Nachrichten aus Wales

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Das alte Jahr verging und ein neues brach herein. Silvester verbrachte Audrey mit Martin und Benedict zusammen im 'The Motel', in welchem dessen Wirt seine allerseits berüchtigte Neujahresfete veranstaltete. Die Tage waren kurz und grau. Die Stadt fühlte sich durch die fehlenden Studenten und Pendler, welche über die Feiertage nach Hause gefahren waren, unwirklich leer an. Ein eisiges Tief hatte sich über die Merseyside gelegt. Es brachte eine unausstehliche Kältewelle über den Tag und gefährlichen Frost in der Nacht mit sich. Audrey konnte sich morgens kaum dazu überwinden, über die spiegelglatten Bürgersteige zur Arbeit zu gehen und am Abend erwärmte sie nicht einmal eine Tasse voll heißer Schokolade vor dem Schlafengehen. Nachts brauchte sie zwei dicke Wolldecken, da sie sonst das Gefühl hatte erfrieren zu müssen. Ein verheißend heulender Wind bahnte sich dann seinen Weg durch die Ritzen der Fenster und zog in verspielten Kreisen seine Runden durch die gesamte Wohnung. Nicht einmal die bis zum Anschlag aufgedrehte Heizung konnte sich gegen ihn behaupten und blies ihre Wärme in die Leere. Audrey wünschte sich in diesen Momenten die brasilianische Sommersonne herbei und verfluchte den vermaledeiten, britischen Winter, der ihr jedes Jahr härter zu werden schien. Dann zog sie sich wieder die Decken hoch bis zur Nasenspitze und versuchte sich von ihrer Müdigkeit übermannen zu lassen. Nach der ersten Januarwoche trudelten schließlich die ersten Verreisten in der Stadt ein und die Fußgängerzonen erwachten langsam zum Leben. Romina war bereits zwei Tage nach Silvester wieder in ihrer Wohngemeinschaft anzutreffen und wirkte äußert glücklich, zurück auf der Insel zu sein. Auf Fragen, wie ihr Weihnachten und Jahreswechsel gewesen waren, antwortete sie lediglich in knappen Sätzen, wenn nicht sogar einsilbig. Audrey und Benedict beließen es dabei und verzichteten darauf, noch weiter nachzubohren. Cecilia kehrte kurz nach dem Dreikönigstag zu Hause ein. Zwar berichtete sie, ihre Feiertage seien ein voller Erfolg gewesen, jedoch habe sie sich eine kleine Erkältung eingefangen und Silvester somit leider im Bett verbracht. Ihre Freunde vermuteten, dass es sich dabei wohl eher um eine fiese Grippe gehandelt haben musste, immerhin erfüllte das kratzige Husten der zierlichen Autorin noch immer regelmäßig die gesamte Wohnung. Audrey entschloss sich dazu, ihr dementsprechend großräumig aus dem Weg zu gehen. In ihrem Leben hatte sie bisher nie mehr als leichtere Krankheitssymptome gehabt und deshalb war sie nicht besonders interessiert daran, herauszufinden wie sich eine richtige Grippewallung anfühlte. Durch das dauerhafte Kältetief war ihr Immunsystem bestimmt ohnehin schon ununterbrochen beschäftigt. So umsorgte sie also Cecilia - welche das übervorsichtige Gehabe ihrer Freundin als äußerst affig empfand - bis es ihr besser ging aus der Ferne mit verschiedenen Tees, Suppen oder ähnlichem und verbrachte den Rest der Zeit damit, sich in ihrem Zimmer zurückzuziehen, wenn sie nicht gerade Martin in seinem Laden Gesellschaft leistete. Nach gut einer Woche war der Krankheits-Spuk dann auch endgültig vorbei und Audrey fühlte sich sicher genug, ihrer Mitbewohnerin wieder angemessen gegenüberzutreten.

