lia auf sein Schoß.
,,Weißt du Mäuschen, wenn es dir gut geht geht es uns auch gut. Aber wenn du traurig bist dann sind wir auch traurig. Und wenn du nichts isst dann essen wir auch nichts. Ich weiß dass du einen riesen Hunger hast und dein Bäuchlein ist schon wieder klitzklein geworden. Du musst jetzt was essen sonst passt dir die Hose nicht, die ich dir gekauft hab. Sie ist sogar pink."

Lias Augen funkelten und sie sah Dad daraus an. ,,Pink?"
,,Oh, ja. Und damit sie dir nicht rutscht musst du wieder dein Bauch füllen. Und wenn du schön isst kauf ich dir eventuell noch eine neue Puppe."

Dad konnte also wieder morgen einkaufen, denn Lia hatte sich an ihren Platz gesetzt und angefangen zu essen.

,,Das ist jetzt schon unfair", gab ich beleidigt zurück.
,,Warum? Willst du auch eine Puppe?", neckte mich Dad.
,,Nein. Ich hab auch versucht sie davon zu überzeugen zu essen, aber sie hat nicht mal ihren Mund geöffnet."
Dad grinste mich an. ,,Die Fähigkeit besitze auch nur ich."
,,Sicher doch", gab ich schmollend zurück und sah Lia erleichtert dabei an, wie sie nach und nach die volle Gabel in ihr Mund schob. Auch wenn sie nicht soviel davon aß wie sie sonst tun würde gab es mir ein gutes Gefühl.

Als ich zu Dad blickte merkte ich, wie abwesend er Lia betrachtete. Seine Mundwinkel waren leicht nach unten gerutscht und er fokussierte die Kleine mit mitleidigen, ja fast schon reuevollen Blicken.
Was er wohl von sich dachte?
Er fühlte sich sicherlich schlecht, wie er von Lia dachte wenn er unter Drogen stand. Aber trotzdem konnte er nicht davon abkommen und das musste ziemlich mies für einen sein.

Erst als sich Lia wieder meldete ring sich Dad ein Lächeln und sah sie lieblich an.
 
 
 

Der Kleinen geht es wohl nicht gut.

In deinem SchattenWhere stories live. Discover now