Mitbewohnerinnen

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Für einen Moment hielt Audrey mitten in der Bewegung inne und lehnte sich gegen die kühle Holztür. Sie atmete tief durch und schloss dabei die Augen. Unwillkürlich horchte sie ein wenig nach draußen. Sie hörte Cecilias hohe, süße und eine ihr unbekannte warme, rauchige Stimme. Was sie miteinander sprachen, konnte sie nicht verstehen und darüber war sie insgeheim auch froh. Es rühmte sich immerhin nicht, die Gespräche anderer zu belauschen. Sie löste sich aus ihrer unbequem eingefrorenen Position, verstaute Charmaines unliebsamen Brief in ihrem Nachtkästchen und wandte sich ihrer Kommode mit darauf angebrachtem Spiegel zu. Ein leises Seufzen entfuhr Audreys Kehle, natürlich hatte sich das dezente Haarproblem auf ihrem Kopf nicht von alleine gelöst und bedurfte mittlerweile übermenschlichen Friseurstrategien - oder einem gekonnten Schwung mit dem Zauberstab. In der obersten Schublade griff sie entschlossen nach ebendiesem und wirkte stumm einen Entwirrzauber, nachdem sie ihr zerzaustes Nest aus dem ebenso grob gebundenen Dutt gelöst hatte und wie so oft in ihrem Gedächtnis nach der richtigen Zauberformel suchen durfte. Zwar fielen ihre sonst so voluminösen Locken ein wenig flacher um die Schultern herab, aber wenigstens konnte sie sich so wieder in die Öffentlichkeit hinauswagen. Nun musste sie lediglich noch etwas gegen ihren ungewohnt blassen Teint unternehmen und das Strahlen in ihren Augen zurückbringen. Wie auch immer sie das anstellen sollte. Ziellos wühlte sie in ihren Schminkutensilien umher, versuchte mit Puder und Rouge ihre eigentliche Bräune zu betonen und mit Wimperntusche und dezentem Lidschatten die grauen Pigmente ihrer Iris hervorzuheben. Merkte man ihr jetzt noch ihren inneren Unmut an? Audrey musterte sich sehr lange im Spiegel, erforschte in einer pingeligen Genauigkeit nahezu jede einzelne Pore ihres Gesichts. Letztendlich nickte sie sich zufrieden zu und fuhr sich, während sie sich wieder aufrichtete, durch die langen Haare. Eigentlich war ihr so gar nicht wohl dabei, heute noch auszugehen. Das vor allem, da Charmaines Worte noch immer omnipräsent in ihrem Kopf herumschwirrten und sich einfach nicht verdrängen lassen wollten, egal wie sehr sie sich auch darum bemühte diese loszuwerden. Sie schüttelte heftig den Kopf, als könnte sie so endlich ihr Gedankenwirrwarr von sich abwerfen und öffnete die Türen ihres Kleiderschranks. Sie verspürte kaum den Sinn danach, sich in etwas besonders Auffälligem oder Aufwändigem zu kleiden und so entschied sie sich für ein Paar ausgewaschene Jeans und einen dicken Wollpullover, der hoffentlich nicht nur so aussah, als könnte er einen vor der eisigen Kälte draußen schützen. Sie warf nochmal einen prüfenden Blick in den Spiegel und versuchte sich an einem zuversichtlichen Lächeln.
"Das wird schon werden, die anderen werden dich bestimmt auf schönere Gedanken bringen."
Redete sie sich leise gut zu und atmete tief durch. Dann öffnete sie die Tür und verließ ihr Zimmer.       

