Ein ernstes Gespräch

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Nun war es an Benedict und Martin eindeutige Blicke untereinander zu tauschen, während nach wie vor das dumpfe Pochen der Nadel in der Auslaufrille den Raum erfüllte. Letzterer erhob sich dann betonend laut von seinem Platz.
"Wie die Zeit doch verfliegt, ich wechsle besser auf die B-Seite. Nicht, dass der Stylus noch beschädigt wird."
"Damit kannst du auch noch warten."
Romina stand nun ebenfalls auf, trat vor Audrey und stemmte die Hände in die Hüften. Dabei stierte sie sie von oben herab an.
"Bist du etwa Teil der internationalen Pflanzenpolizei, oder was."
Audrey strich sich unbeeindruckt eine Strähne hinters Ohr und zog ihre Augenbrauen leicht in die Höhe. Ihr Gefühl hatte sie also wie so oft nicht im Stich gelassen. Die neue Bekannte konnte sie wohl wirklich nicht ausstehen, aus welchem Grund auch immer. Sie legte den Kopf leicht schief und erwiderte den kühlen Blick. Vielleicht war es an der Zeit, der Sizilianerin endlich einen richtigen Anlass für ihre Antipathie zu geben. Audrey war so oder so nicht in der Lage, den plötzlichen, vor Wut grollenden Kloß in ihrem Hals hinunterzuschlucken. So antwortete sie ungerührt mit einem süßen Lächeln auf den dunklen Lippen.
"Nicht unbedingt. Aber ich würde doch behaupten, ich kenne mich ein wenig besser in der Botanik aus als der durchschnittliche Pflanzenhalter. Außerdem sind ein paar der Ableger hier für Katzen nicht ungiftig."
Rominas Wangen liefen rot an, ungestüm ballte sie die Hände zu Fäusten.
"Tu piccola...".
"Ganz ruhig Romi."
Benedict war jetzt ebenfalls aufgestanden und hatte sich bestimmt neben seine Mitbewohnerin gestellt. Beschwichtigend legte er ihr die Hand auf die Schulter.
"Audrey meint es doch nur gut. Galadriel und unser restliches Folk von Mittelerde sollen doch noch lange hier überleben. Wir wollen sie bestimmt nicht auch so bestatten müssen wie Saruman, oder? Und Silly wird schon wissen von welchem Pflänzchen sie die Pfoten zu lassen hat, immerhin ist sie ein schlaues Kätzchen."
"Spars dir doch."
Romina schlug unwirsch seine Hand weg, bevor sie Audrey erneut einen wütenden Blick zuwarf. Dann drehte sie sich unter leisem, italienischen Gefluche weg und schritt in Richtung Küchenzeile.
"Impossible! Ich mach mir einen Kräutertee."
Diese Aussage ließ Martin hellhörig werden. Er legte die Nadel ein wenig schneller auf die umgedrehte Platte hinab und eilte Romina hinterher.
"Aber nicht die Kräutermischungen aus dem Medizinschrank, Romi!"
"So viel zum Thema: nimm es ihr nicht übel, sie kann manchmal etwas ruppig sein, aber sie meint es nicht so."
Audrey konnte nicht länger sitzen bleiben. Sie hatte das dringliche Gefühl, sich bewegen zu müssen - als könne sie so ihre Wut von sich schütteln. Vor dem Plattenspieler blieb sie schließlich stehen und sah dem Vinyl dabei zu, wie es sich gemütlich um die eigene Achse drehte.
"Ich weiß ehrlich gesagt genauso wenig, was ihr Problem ist. Eigentlich ist sie mitunter die liebste Person, die ich kenne... abgesehen von ihrem ausgeprägten Temperament."
Benedict stellte sich neben sie. Er zuckte mit den Schultern.
"Du hast sie aber auch mit deinem letzten Satz ein wenig absichtlich provoziert. Oder?"
"Das bestreite ich ja gar nicht."
Audrey lächelte schief.
"Nur konnte ich einfach nicht widerstehen. Immerhin habe ich ein ebenso ausgeprägtes Temperament."
"Was hat dich denn von Brasilien nach Liverpool geführt?"
Sie wandte sich Benedict zu, welcher sie interessiert ansah.
"Hat dir Cecilia das etwa gesagt, oder ist mein Akzent doch so offensichtlich? Die Frage war fast richtig, nur war ich zwischendrin noch für ein paar Jahre in London. Ich hatte an einem Austauschprogramm meiner Schule teilgenommen, später ein Jobangebot bekommen und so führte eines zum anderen."
"Wohl ein wenig von beidem. Und jetzt ist es dir zu monoton geworden und du erkundest Großbritannien?"
Er lächelte schief, meinte seine Aussage nicht besonders ernst. Audrey aber nickte bestätigend.
"Ich brauchte dringend eine Pause von diesem Alltag. Liverpool ist um einiges schöner als London."

Romina kam nicht mehr zurück, um das Album in der Runde fertig zu hören und so entkam Audrey einer unerträglichen Beschallung mit elektronischer Musik. Zumindest drückte es Martin so aus, welcher vom Verhalten der eigentlich guten Freundin sichtlich aufgebracht war. Beide hatten bestimmt eine gute halbe Stunde miteinander in der Küche diskutiert und das Ergebnis schien für niemanden zufriedenstellend zu sein. Romina zog sich, nach wie vor mit einer großen Wut im Bauch, in ihr Zimmer zurück, während Martin augenrollend auf einem der Sofas Platz nahm und wenig später versuchte Audrey den Unterschied zwischen Stereo und Mono zu erklären. Benedict genoss währenddessen in vollen Zügen die Musik und dachte wohl nicht weiter über die Auseinandersetzung mit seiner Mitbewohnerin nach. Audrey konnte das alles nur recht sein, sich weiterhin mit Romina in einem Raum aufhalten zu müssen löste in ihr eher wenig Begeisterung aus. Als sie und Martin sich letztendlich verabschiedeten und auf den nassen, kalten Bordstein der Duke Street hinaustraten, leuchteten die hohen Laternen in ihrem schummrig orangenen Licht und eine stille Dunkelheit durchzog die leeren Straßen. Der Rückweg zur Fleet Street verlief schweigsam. Martin rauchte eine seiner selbstgedrehten Zigaretten und Audrey hing ihren eigenen Gedanken hinterher. Er schien die vorherigen Konflikte ignorieren und seine neue Bekanntschaft nicht noch weiter mit seinem anscheinend unendlichen Wissen über Musik überfordern zu wollen. Sie wusste nicht recht, was sie mit sich tun sollte. Oder wie sie den Nachmittag zu bewerten hatte. Selten war sie sich so unentschlossen, wenn nicht sogar verloren vorgekommen. Vielleicht fehlte ihr der Rat einer Person, die sie zumindest ein wenig nachvollziehen konnte und mit einem Mal kam ihr ein gewisser Rotschopf in den Sinn.

The Sound Of MagicWhere stories live. Discover now