Ein Funke Magischer Musik

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Der graue Himmel des vormittäglichen Sonntags hing lustlos in tiefen Wolken über der Stadt und machte seine Tristheit mit frischen Windböen spürbar. Auf der Duke Street herrschte lichter Verkehr, lediglich ein paar Busse und wenige Autos passierten hin und wieder die Kreuzung und bliesen in dunklen Rauchschwaden ihre Abgase in die Luft. Der ein oder andere Anwohner hatte sich für einen kleinen Spaziergang in die Kälte hinausgewagt und wirkte im dicken Mantel und tief gezogener Mütze nahezu wie ein eingemummelter Pinguin. Die verschiedenen Geräusche aus Gesprächsfetzen und Verkehrslärm drangen gedämpft durch die doppelt verglasten Fenster der noch ruhig daliegenden Wohnung im dritten Stock des renovierungsbedürftigen Backsteinhauses an der Ecke zur Kent Street in die Wohnstube hinein. In der veralteten Küchenzeile brühte in einem emsigen Fleiß der Filterkaffee in der zuverlässig, zähen Maschine auf und das dadurch freigesetzte, intensive Aroma begann den gesamten Raum zu füllen. Durch die milchig angelaufenen Fensterscheiben bahnte sich leicht das schummrig blasse Tageslicht seinen zögerlichen Weg ins Innere. Rominas kleine schwarze Katze hatte es sich auf dem Sims bequem gemacht und döste in der Wärme der Heizung zufrieden vor sich hin. Der schwache Lichtstrahl erreichte nun endlich eines der alten Ledersofas und kitzelte in einer heimtückischen List die Nasenspitze der friedlich eingekuschelten Audrey, welche langsam aufwachte und dabei herzhaft gähnte. Schließlich öffnete sie blinzelnd die Augen, bevor sie diese schnell wieder zusammenkniff und ihre Hände intensiv an die Schläfen presste.
Mit einem Mal wurde ihr elendig schlecht und sie verzog das Gesicht leise murmelnd zu einer wehleidigen Miene.
"Meu deus, was ist denn jetzt los."
Vorsichtig drehte sie sich auf die andere Seite, vielleicht sollte sie einfach noch ein wenig länger schlafen und ihr Kreislauf spielte ihr gerade lediglich einen fiesen Streich. Die anhaltende Übelkeit ließ sie jedoch so ziemlich an dieser Theorie zweifeln und machte ihr einen gehörigen Strich durch die Rechnung. Audrey sah sich also dazu gezwungen, sich langsam und äußerst bedacht aufzusetzen. Jetzt erkannte sie auch endlich, wo sie sich überhaupt befand, und die ersten Erinnerungen der vergangenen Nacht schlichen sich zurück in ihr Bewusstsein. Ebenso übermannte sie schamlos die Erkenntnis, dass es definitiv nicht bei dem ersten Drink geblieben war. Ein niedergeschlagenes Seufzen entfuhr ihrer Kehle und sie stützte den Kopf zwischen den Händen ab. Wenigstens wusste sie jetzt, warum es ihr so elendig erging und sich ihr Mund so staubtrocken anfühlte.
"Nie, nie wieder."
Stieß sie erneut seufzend hervor, während sie dabei erneut die Augen zusammenkniff. Sie hörte, wie jemand das Zimmer betrat, machte sich jedoch nicht die Mühe nachsehen zu wollen, wer es war - immerhin war sie alleine schon mit sich selbst mehr als überfordert.
"So schlimm?"
Erkundigte sich Feys warme Stimme, sie schien etwas Flüssiges in ein Gefäß zu füllen.
"Brauchst du eine Schüssel für den Notfall?"
"Nein, nein. Es geht schon."
Gab Audrey gepresst von sich und zwang sich dazu, die Lider wieder zu heben.
War es vorher auch schon so unerträglich hell gewesen? Sie rieb sich nochmals die Schläfen und brachte sich mit genügend Überwindung dazu, eine richtig sitzende Position einzunehmen. Der ausgeblichene Teppich unter ihren nackten Füßen fühlte sich ungeheuerlich rau an. Tief durchatmend richtete sie unverwandt den Blick auf Fey. Diese lächelte leicht und trank einen Schluck aus ihrer Tasse.
