Kapitel 42

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Tatsächlich bleibt der Lockenkopf erneut stehen und dreht sich zu mir um. Er mustert mich ausgiebig, als ich näherkomme. In seinen Augen schimmert Hoffnung. Und es tut mir jetzt schon weh, diese zu zerstören.

"Hast du dich etwa schon entschieden?", fragt Harry leise. Ich nicke und ziehe ihn an seiner Hand hinter mir her. Während wir zurück zum See laufen, schweifen wir. Wie so oft. Jeder hängt seinen Gedanken nach. Ich weiß absolut nicht, ob ich die richtige Entscheidung getroffen habe. "Ist es ein gutes oder schlechtes Zeichen, dass du nichts sagst?"
Ich sehe zu Harry auf und blicke in seine unsicheren Augen. "Keine Ahnung", gebe ich zu.
Als wir schließlich wieder angekommen sind, setzen wir uns auf einen Baumstamm, der am Rand der Lichtung liegt. Ich drehe mich zu dem Alpha und nehme seine Hände wieder in meine. "Also ich... ich habe mich entschieden.. glaube ich.." Der Kloß in meinem Hals verhindert, dass ich weitersprechen kann. Während ich mich ausgiebig räuspere, wartet Harry geduldig. Jedoch scheint er relativ schnell zu merken, dass mir die Worte irgendwie einfach fehlen. "Louis, ich akzeptiere deine Entscheidung. Du hattest versprochen, dass du dem Ganzen eine Chance gibst und das hast du auch getan. Manche sind nun einmal Einzelgänger, das kann man nicht ändern. Und ich hatte lange genug Zeit, einen passenden Omega zu finden, doch ich habe es nie Ernst genommen, dass dies so schwierig werden könnte. Naja und nun habe ich eben Pech. Beim nächsten Vollmond werden wir den Biss also rückgängig machen." Erst jetzt verstehe ich richtig, worauf Harry hinaus möchte. "Du ähm.. du würdest es einfach akzeptieren?", frage ich mit großen Augen. Er nickt langsam und lächelt sachte. "Ich kann dir nun mal nicht böse sein." Gerührt senke ich meinen Blick und drücke seine Hände ein wenig fester. "Du bist lieb."

"Nur leider bringt mir das nichts", stellt er betrübt fest und löst seine Hand aus meiner. Er streicht nachdenklich über das Mal an seinem Hals. "Du liegst falsch, Haz." Ich rutsche dichter zu ihm und lege meine Hand an seine Wange. "Aber.. was meinst du?", fragt er verwirrt. Seine Augen huschen über mein Gesicht. Er scheint sich jedes Detail einzuprägen, das er finden kann. "Ich werde dich nicht verlassen."

Harry seufzt und schüttelt mit dem Kopf. "Du musst nicht aus Mitleid bei mir bleiben. Ich verstehe wirklich, wenn-"

"Ich habe kein Mitleid. Stattdessen.. ich... ich habe wohl irgendwie Gefühle für dich entwickelt, ohne es zu merken. Oder zu realisieren. Vielleicht wollte ich es auch nicht wahr haben. Nach den zwei Jahren mit Alec schwor ich mir, mein Herz an niemanden mehr zu vergeben. Weißt du, in dieser Zeit bei ihm... es war schrecklich. Es war die schlimmste Zeit meines Lebens. Und trotzdem nahm ich diese nicht als solche wahr, als ich bei ihm lebte. Ich... ich fühlte mich so abhängig von ihm. Als würde ich niemals ohne ihn auskommen."
Harry blinzelt verwirrt und runzelt die Stirn. "Hattest du Gefühle für ihn?"

"Ich fürchte ja. Er tat so vieles, was jetzt im Nachhinein betrachtet einfach nur herzlos, grässlich und enttäuschend war. Er ließ mich immerzu schlecht fühlen. Doch trotzdem schaffte er es irgendwie, dass ich bei ihm bleiben wollte", erzähle ich weiter. - "Das lag bestimmt an der Bindung, oder?" Ich nicke langsam. "Ich war an ihn gebunden aber er nicht an mich. Für ihn spielte es keine Rolle, wie sehr er mich verletzte, es war ihm egal. Doch mir brach es jedes mal das Herz, wenn er mich ausnutzte und komplett über mich bestimmte. Abhauen konnte ich nicht. Schon wenn er jagen war und ich nicht mit durfte, hatte ich überall Schmerzen, die kaum auszuhalten waren. Erst wenn er wieder bei mir war, ging es mir besser." Die Falte auf Harrys Stirn wird immer größer. Er scheint immernoch nicht zu verstehen, worauf ich hinaus will. "Das tut mir leid", murmelt er. -"Das muss es nicht. Eigentlich wollte ich es gar nicht erzählen. Ich möchte kein Mitleid, verstehst du? Anderen geht es deutlich schlechter als mir und außerdem... ich habe ja jetzt dich", sage ich, wobei ich meine Lautstärke während des letzten Satzes immer mehr senke. "Was meinst du damit?", fragt Harry, doch seine Frage klingt absolut nicht drängend, eher rücksichtsvoll und behutsam. "Ich meine, dass... ich möchte bei dir bleiben, Haz." Überrascht öffnet Harry seinen Mund ein wenig und blinzelt ein paar mal. "Ehrlich?", hakt er erstaunt nach. Für den Bruchteil einer Sekunde wandert sein Blick zu meinen Lippen. Verlegen nicke ich und beiße auf meine Unterlippe. "Natürlich nur wenn du es auch möchtest... also vielleicht magst du meine Vergangenheit ja nicht oder-"

Secret white lies - L.S.Where stories live. Discover now