Kapitel 51

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Schock.

Angst.

Überforderung.

Mit Tränen in den Augen blicke ich auf das Untersuchungsergebnis in meinen Händen. Wie von selbst gleiten meine Finger zu der großen Narbe an meiner rechten Hüfte.
"Kann ich irgendetwas für dich tun, Louis?" Ich zucke zusammen, als Ethan seine Hand auf meine Schulter legt. Das scheint ihm als Antwort zu reichen. Für mich kann man gerade nichts tun. "Ich hole Harry zu dir, ja?" Als er zur Tür geht, zerknülle ich das Blatt Papier und stopfe es in meine Hosentasche. Anschließend sitze ich wieder wie erstarrt auf dieser Liege. Erst als leise Schritte zu hören sind, die vor mir verstummen, stoppt das Rauschen in meinen Ohren und mein Blickfeld dreht sich nicht mehr. "Lou." Harry schlingt seine Arme um mich und hält mich einfach nur fest. "Du bist nicht allein", flüstert er und gibt mir mehrere Küsse auf die Stirn und Schläfe, "ich bin bei dir. Für immer."

Ich bin wie in Trance. Meine Gedanken hindern mich daran, auch nur irgendetwas zu tun. "Er braucht Ruhe. Es war viel für ihn. Wenn du willst, könnt ihr noch ein paar Nächte hier schlafen, bevor ihr wieder nach Hause geht", schlägt Ethan vor. Harry blickt kurz zu mir. "Möchtest du hierbleiben, Love?" Ich antworte ihm nicht. Stattdessen stehe ich mit zittrigen Beinen von der Liege auf, nur um zusammenzubrechen und in Harrys Armen zu landen. "Also gehen wir nach Hause?", versichert der Alpha sich vorsichtig. Er hat meine Reaktion also richtig gedeutet.

"Na gut. Passt auf euch auf, ja? Vielleicht sehen wir uns irgendwann ja mal wieder", sagt Ethan. Harry bringt mich nach draußen und setzt mich auf einem Stuhl ab. "Warte kurz hier, ja? Ich bin gleich wieder zurück."

Er verschwindet mit Ethan zurück in den Flur, doch durch die angelehnte Tür verstehe ich trotzdem noch die leisen Stimmen.

"Was hat deine Untersuchung ergeben? Kann Louis schwanger werden?" - "Dazu kann und darf ich dir leider keine Auskunft geben. Lass Louis Zeit. Wenn er soweit ist, wird er es dir selbst sagen." Harry seufzt laut. Er klingt verzweifelt. "Aber ich muss ihm doch irgendwie helfen."
"Sei für ihn da. Egal was die Untersuchung ergeben hat. Liebe ist kostbar, Harry. Sie ist das Kostbarste, was es auf der Welt gibt. Zeig Louis, dass du ihn liebst, dass du für ihn da bist. Er braucht dich jetzt."

Harry murmelt noch irgendetwas Undeutliches, dann kommt er zurück und hilft mir auf die Beine. "Machs gut, Ethan. Und vielen Dank", sagt er, bevor er sich wandelt. Ich dagegen sage nichts. Aber Ethan weiß, dass auch ich ihm dankbar bin. Nun habe ich endlich Gewissheit. Harry dreht seinen Kopf etwas und unterstützt mich dabei, als ich wieder auf seinen Rücken klettere. Ich hätte gerade keine Kraft, wieder zurück zum Rudel zu laufen. Auch wenn ich einige Stunden Zeit hatte, um mich auszuruhen, aber das Ergebnis auf dem Zettel in meiner Hosentasche ermüdet mich. Wobei es nicht allein das Ergebnis ist. Viel mehr war es das Gespräch mit Ethan. Noch nie habe ich jemandem all diese Dinge erzählt. Ich weiß noch nicht, ob ich mich diesbezüglich nun gut oder schlecht fühlen soll; in mir herrscht eine merkwürdige Leere. Auf der einen Seite schwirren tausende Gedanken in meinem Kopf herum, doch gleichzeitig setzen diese Fetzen sich nicht zu etwas Sinnvollem zusammen.

Sobald ich gut sitze, streift Ethan mir noch den Rucksack über die Schultern, der nun wieder mit ordentlich Essen gefüllt ist. "Vergesst nicht, dass keiner von euch beiden allein ist, ja?", versichert sich der Ältere leise. Nach einem sachten Nicken meinerseits und Harrys bestätigendem Brummen setzt der Wolf sich in Bewegung und trabt eilig los. Wie von selbst krallen meine Finger sich in sein schwarzes Fell. Durch den kalten Wind, der um uns weht, steigen mir Tränen in die Augen. Vielleicht ist auch gar nicht nur der Wind Schuld, wer weiß das schon. Ich spüre das Blatt Papier in meiner Hosentasche. Es ist nur ein verdammter Zettel und dennoch fühlt es sich an, als würde dieser meine Haut verbrennen; genau an dieser Stelle, an der meine Tasche liegt. Ich habe keine Ahnung, was ich mir von diesem Treffen mit Ethan erhofft hatte.

Secret white lies - L.S.Where stories live. Discover now