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Ich saß neben Joshua auf dem breiten Fels. Die beiden Schützen standen uns gegenüber und stellten sich vor.

"Wir sind Räuber. Gesetzlose. Verbrecher. Aber wir sind gute Menschen - und kümmern uns noch besser um unseren Ruf", erklärte der eine.

"Niemals würde uns jemand ausliefern, denn wir bestechen und helfen. Und jede Frau des Landes verfällt uns nach wenigen Augenblicken", ergänzte der andere. Sie klopften sich grinsend auf die Schultern.

"Warum?", brachte ich knapp, mit immer noch belegter Stimme, hervor.

"Wir sind bekannt geworden durch einen... sagen wir mal, kleinen Vorfall auf dem Marktplatz. Wir haben mal wieder unsere Raubzüge durchgezogen, da hat uns unser Vater erwischt, den wir seit mehreren Jahren nicht gesehen hatten. Wir hatten uns schließlich unser eigenes Leben aufgebaut."

Der Zweite fuhr fort. "Wir sind Brüder, müsst Ihr wissen, Werteste. Die meisten von uns zumindest. Nunja, er hat geschrien: Meine Söhne sind Diebe, meine Söhne, ich fasse es nicht, was ist aus euch geworden?!, und ist zusammengebrochen. Wir haben ihn aufgefangen, ihm geholfen und uns reizend gekümmert. Durch den Akt der Menschlichkeit und Familienliebe haben uns die Umstehenden nicht bei unserer Flucht aufgehalten - weshalb auch immer..."

Der Zweite löste ihn vom Sprechen ab. "Das war ein großer Vorteil - den wir erkannt haben. Seitdem haben wir mit Absicht an diesem Bild gearbeitet, bis wir es uns zugunsten geschaffen haben. Wir sind die unverschämtesten Süßholzraspler, aber wir sind unglaublich authentisch charmant." Wieder schlugen sie ein.

"Und als unattraktiv kann man uns auch nicht bezeichnen, habe ich recht?", gurrte der andere und strich mir über die Wange. Verstört zuckte ich zurück. Ich war noch immer zu geschockt und das Adrenalin pulsierte wie eh und je in meinen Adern.

Um mich zu beruhigen wandte ich mich Joshua zu. "Zeig mir mal bitte deine Verletzungen und gib mir das Desinfektionsmittel", krächzte ich angestrengt nach Ablenkung suchend.

Er beugte sich zu mir vor, stellte das kleine Fläschchen neben mir auf den Stein. Vorsichtig hob ich die Kompresse an. Die Schnitte sahen deutlich besser aus als erwartet. Behutsam löste ich die Verbandsmaterialien und tupfte noch einmal mit einem desinfizierten Wattepad über die dünnen, bereits verheilenden Einschnitte. Diesmal zuckte Joshua nicht zurück. Gut, es brannte also nicht mehr sonderlich. Und nichts war besser als frische Luft für diese Verletzung. Es waren nur noch feine, dunkelrot verkrustete Narben.

"Und?", fragte er, während er mir in die Augen sah.

"Sieht schon sehr viel besser aus. Tut es noch weh?"

Er schüttelte den Kopf. Aber um seine Hand bangte ich noch. Die Wunde war deutlich heftiger gewesen.

"Lass nur. Das wird schon. Später." Joshua legte seine andere Hand über den Verband, als er meinen Blick bemerkte. Ich nickte nur.

"Wie geht es dir?", fügte er mit einem forschenden Blick in mein Gesicht hinzu.

Ich sprang auf, klopfte rasch meine Hose sauber, die kein bisschen dreckig war. "Gut. Wie du siehst. Klar, ich war auf so eine Situation nicht vorbereitet gewesen, aber ich lebe noch, also fertig. Alles in Ordnung." Meine Worte klangen schärfer und knapper als beabsichtigt. Aber ich hatte es satt, andauernd über- oder unterschätzt zu werden. Nein, nur nicht, ich weiß nicht, dass ich mich in Sicherheit bringen muss, wenn Pfeile an meinem Kopf vorbeirasen. Ach ja, ich weiß übrigens, was Pfeile sind, ja.

Ich seufzte. " 'tschuldigung", murmelte ich und lehnte mich wieder an den kühlen Stein.

Joshua rutschte von der Felskante herunter, nahm den Degen, den er an der Seite angelehnt hatte, und breitete die Arme aus, um die Aufmerksamkeit unserer winzigen Gruppe auf sich zu ziehen. "Wir sollten weiter. Zu Fuß brauchen wir noch knapp eine Stunde bis zum Wasser." Dann strich er mir kurz mit einem leicht besorgten Blick über den Arm und begann vorzugehen.

Warum sorgte er sich plötzlich so? Es war seltsam... mal so, mal so, jede Stunde anders... auch wenn er wirklich herzensgut wirkte, wenn er denn mal nicht von mir genervt schien. Was für ein Start in dieser Welt... perfekt. Erstklassig. Sarkasmus, wohlbemerkt.

