Kapitel 9

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"Und? War Harry so schlimm?", fragt Liam, als wir zurück zu seiner Hütte laufen. Ich zucke mit den Schultern. "Ich weiß nicht".

- "Louis, ich weiß nicht, was du in deiner Vergangenheit alles erlebt hast, aber wird es nicht Zeit, damit abzuschließen?", fragt Liam. - "Das kann ich nicht", entgegne ich kurz angebunden. "Und warum nicht?"
Ich verdrehe die Augen. "Es ist kompliziert."
Liam nickt langsam. "Louis, hör mal... ich weiß, das klingt jetzt gemein und absolut nicht einfühlsam, aber... du gehörst jetzt zu diesem Rudel und du solltest Harry als deinen Anführer akzeptieren".

Ich bleibe stehen.

"Wie bitte?!", fauche ich wütend. Liam zuckt mit den Schultern und sieht mich mit einem nicht deutbaren Blick an. "Es ist nur die Wahrheit. Du behandelst Harry, als wäre er ein Monster, dabei ist er einfach nur unfassbar liebenswürdig. Ich weiß, dass er auf den ersten Blick nicht so rüberkommt, aber du gibst ihm ja nicht mal die Chance, sich vorzustellen! Entweder zu machst dir vor Angst fast in die Hose oder du sitzt da wie ein Häufchen Elend und ignorierst ihn!"
Ich starre Liam geschockt an.
Dann ergreift mich die Wut.

"Was fällt dir ein, so etwas zu sagen!? Du hast doch keine Ahnung! Du weißt weder, was ich in meiner Vergangenheit alles erlebt, noch was ich nicht erlebt habe! Ich weiß nun mal nicht, wie es sich anfühlt, gemocht und geschätzt zu werden! Und du nimmst dir die Frechheit heraus, so einen Müll zu behaupten!"
Liam will gerade wieder zu irgendeinem Mist ansetzen, als ich ihm Schritt für Schritt von mir wegschubse.

"Ich habe mir doch nicht einmal ausgesucht, in diesem verdammten Rudel hier zu leben! Du hast mich einfach her gebracht, ohne mich überhaupt zu fragen! Warum hast du mich nicht einfach liegen lassen, hm?!"

Liam setzt erneut an, irgendeinen Mist zu sagen, als ich ihm einen letzten kräftigen Schubser verpasse und anschließend in die entgegengesetzte Richtung laufe. Zurück zum Lagerfeuer. Ich möchte nicht länger mit Liam zu tun haben. Er kann mir gestohlen bleiben.
Wie kann man so einen verdammten Mist über jemanden sagen, wenn man absolut nichts von dieser Person weiß? Ich dachte nicht, dass Liam so ein Idiot ist!
Wütend kicke ich einen kleineren Ast zur Seite. Dann trete ich gegen einen Baum. Im gleichen Moment tut es mir jedoch leid. Der Baum kann nun wirklich nichts dafür.
Wenige Meter vor dem Lagerfeuer, wo noch einige aus dem Rudel sitzen, hält mich eine Stimme zurück.

"Louis? Was machst du noch hier draußen?"

Ich erstarre. Dann drehe ich mich langsam um. Vor mir steht Harry und mustert mich mit schief gelegtem Kopf. Ich fühle mich unwohl unter seinem Blick. "Hat Liam dich verärgert?" Als ich ihm immernoch nicht antworte, sondern stattdessen nur verwirrt in seine Augen sehe, schmunzelt er. "Ich kann riechen, dass du wütend bist. Jeder hier riecht das", erklärt er. Sofort werden meine Wangen knallrot und ich blicke auf den Boden. Dann drehe ich mich schließlich um und gehe Richtung Wald. "Wohin möchtest du?", fragt Harry. Ich antworte ihm nicht. Welch ein Wunder.
Doch es scheint Harry nicht davon abzuhalten, mir zu folgen. "Kann ich mit dir gehen?", fragt er weiter. Ich zucke mit den Schultern. Eigentlich möchte ich das absolut nicht, aber ich habe keine Lust, mit ihm zu reden. Also folgt er mir stillschweigend.
Unser Weg führt durch den dunklen Wald. Es ist leise. Der Mond scheint zwischen den Bäumen hindurch und zeigt uns den Weg. Ab und zu sieht man ein Reh hindurch flitzen.

Irgendwann kommen wir an meinem Ziel an.

Ohne etwas zu sagen, setze ich mich an das Ufer des kleinen Baches und ziehe meine Schuhe aus. Dann lasse ich meine Füße in das Wasser hängen. Harry macht es mir ohne zu zögern nach. Er sitzt mit großem Abstand zu mir und blickt sich um. Währenddessen mustere ich ihn unauffällig. Ist er wirklich so liebevoll wie Liam sagt? Aber er ist doch ein Alpha! Wie kann er da liebenswürdig sein?
Harry streicht sich eine widerspenstige Locke aus dem Gesicht und blickt dann auf das Wasser. Der Mond glitzert auf der dunklen Oberfläche und einige Nebelschwaden wabern darüber. Eigentlich sieht das wunderschön aus, doch mein Blick liegt immernoch auf Harry. Seine Augen funkeln grün. Smaragdgrün.
"Louis?"
Sobald Harry mich anspricht, wende ich mich sofort wieder ab. Er seufzt leise. "Darf ich dir eine Frage stellen, Louis?" Ich zucke mit den Schultern. "Wie alt bist du?", fragt Harry. Ich runzle die Stirn. Er könnte mich alles fragen und dann interessiert ihn nur so etwas banales wie mein Alter? "Ich weiß, das klingt merkwürdig... Aber es interessiert mich. Du wirkst so viel älter, als du glaube ich überhaupt bist. Ich vermute, dass du sehr viel erlebt hast. Viel Schlechtes." Ich senke meinen Blick. Damit hat er wohl ins Schwarze getroffen.
"Achtzehn", flüstere ich. Harry nickt langsam. - "Achtzehn Jahre erst und schon so geprägt von der Vergangenheit..." Als er merkt, dass ich nicht verstehe, worauf er hinaus will, nimmt er seine Beine aus dem Wasser und dreht sich zu mir. "Deine Augen. Sie sehen so unfassbar traurig und ängstlich aus. Es... es schmerzt mir im Herzen, Louis. Auch wenn wir keine Bindung haben, aber... ich spüre das".

Secret white lies - L.S.Where stories live. Discover now