Kapitel 9 Vergangenheit

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Es war dunkel, als Cara mit schlammigen Stiefeln aus dem Wald zurückkehrte und Holz in ihren beiden Händen trug. Ächzend schleppte sie sich zur einsamen Hütte und ließ das Holz vor Erschöpfung aus ihren Händen fallen. Aufmerksam schaute sie sich nach ihren Eltern um, doch diese waren weit und breit nicht zu sehen, also war auch nichts zu befürchten.
Rasch versuchte sie das Holz wieder einzusammeln, als sie plötzlich schwere Schritte wahrnahm, die sich von hintern näherten.
"Cara!" ,rief ihr Vater aggressiv, als er sah, dass das ganze Holz verteilt auf den Boden lag.
Langsam drehte sie sich zu dem großen Mann um, der seine Hände in die Hüfte gestemmt hatte und mit brodelnden Augen zu ihr hinunterblickte.
"Ich, entschuldige, Dad." ,stammelte sie nervös und stapelte das Holz in ihren schwachen Armen, "Ich war so in Eile-"
"Los, beeil dich. Ich denke nicht, dass du willst, dass deine Geschwister drinnen erfrieren, nur weil du zu lange für die einfachsten Sachen brauchst und du zu tollpatschig bist, irgendetwas in deinen Armen zu behalten."
Nein, natürlich wollte sie das nicht.
Mit feuchten Augen nahm sie noch die letzten Stücke Holz und schleppte sie zum Kamin, der gemütlich im Wohnzimmer stand. Hastig schmiss sie es in die kleine Flamme und beobachtete angespannt, wie sich das Feuer immer weiter ausdehnte.
Cara hielt ihre eiskalten Hände an die Flamme und atmete aus, als sie erneut schwere, schnelle Schritte auf sie zukommen hörte. Dann packte ihr Dad sie am dünnen Oberarm und drehte sie gewaltsam um, so dass er ihr in die Augen schauen konnte.
"Was habe ich gesagt, was du tun sollst, wenn du aus dem Wald kommst?" ,wollte er brüllend wissen und drückte den Oberarm zu.
"Ich, ich." ,stotterte Cara und die erste Träne lief ihrer Wange hinunter und tropfte zu Boden, "Ich, ich soll meine Schuhe ausklopfen, wenn ich wieder komme."
"Und was hast du vergessen, Cara?"
"Die Schuhe auszuklopfen, aber-"
"Nichts aber." ,zischte ihr Dad und funkelte sie an, "Du bist einfach zu nichts zu gebrauchen. Nicht mal die einfachsten Dinge bekommst du auf die Kette!"
"Dad, ich, es tut mir leid!" ,murmelte Cara verängstigt und wischte sich ihre aufkeimenden Tränen weg.
Doch er ließ sie nicht los und verstärkte den Druck um ihren Oberarm und schüttelte mit seinem Kopf, "Nimm dir ein Beispiel an deine Geschwister. Sie tun ihre Arbeit, reden nicht und beschweren sich nicht und halten sich sogar an alle Regeln. Das kannst du nicht."
"Ich habe mich aber entschuldigt!" ,gab sie zurück und presste ihre Lippen aufeinander.
Sie blickte zur Seite und rechnete mit dem stechenden Schmerz, der sonst immer kam, doch es geschah nichts. Stattdessen ließ er sie los.
"Gut." ,erwiderte ihr Dad, "Weißt du was?"
Cara verzog ihr Gesicht und schüttelte mit ihrem Kopf, "Was?"
Er verschränkte seine starken Arme vor der Brust und schaute sich um.
"Du bist 17, nicht wahr?
"Ja?"
Plötzlich lächelte er, "Du bist nun alt genug, endlich, um zu verschwinden. Ich möchte nicht mehr für dich verantwortlich sein und mir ist ohnehin egal was aus dir wird. Wir haben keine Lust mehr dich jeden Tag daran zu erinnern, was du zu tun hast und dich dazu noch durchzufüttern. Jedes Mal vermasselst du irgendetwas und machst nur die Laune von jedem hier schlecht. Also: verschwinde und sieh zu, dass du mir nicht nochmal unter die Augen kommst, hast du das verstanden?"