Sie folgte den sich fröhlich unterhaltenden Stimmen in die Küche und betrat diese gerade, als Cecilia, welche einen etwas eleganteren Auftritt mit einem gerade geschnittenen Midi-Kleid und einer leichten Steckfrisur gewählt hatte, sich und dem Besuch aus einer bauchig grünen Flasche nachschenkte. Ein drittes Glas stand unangetastet neben den beiden anderen mittlerweile wieder fast gefüllten Gläsern und schien nur darauf zu warten, endlich seinen Zweck erfüllen zu dürfen.
Ein wenig zögerlich trat Audrey zu den zwei Frauen hinzu und lenkte sogleich die Aufmerksamkeit ihrer Mitbewohnerin auf sich, welche sogleich einladend auf das noch immer leere Glas deutete.
"Audrey, möchtest du auch ein Gläschen Sekt?"
Diese überlegte für einen Moment, schüttelte dann aber leicht den Kopf und antwortete.
"Nein danke, aber ich bin gerne für einen Schluck Sprudelwasser zu begeistern."
"Na das lässt sich doch einrichten. Oh, und bevor ich es noch vergesse, Audrey, Fey. Fey, Audrey."
Stellte Cecilia breit lächelnd die beiden Frauen einander vor und Audrey viel es schwer, ihren Blick von der neuen Bekannten zu lösen, als sich diese nun zu ihr umdrehte. Sie war ein paar Zentimeter größer als Cecilia, aber noch immer gut einen halben Kopf kleiner als Audrey selbst. Ihre Haare trug sie mit vollem Pony zu einem glatten, kinnlangen Bob, welcher ihr in einer schmeichelnden Linie bis knapp unters Kinn reichte. Dichte Wimpern umspielten ihre nahezu schwarzen, mandelförmigen Augen, welche ihr Gegenüber mit einer unvergleichlichen Freundlichkeit anlächelten. Ihre Haut schimmerte in einem sanften Braun und wies einen leichten goldenen Hauch auf, als würde sie stets im schönsten Sonnenlicht baden. Das Outfit, welches sie gewählt hatte, wies den genauen Mittelweg zwischen Audreys und Cecilias Stilen auf. Sie trug eine elegant hochgeschlossene Bluse und dazu einen bunt gemusterten Faltenrock, der ihr bis zu den Waden reichte - er betonte ihre Taille genau an den richtigen Stellen. Unauffällig versuchte sich Audrey zu räuspern, hoffentlich hatte sie Fey nicht zu lange angesehen und dadurch für eine unbehagliche Atmosphäre gesorgt. Schnell rief sie sich innerlich zur Ordnung und erhob in einer plötzlich freudigen Aufregung die Stimme.
"Es freut mich sehr, dich kennenzulernen Fey."
Dann machte sie schon Anstalten, ihr die Hand zu reichen. Fey jedoch lachte daraufhin hell auf und zog Audrey in eine kurze, herzliche Umarmung. Ihre dunklen Augen strahlten mit dem breiten Lächeln auf ihren vollen rosafarbenen Lippen um die Wette, als sie dazu meinte.
"Wir sind doch nicht bei einem spießigen Vorstellungsgespräch, lass uns einfach ganz ungezwungen sein. Die Freude ist ganz meinerseits."
Audrey erwiderte das Lächeln mindestens genauso ehrlich und nickte zustimmend. Dankend nahm sie das Glas entgegen, das ihr Cecilia nun reichte. Die drei Frauen stießen freudig miteinander an und Audrey entschied sich dazu, das Gespräch richtig aufzunehmen.
"Woher kennt ihr euch eigentlich?"
"Oh, das ist eine sehr lange Geschichte."
Fey schien kurz in Erinnerungen zu schwelgen, ihre Augen bekamen einen verträumten Glanz und auch Cecilia wirkte positiv melancholisch gestimmt. Dann fuhr erstere fort.
"Kurz gesagt bin ich eines Tages während meines ersten Semesters auf der Suche nach einer besonderen 'Donna Summer' Single in dem Plattenladen gestrandet, in welchem Martin damals noch gearbeitet hat. Der hat natürlich gleich seine Chance gewittert, wollte mir die Welt der guten Musik näherbringen und ehe ich mich versah, lernte ich auch all die anderen kennen."
Audrey nickte verstehend und kratzte sich betont nachdenklich am Kinn, während sie in einer spielerischen Ernsthaftigkeit antwortete.
"Ja, das scheint wohl seine Masche zu sein, mir fallen gewisse Ähnlichkeiten auf."
"Mir nicht."
Cecilia zog eine leicht schmollende Grimasse.
"Mich hat Benedict in die ganze Sache reingezogen, das war super unspektakulär."
Ein einstimmiges Lachen erfüllte den Raum und nachdem sich die Gemüter wieder einigermaßen beruhigt hatten, setzte Fey das Gespräch fort.
"Apropos Benedict, ich muss mich heute nochmal richtig bei ihm dafür bedanken, dass er endlich meinen Keller ausgeräumt hat - gefällt dir denn deine Einrichtung, Audrey?"
"Wie, das waren deine Möbel?"
Audrey verschluckte sich vor Überraschung beinahe an ihrem eigenen Speichel. Fey nickte bejahend und blickte sie erwartungsvoll durch die rehhaften Augen an.
"Sie sind wirklich wunderschön. Ich hab mich sofort verliebt."
Brachte Audrey schließlich ein wenig schüchtern hervor und lächelte sanft.
"Kann ich mich denn irgendwie revanchieren?"
"Ich komme zu einem gegebenen Anlass nochmal darauf zurück. Aber merk dir schonmal, Modelle kann ich immer gebrauchen."
Erwiderte Fey mit einem spitzbübischen Schmunzeln und zwinkerte ihrem Gegenüber vielsagend zu, bevor sie ihr Glas leerte und meinte.
"Jetzt sollten wir uns wohl besser endlich auf den Weg machen, sonst lassen wir die anderen unhöflich lange warten."

The Sound Of MagicWo Geschichten leben. Entdecke jetzt