Kapitel 74

1K 38 2
                                    

Die letzten Minuten hatten Max und ich schweigend damit verbracht, seiner Schwester beim Spielen zuzuschauen. Vertieft in meine Gedanken hatte ich das Klingeln an der Tür gar nicht gehört.

"Hanna?", erklang Sandys Stimme in der Tür. Sofort schnellte mein Kopf zu ihr und meine Augen wurden gross, als ich mein Onkel und meinen Cousin in der Tür sehen konnte.

Ohne etwas zusagen löste ich mich von Max und rannte in die Arme meines Onkels, welcher mich sofort an sich drückte: "Alles ist gut, wir sind hier und lassen dich auch nicht alleine." Das war alles was ich brauchte, ein Teil meiner Familie die da waren. Egal wie sehr ich Max und seine Familie mochte, sie konnten mir nicht diese tiefe Verbundenheit geben wie meine Familie.
Mein Onkel sowie mein Cousin waren von meiner Geburt an immer da gewesen, ich konnte immer auf sie zählen. Max hingegen könnte theoretisch jederzeit gehen. Ich vertraue meinen Freund, doch er hatte eine Wahl. Im Grunde mein Onkel auch, doch er war einfach schon immer da gewesen.

"Woher wusstet ihr, dass ich hier bin?" Wollte ich wissen. Dabei hatte ich mich etwas von meinem Onkel gelöst und meine Tränen weggewischt, bevor mein Cousin mich gleich auch noch in eine Umarmung zog.

Schwach lächelnd sah mein Onkel zu mir: "Deine Mutter hat mich angerufen und meinte, dass du hier bist und uns brauchen wirst." Ich war überrascht, dass meine Mama das getan hatte. Zugleich tat es weh, aber irgendwie fühlte es sich auch gut an. Es zeigte mir, dass ich meiner Mutter nicht egal war und sie sich trotz allem noch sorgen um mich machte.

"Danke, ich kann euch gerade wirklich brauchen", gab ich leise zu. So etwas sagte ich nicht gerne laut, doch es war nichts ausser der Wahrheit. Zu wissen, dass wenigstens jemand von meiner Familie bei mir war, tat einfach unbeschreiblich gut.

Max trat neben mich und hielt erst meinem Onkel, dann meinem Cousin die Hand hin: "Ich bin Max, der Freund ihrer Nichte beziehungsweise ihrer Cousine, sowie der Vater der Babys." Gespielt argwöhnisch sahen die beide ihn an, was meinen Freund zum Schwitzen brachte.

"Ihr verunsichert ihn", ich musste lachen. Damit konnten auch die anderen nicht mehr ernst bleiben, was dazu führte, dass auch Max sich wieder entspannte. Er schien gemerkt zu haben, dass sie ihn nur verarschen wollten.

Sogleich klopfte Onkel Felix ihm auf die Schultern: "Willkommen in der Familie, ein falsches Wort oder eine falsche Tat und ich hetze dir die ganze Mannschaft auf den Hals." Leicht lachend sah er von meinem Onkel zu mir, er hoffte wohl, dass es wieder nur ein Witz war. Doch dieses Mal war es definitiv sein Ernst gewesen, was meinem Freund auch noch auffiel.

"Ich werde nichts Falsches tun, versprochen. Ich könnte niemals ohne Ihre Nichte", gab er Ernst von sich. Von Sandy kam aus der Küche ein naww und auch ich konnte mir eines nicht unterdrücken, bevor ich ihm ein Kuss auf die Wange drückte.

Mein Onkel grinste ihn zufrieden an: "Na dann, ich bin Felix." Da Dennis sich schon richtig vorgestellt hatte, musste er nicht nochmal ihm die Hand geben und wir konnten es uns gemütlich auf der Lounge machen.

Jos und Sandy kamen auch noch dazu: "Ich hoffe nur für euch, dass die Babys nicht zu sehr nach Hanna kommen, sonst werden es sehr anstrengende Jahre." Lachend sah mein Cousin zu Max, während ich ihm böse Blicke zu warf.

"So schlimm war ich gar nicht", versuchte ich mich zu retten. Doch da war nichts mehr zu retten, denn auch mein Onkel sprach sich gegen mich aus.

