~30~ (p.o.v.)

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P.O.V.  Joshua

Ich strich ihr mit dem Blatt des Federblatts über die Wange. Mayra lächelte und wurde mindestens genauso rot wie das Hæksenkraut. Wirklich schade, dass ich sie in den nächsten Tagen, mit etwas Pech vielleicht auch Wochen, nicht sehen würde.

Wir wechselten die letzten Worte. Dann fuhr ich ihr ein letztes Mal durch das Haar und drehte mich weg. Ich musste los. Die Zeit drängte.

Einen letzten Blick über die Schulter werfend betrat ich den Wald. Mayra hatte mir zugewunken... Ich atmete tief durch.

Es war keine gute Idee, diesen Weg zu wählen. Doch erst auf der anderen Seite des Rosenquarztals konnte ich darauf hoffen, auf schnellstem Wege zurück zu Marens Wirtshaus zu gelangen. Und das ohne die zerklüfteten, toten Gebirgspassen der Drachen durchqueren zu müssen. Vielleicht würde ich zwischendurch auch noch ein wenig Kopfgeld kassieren, sollten SillyDan und seine Leute auftauchen.

***

Ich hatte die Wiese, auf der das alte, heruntergekommene Haus meines Vaters stand, schneller erreicht, als ich gedacht hatte. Der Wohnraum sah genauso verwüstet aus wie immer, und es war genauso einsam.

Kein Brief an der Wand, kein neuer Einschlag eines Nagels.

Tu sangre

ritzte ich abermals in das Holz und füllte die Kerben mit frischem Hæksenblut. Auf den Boden legte ich eine kleine Notiz 'suche dich', falls Eléh hier auftauchen würde.

Dann stieg ich die knarzenden, zersplitterten Treppenstufen hinauf. Es war ein seltsames Gefühl gewesen, neulich mit Mayra herzukommen.

Und ich hasste es einfach, von meiner Vergangenheit zu sprechen. Ich hatte damit abgeschlossen, und es sollte auch so bleiben. Jemandem davon zu erzählen würde bedeuten, es wieder Realität werden zu lassen. Und außerdem waren die Reaktionen immer gleich und die Situation grauenhaft unbehaglich.

Außerdem gab Mayra mir gerade die Chance, neu anzufangen.

Mein Blick viel auf einen kleinen, roten Fleck an der Wand, im Laufe der Jahre schon längst schwarz geworden. Hier war meine allererste Narbe entstanden. Die erste von denen, die mich nun unverkennbar machten.

Ich war acht Jahre alt. Meine Schwester stand mit ihren gerade mal elf Jahren vor mir und versuchte, mich zu schützen. Ich reichte ihr gerade bis zur Brust.

"Eléh, geh mir aus dem Weg!", schrie die cholerische Stimme hinter ihr. Vater. Wie immer.

"Noch habe ich dir verziehen, dass du Halbelbin bist - willst du, dass sich das ändert?! Das hätte deine Mutter bestimmt nicht gewollt!" Eléh begann zu zittern. Aber wir beide blieben still und rührten uns nicht.

Er zerschlug die Flasche an der Tischkante. Alkohol rann durch seine von Scherben verschnittenen Hände. Er griff nach den Splittern, ignorierte den Schmerz, und schleuderte sie zu uns herüber. Eléh fuhr herum, beugte sich über mich. Warum schützte sie mich? Warum gab sie mir nicht genauso die Schuld wie Vater, Jakob und Aaron? Die Brüder standen hinter ihm und starrten uns ausdruckslos an.

Eine Scherbe traf meine rechte Schläfe. Der Schnitt war klein, doch das Blut lief mir heiß über das Gesicht, genauso wie die Tränen. Warum?

Nein, das stimmte nicht ganz - es war die zweite Narbe gewesen. Die erste hatte ich nach meiner Geburt bekommen, um mich als uneheliches Kind zu kennzeichnen. Bastard.

Ich kniff die Augen zusammen, schüttelte die Erinnerungen von mir ab. Man mochte denken, dass mich die Erinnerungen schmerzten, dass ich traumatisiert war, dass ich Angst hatte, über meine Familie zu sprechen. Aber das stimmte nicht.

Golden FairytaleWhere stories live. Discover now