"Er hat dich rausgeschmissen?" ,wollte Hunter wissen, als Cara Tränen in die Augen stießen und sie nickte.
"Oh ja." ,erwiderte sie leise, "Das Leben zu Hause war kein Zuhause, wo Kinder aufwachsen sollten. Gewalt und schwerste Arbeit lag an der Tagesordnung, da war kein Raum für Dinge, die Kinde in diesem Alter eigentlich tun sollten, spielen oder gar lesen wurde uns strengstens verboten. Ich bin mir heute sicher, dass meine Eltern, speziell aber mein Dad, mich niemals gewollt haben und das ließen sie mich auch wissen. Doch auch meine drei anderen Geschwister hatten es schwer, doch ich hatte es immer am schwersten. Bei ihnen rutschte die Hand von meinem Dad niemals aus, doch bei mir regelmäßig. Unter dem Strich bin ich froh, dass er mich nach siebzehn Jahren schlussendlich rausgeworfen hat."
Sie sah, wie Hunter sie mitgenommen anschaute, aber sie winkte ab. Sie wollte kein Mitleid. Mit ihrer Vergangenheit konnte sie einigermaßen gut leben, aber die Auswirkung, die bis heute anhielten, waren schwer zu ertragen und doch kämpfte sie jeden Tag.
"Als er mich dann rausgeworfen hatte, ging ich in die Hauptstadt und bewarb mich um eine Stelle als Sanitäterin, denn ich wollte anderen schon immer helfen. Ich liebte die Arbeit mit kranken und traumatisierten Leuten, ich wollte der Gesellschaft irgendetwas zurückgeben, obwohl ich das wohl nicht brauchte" ,erzählte Cara und sie spürte, wie immer wieder Tränen hervorkamen und sich den Weg an die Oberfläche kämpften, "Dann bekam ich auf unerklärliche Weise die Stelle auf Kamino angeboten und ich habe sie dankbar angenommen, denn ich hatte schon seit längerem vor, meinen Heimatplaneten zu verlassen. Es kam also passend und bin nur eine Woche später hingeflogen, um meine Arbeit aufzunehmen und nun bin ich hier."
Rasch blickte Cara zur Seite, als die Tränen schlussendlich den Kampf gewonnen hatten und ihr von der Wange liefen, die sie jedoch mit ihrem Handrücken schnell wieder wegwischte. Sie wollte nicht, dass Hunter sie weinen sah auch wenn sie im Inneren wusste, dass er sie schon längst gesehen haben musste, tat sie so, als würde er es nicht sehen.
Als sie plötzlich ein sanftes Gewicht an ihrer Schulter spürte, zuckte sie leicht zusammen und schaute ihn verwundert an.
"Es tut mir leid, was du erlebt hast." ,flüsterte Hunter aufrichtig und sie lächelte.
"Schon okay." ,antwortete sie und starrte auf die Hand, die noch immer auf ihre Schulter ruhte. Eigentlich mochte sie keine Berührungen, erst recht nicht, wenn sie ohne Ankündigung passierten, dochtrotzdem ließ sie es zu.
"Irgendwann habe ich gelernt, damit umzugehen. Ich ging sogar zur Therapie und ließ mir helfen, doch irgendwann muss man selber weitermachen und das tue ich, jedenfalls versuche ich es."
"Ich denke, dass du auf einem guten Weg bist."
Cara legte ihren Kopf schief, "Wenn du das sagst, wird das auch stimmen, dennoch ist jeder Tag ein Kampf."
Hunter zog seine Hand zurück und lächelte ihr aufmunternd zu, "Ich habe sowas zwar noch nicht erlebt, doch ich kann trotzdem sehr gut nachempfinden, wie es dir damit geht."
"Mit einer verbesserten Sinneswahrnehmung ist es bestimmt schwierig, oder?" ,wollte Cara wissen und wechselte das Thema, "Wenn du jede Emotion von anderen lesen kannst."
Er zuckte mit den Schultern, "Einfach ist es nicht immer, gerade wenn andere alles mögliche empfinden ist es für mich schwer zu definieren, wie es dem anderen wirklich geht. Doch ich habe irgendwann gelernt damit zu leben. Ich kann anderen keine Lasten abnehmen, aber ich bin ein sehr guter Zuhörer."
Das war er wirklich. Noch nie hatte sie irgendwem von ihrer Geschichte erzählt, was vielleicht auch daran lag, dass sie niemand wirklich hören wollte. Es jemanden anzuvertrauen tat Cara gut und sie wusste, dass Hunter es auch nicht weitergeben würde.
"Dem kann ich nur zustimmen." ,sagte sie lächelnd, "Du bist ein wirklich guter Zuhörer, finde ich."
"Wenn du das sagst, wird das bestimmt stimmen."
Sie nickte rasch und wandte sich wieder ab. Auch wenn es ihr gut tat zu reden, hatte sie dennoch Angst, dass er ihre Geschichte irgendwann gegen sie verwenden würde und ihr damit schadete. Eigentlich wusste sie im Tiefen Inneren, dass er das nicht tun würde, doch sie hatte lernen müssen, dass nicht alle so vertrauenswürdig wie Hunter waren.
Sie konnte das Erzählte nicht zurücknehmen und sie bereute das Gespräch auch nicht, doch die Gedanken an das schlechteste hatten immer die Oberhand. 

Die Macht des Schicksals ✔Where stories live. Discover now