"Nein", meinte dieser sarkastisch, "Sobald du den Mund aufmachen konntest, hatte man keine Minute ruhe mehr und du wusstest immer was du wolltest. Wehe Madame bekam ihren Willen nicht." Lachend kniff mein Onkel mir leicht in die Wange, weswegen ich ihn noch böser ansah.

Jos lachte aber auch auf und schien dies selbst zu gut zu kennen: "Max war nicht besser. Er wusste immer was er wollte und was nicht, ihn von etwas anderem zu überzeugen war unmöglich."

"Hanna hatte man gar nicht mehr vom Eis bekommen, auch wenn wir eigentlich trainieren mussten, sie wollte immer mit drauf. Ihre Mutter hatte immer einen Herzinfarkt gehabt, wenn sie aufs Eis zu uns kam. Doch Hanna wollte mit uns trainieren und zugegeben, sie hatte mehr als nur etwas Talent", entkam es auch Dennis.

Überrascht sah mich Sandy an: "Du hast Eishockey gespielt? Ich dachte, du hättest Eiskunstlauf gemacht."

"Ich wollte immer nur Eishockey, doch meine Mutter erlaubte es mir nur, wenn ich Eiskunstlaufen machte, also hatte ich es gemacht. Bis...", ich stoppte. Die Erinnerung an damals war immer noch mit Schmerzen verbunden und mit der Frage, was wäre, wenn.

Jos schien meine Traurigkeit auch zu sehen und versuchte deshalb die Stimmung wieder etwas zu heben: "Einigen wir uns darauf, dass ihr ein Baby fürs Eishockey spielen bekommt und wir eines zum Rennfahrer machen könnt."

"Deal", schlug mein Onkel ein. Ich konnte nur kopfschüttelnd lachen, spürte dabei die Blicke von Max auf mir. So drehte ich meinen Kopf nach rechts zu ihm und sah, wie er mich genau musterte. Kurzerhand gab ich ihm wieder einen Kuss, denn seitdem mein Onkel und mein Cousin hier waren, ging es mir wirklich besser. Sie liessen mich die letzten Stunden vergessen und sie gaben mir das Gefühl von Sicherheit, welches eigentlich nur Eltern geben konnte.

Vielleicht war mein Onkel für mich auch schon immer mehr wie ein Vater gewesen, da ich deutlich mehr Zeit mit ihm als mit meinen Eltern als Kind verbracht hatte, schliesslich hatte er mich immer trainiert oder zu den Trainings von meinem Cousin mitgenommen. Das Eis war einfach meine Welt gewesen, was niemand so gut verstehen konnte wie die beiden.

Sandy schüttelte nur den Kopf: "Ausser die Kinder wollen nicht." Streng sah sie zu Jos der sie verständnislos ansah.
"Natürlich wollen die, schliesslich sind sie Verstappen Kinder", warf er ein.

"Gasser", widersprach mein Onkel, "Hanna und Max sind nicht verheiratet, also gilt als Regel der Nachname der Mutter für die Kinder." Darüber schien weder Max noch Jos erfreut zu sein. In mir stieg die Panik auf, dass es zu einem Streit kommen könnte und ich noch mehr Familie verlieren könnte.

"Das kann man ja beim Amt alles Regeln, da Max eh noch die Vaterschaft anerkennen muss. Zudem fände ich es gut, wenn die Kinder schon einmal Verstappen heissen, ich habe keine Lust bei der Hochzeit noch extra Bürokram zu machen wegen den Kleinen, wenn es jetzt einfacher geht", versuchte ich die Wogen zu glätten.

Mein Onkel wusste schon zuvor, wie ich dazu stand, doch Jos schien positiv überrascht: "Wenigstens eine, die unseren Nachnamen annimmt." Dafür kassierte der Vater meines Freundes einen Schlag gegen die Seite von seiner Frau, die seinen Nachnamen nicht angenommen hatte.

"Kommt jemand mit mir spielen? Es ist so langweilig allein", kam Blue zu uns rüber. Meinen Onkel und Cousin beachtete sie dabei nicht einmal wirklich, was ihnen wohl egal war. Sandy aber nicht, denn sie tadelte ihre Stieftochter, dass man die Gäste wenigstens begrüssen sollte.

Etwas gezwungen machte die Kleine das dann auch, bevor sie wieder auf ihr Verlangen zurückkam. Am Ende spielten sie, Max und Jos Fussball, während Sandy zu Jason musste. Damit waren nur noch ich, Onkel Felix und Denis auf der Gartenlounge.