Als Cecilia wieder vollkommen genesen war und zu ihrer Arbeit in Emilys Buchhandlung zurückkehrte, nutzte Audrey sogleich ihre Chance und gönnte sich an ebendiesem Tag einen extra langen, faulen Vormittag in der gemütlichen Wärme ihres Bettes. Das triste graue Wetter war ohnehin zu mürrisch, um auch nur einen Schritt hinauszuwagen und so beobachtete sie dieses mit schläfrigen Augen durch die Sicherheit des dicken Fensterglases. Innerhalb der letzten Nächte hatte sich ein kräftiger Wind aus dem Norden über dem Meer zusammengebraut und seine stürmischen Böen erfüllten die Stadt am Mersey seit den frühen Morgenstunden mit seinem verheißungsvollen Heulen. Allein diese unbehaglichen Geräusche ließen Audrey tief erschaudern und sich noch mehr in ihrer kuscheligen Decke einmummeln. Sie beneidete wirklich niemanden, der bei einem solchen Unwetter draußen unterwegs sein musste. Hoffentlich würde Cecilia nicht noch von den Winden verweht werden, immerhin war sie doch lediglich eine halbe Portion an Person. Audrey schüttelte heftig den Kopf. Nein, nein, ihre Freundin war zäh, ihr passierte bestimmt nichts. Ein herzhaftes Gähnen verließ ihre Kehle und sie rieb sich schwerfällig die noch immer leicht verschlafenen Augen. Mit einem Mal gelüstete es ihr nach einer heißen Tasse voll frisch aufgebrühtem Kaffee. Ihr Magen gab ein entschlossenes Knurren von sich. Ein Teller Scones mit Brombeermarmelade passte bestimmt ausgezeichnet dazu. Audrey erhob sich also ein wenig steif aus ihrem Bett, streckte sich ausgiebig und zog sich ihren Morgenmantel über. Sie warf einen zaghaften Blick in den Spiegel. Der Anblick, welcher sich ihr bot, erschreckte sie nicht einmal, immerhin war ihr ihre morgendlich verknotete Löwenmähne mittlerweile eine vertraute Morgenroutine geworden. Normalerweise reichte ein geübter Schwung mit dem Zauberstab und das zerzauste Haarnest wich seiner eleganten Lockenpracht, heute aber entschied sich Audrey ihr Gewirre mit einem ungeschickten Dutt zurückzuhalten - zumindest vorübergehend. Nochmals begutachtete sie ihr verschlafenes Selbst im Spiegel und nickte sich dann halbwegs zufrieden mit dem Ergebnis zu. Dann verließ sie ihr Zimmer und steuerte zielstrebig auf die Küche zu. Sie war Cecilia mehr als dankbar, dass diese keinen Filterkaffee mochte und dementsprechend auf alternative Methoden zum Aufbrühen zurückgriff. Audreys Favorit hierfür war definitiv die French Press, in welcher man lediglich heißes Wasser auf das Kaffeepulver schütten musste und dieses nach einer kurzen Wartezeit mithilfe des eingebauten Siebs langsam auf den Boden der Karaffe presste. Eine herrliche Erfindung, musste sich Audrey insgeheim eingestehen, während sie die dunkle Flüssigkeit beim Ziehen beobachtete und diese schließlich in eine besonders große Tasse füllte. Für einen Moment liebäugelte sie mit dem Gedanken, ihren faulen Vormittag auf die Couch auszuweiten und eine dieser witzigen Muggelserien anzusehen, welche eine amerikanische Großfamilie in ihrem Alltag begleitete, jedoch lockte sie letztendlich die Gemütlichkeit der Sitzecke ihrer Mitbewohnerin und die dort gelagerten Buchskripte hinauf auf die Galerie. Nachdem sie die hölzerne Wendeltreppe erklommen hatte, warf sie einen missmutigen Blick durch das fabrikatorische Sprossenfenster hinaus auf die triste Dachterrasse und stierte ungläubig direkt in die abwartenden dunklen Augen eines kleinen Waldkauzes. Zögerlich stellte sie ihre Tasse auf einem kleinen Beistellschränkchen neben der Terrassentür ab, bevor sie diese langsam öffnete, ihren Morgenmantel noch ein wenig enger um sich schlang und letztendlich hinaus auf die eisigen Steinfliesen trat.
"Theobald, was machst du denn hier?"
Flüsterte sie und ging vor der niedlichen Eule in die Hocke. Der Kauz klapperte leicht mit dem Schnabel und hielt ihr auffordernd das linke Beinchen hin, an welchem ein beigefarbener Umschlag mit dem berüchtigten aventuringrünen Siegel des Foulkes Clans befestigt war.
"Oh."
Entfuhr es Audrey und sie nahm den Brief mit steifen Fingern an sich. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder an den kleinen Waldkauz, welcher nun selbst seinen Kopf zu neigen schien und ihr liebevoll den Finger knabberte. Unwillkürlich biss sie sich auf die Unterlippe und räusperte sich.
"Um ehrlich zu sein, muss ich dich gleich wieder wegschicken, Theobald. Ich werde Meine mit einer von Bills Eulen antworten."
Der Kauz verengte leicht die Augen, als wolle er sie alleine für die Erwähnung anderer Postboten strafen, bevor er die Flügel aufspannte, ein wenig flatterte und dann lautlos in den Himmel hinaufflog. Audrey sah ihm mit einem leisen Seufzen hinterher und betrat wieder das beheizte Innere der Wohnung. Lange stierte sie den Briefumschlag argwöhnisch an, während sie die heiße Kaffeetasse in den Händen hielt und sich mithilfe dieser wieder aufwärmte. Eigentlich wollte sie ihn nicht lesen, aber andererseits war er von Charmaine und sah so dick aus, als hätte sie mindestens drei Seiten beschrieben. Für einen weiteren Augenblick rang Audrey noch mit sich, dann stellte sie die Tasse auf den Tisch und riss den Umschlag auf. Manchmal war ihre Neugierde ein einziger Fluch.

The Sound Of MagicWhere stories live. Discover now