Ohne ein weiteres Wort setzten wir anderen drei uns in Bewegung. Es war ein Wald, durch den wir liefen, die Kutsche hatte uns an einer großen Lichtung abgesetzt. Jetzt sah ich auch warum - der Boden war überwuchert von hüfthohem Gras, dicht beieinanderstehenden Sträuchern und Bäumen und überall lag moderndes Holz auf der Erde.

Es war ein seltsamer Wald... ich konnte nicht genau sagen, was ihm diese Aura verlieh, aber er hatte etwas Magisches. Die Bäume wuchsen zu hoch, das Licht flimmerte zu dämmrig, und die Luft war feucht und warm, mit einem goldenen, nebeligen Schimmer. Aber ich sah kein einziges Tier. Es war gespenstisch still. Nur unsere störenden, krachenden Schritte hallten von Stamm zu Stamm, wann immer wir auf morsche Äste oder Laub traten. Ich bemühte mich leise schrittzuhalten, aber ich wollte auf keinen Fall zurückfallen.

Joshua hatte einige Worte mit den sogenannten 'Engeln' gewechselt, dann waren sie ihres eigenen Weges weitergezogen. Er meinte, Kontakte zu den Stehlenden Engeln könnten durchaus nützlich sein.

"Wann sind wir da?", fragte ich nach einer Weile. Aber Joshua antwortete nicht, stattdessen stellte er sich hinter mich und drehte mich um mehr als neunzig Grad nach links.

"Was seht Ihr da?", stellte er eine Gegenfrage.

Ich zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung. Bäume? Einen Hügel?"

Joshua bedeutete mir, ihm zu folgen, und stieg den kleinen, aber steilen Hügel hinauf. Als ich oben war, stockte mir der Atem.

Keine fünf Meter entfernt schwappte glasklares Wasser an Land, in hellem, klarem Blau, und die heiße Sonne ließ es glitzern und spiegelte sich darin. Das Ufer war bedeckt von Sand, Gras und größtenteils Flächen von buntem und weißem, grobem Kies. Die Landschaft war überwältigend schön.

Der See war sehr groß, und auf der gegenüberliegenden Seite ragten grüne, von Wald überwachsene Berge in den Himmel.

"Das... das ist... unglaublich... wunderschön!", hauchte ich stotternd.

Joshua grinste mich zufrieden an und zog mich zum Ufer.

"Könnt Ihr schwimmen?"

Ich konnte den Blick nicht von dem seichten Wasser abwenden, als ich antwortete: "Ja, natürlich, aber... warum sagst du manchmal Du und manchmal Ihr zu mir?"

Joshua verzog abwägend das Gesicht. "Eigentlich bin ich gezwungen, Euch... dich... mit Euch anzusprechen. Aber ich bin mir nicht sicher, ob es passt. Sonst würde ich dich... Euch mit... Du ansprechen. Das ist komplizierter als man denkt." Er begann entschuldigend zu lachen. "Adel spricht man mit Euch an, aber wenn sich herausstellt, dass ...du?... tatsächlich adelig bist, obwohl du vom Durchschnitt gesprochen hast, werde ich bestraft, aufgrund von 'Respektlosigkeit gegenüber dem höhergestellten Adel'. Also sollte ich es wohl beim Euch belassen..."

Ich dachte an den Stammbaum meiner Familie und die verschiedenen Nachnamen. "Naja, wir haben zwei oder drei Adelstitel im Namen, nicht ich, aber Verwandte. Graf von... und von soundso. Und ein Wappen. Aber das bedeutet heutzuta-... da wo ich herkomme nichts mehr. Also bin ich ein Du."

"Sicher, Eure Hoheit? Ihr seid des Adels."

Ich legte mir die Hände vors Gesicht. "Nein, bloß bitte nicht diese Ihr-Kiste wieder... ich bin ein Du", jammerte ich. Dann hielt ich kurz Inne. "Aber was ist mit dir? ...Ihnen?"

Joshua fuhr sich über die Schnitte am Auge. "Nein", seufzte er, "ich bin ganz bestimmt ein Du."

Ich nickte. "Warum redest du auf einmal so viel mit mir? Ich meine... vorher hab' ich dich doch nur genervt, oder?" Wow - in meiner eigenen Welt wäre ich eher an mir selbst eingegangen, anstatt so vieles auf eine Karte zu setzen und auszusprechen. Aber in dieser Situation in der ich mich befand, sollte ich vielleicht eher sagen und fragen als denken. Besser, als wenn es mich unnötig in Schwierigkeiten brachte oder Zeit kostete.

Erstaunt sah Joshua mich an. Das funkelnde Wasser reflektierte das Licht und brachte seine strahlend hellen Augen zum Leuchten. Ich setzte mich auf den groben Kies, nahm mir einen rosa Stein und hielt ihn in den Händen wie einen Rettungsring, während ich auf seine Antwort wartete.

"Weil ich dich kennenlernen will, Drachenmädchen."

Golden FairytaleWhere stories live. Discover now