"Du siehst ungefähr so aus, wie ich mich fühle. Wir haben es vielleicht ein bisschen übertrieben gestern."
"Wie viel haben wir bitte getrunken?"
Erwiderte Audrey zögernd und war sich dabei gar nicht so sicher, ob sie überhaupt die Antwort hören wollte.
Ihre Freundin zuckte lediglich mit den Schultern und stützte dann in grübelnder Manier das Kinn auf der Handfläche ab.
"Ehrlich gesagt habe ich nach dem Tequila aufgehört mitzuzählen."
Tequila? Audrey bemerkte plötzlich einen unerträglich festen Klumpen im Hals. Vielleicht sollte sie doch noch nach einer Schüssel fragen? Ein eisiger Schauer lief ihren Rücken hinab, als sie sich an den bitter heißen Geschmack des Shots, dem unangenehmen Gefühl von blankem Salz auf der Zunge und der pelzigen Benommenheit ihres Gaumens nach der säuerlichen Zitronenscheibe erinnerte.
"Nie, nie wieder."
Wiederholte sie einem Mantra gleichend und stand vorsichtig auf. Das Zimmer schien sich für einen Moment einmal komplett um sie herum zu drehen und ihre Sicht flimmerte auf, wie der Störbildschirm eines Fernsehers, sobald sich der Empfang verschlechterte. Sie hielt sich am Standbein des Deckenfluters fest, bis sich der Boden unter ihr nicht mehr gleichzeitig zu heben und zu senken schien. Dann ging sie betont langsam zu Fey.
"Magst du mir vielleicht auch was einschenken?"
"Aber sicher doch."
Erwiderte diese, kramte in einem der Hängeschränke nach einer besonders kitschig verzierten Tasse und schob diese wenig später Audrey zu. Ein schiefes Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. "Möchtest du vielleicht auch eine Kopfschmerztablette dazu?"
"Ich bezweifle stark, dass ich die bei mir behalten könnte."
Gab Audrey schlapp von sich und probierte einen winzigen Schluck der herrlich vertrauten Flüssigkeit. Sie spürte, wie die Hitze ihre Kehle hinunterwanderte und sich langsam der Kloß in ihrem Hals zu lösen schien.
"Wo ist eigentlich Romina?"
"Die schlummert wahrscheinlich noch gemütlich bei Will vor sich hin, zumindest geh ich mal davon aus. Ich muss mich auch gleich losmachen, hab noch viel zu erledigen."
Audrey nickte verstehend und musterte ihre Freundin für einen Augenblick. Sie legte den Kopf leicht schief.
"Ich hab dich noch nie ohne Perücke gesehen, die kurzen Haare stehen dir auch super."
"Danke."
Erwiderte Fey ein wenig knapp, ging zum Esstisch und hob ihren kleinen beigen Rucksack von einem der Stühle hoch.
"Also dann. Falls du doch noch eine Tablette brauchen solltest, die sind im großen Badezimmer gleich im Spiegelschrank. Halt die Ohren steif Audrey, spätestens heute Abend geht es dir wieder gut - so ein Kater geht zum Glück schnell vorüber."
Sie durchquerte das Zimmer und drehte sich im Türrahmen zum Flur nochmals um.
"Und weck bitte Ben auf, falls er in einer Stunde immer noch nicht seine Höhle verlassen hat."
"Geht klar."
Erwiderte Audrey, winkte ihrer Freundin zum Abschied zu und überlegte dann, ob sie sich wieder setzen sollte oder doch einer dieser Tabletten eine Chance geben konnte. Mit dem Stehen wurde es langsam schwierig und sie merkte, wie ihr Puls allmählich in die Höhe schoss. Sie entschied sich für die zweite Option und stellte vorher aber noch die halb geleerte Tasse auf dem Esstisch ab, bevor sie die linke der beiden Türen neben der Küchenzeile ansteuerte.

The Sound Of MagicWhere stories live. Discover now