Ich sah Max zu wie er seiner Schwester den Ball zuspielte: "Du bist hier zwar in den besten Händen, doch egal was passiert, unsere Tür steht dir immer offen." Ich umarmte meinen Onkel fest, da einfach nur schon diese Worte unfassbar guttaten, zu wissen, dass man willkommen war.

"Danke, auch dafür, dass ihr hier seid. Ihr und Albert mit seiner Familie seid alles was ich noch an Familie habe. Mal abgesehen von den Babys und Max", dabei kamen die Emotionen wieder in mir hoch. Dennis kannte mich zu gut und zog mich einfach still an sich, während die ersten Tränen liefen.

Felix strich meine Haare zurück: "Ich wünschte ich hätte die Macht, meine Schwester so zu stärken, dass unsere Familienseite die Dominante wäre, doch das kann ich nicht. Ich hatte es mir schon damals mit dem Eishockey gewünscht. Du wärst eine großartige Eishockeyspielerin geworden." Er hatte damals wirklich alles Probiert, um meine Eltern umzustimmen, doch niemals hätte mein Vater dies zugelassen.

Oft hatte ich mir gewünscht, dass Felix mein Papa wäre, doch wahrscheinlich hatte er als Onkel die bessere Rolle. Ich wusste, dass er als Vater streng sein konnte. Als Onkel hatte er mich das nur wenn es um mein Training ging, spüren lassen, er war sich bis heute sicher, dass ich ganz oben hätte rauskommen können. Hätte ich nach Amerika in die Academy gedurft.

"Weisst du was das schlimmste ist? Ich wäre über den Tod von den Schwestern meines Vaters kein Stück traurig, es wäre mir einfach egal. Als wären sie bekannte, irgendwelche Leute vom Dorf", gestand ich. Ich hatte mich öfters für diesen Gedanken schuldig gefühlt. Jetzt tat es mir nur noch leid, dass sie mir nicht einmal genug bedeuteten, um hass zu spüren. Sie hatten mein Leben mit zerstört und nun waren sie mir einfach egal.

Dennis sah mich an: "Und der Rest?"

"Ich weiss es nicht", ich fühlt gerade nichts und doch so viel. Egal wie sehr ich wollte, diese Frage konnte ich im Moment nicht beantworten. Natürlich tat es weh verstossen zu werden, aber irgendwie war eine Last abgefallen. Nicht mehr unter Druck zu stehen, nicht mehr perfekt zu sein, endlich nur mich sein.

Kurz herrschte zwischen uns stille: "Wie lange bleibt ihr?" Insgeheim hoffte ich, dass sie mich nach Montreal begleiten würden. Mir war aber bewusst, dass sie beide auch wieder zur Arbeit beziehungsweise Training für die WM mussten.

"Morgen in aller Früh fliegen wir zurück, doch Max wird dich sicher beschützen, dass wissen wir jetzt. Und wenn du uns mitten in der Nacht anrufen willst, dann tu es. Wenn du das Verlangen danach hast, mit einem von uns zu reden, dann ist die Uhrzeit für uns alle egal. Wir haben dich unendlich lieb und wir sind so stolz auf dich", baute Felix mich auf.

Eigentlich tat es gut zu hören, dass jemand stolz auf mich war. Doch da meine Eltern es mir nie gesagt hatten, war er immer der einzige gewesen, was mir immer etwas unangenehm war. Gerade in den Teenager Jahren hatte ich diesen Worten kein Glaube geschenkt, da ja sonst niemand stolz auf mich war, wieso sollte es dann mein Onkel sein? Heute weiss ich, dass er es als einziger mir sagen und zeigen konnte.

Sandy kam zurück mit Jason, welchen sie mir auf den Arm gab: "Ein Baby steht dir." Entkam es von meinem Cousin, was ich mit einem zögerlichen Lächeln quittiert, da es sich für mich irgendwie falsch anfühlte. Ich fühlte mich gar nicht bereit Mutter zu sein, nicht mit zwanzig.

"Hätte nie gedacht, dass du die erste von uns bist, die ein Kind bekommt. Schliesslich warst du immer unser kleines Küken", kam es nach einer kurzen Pause nochmals von Dennis.

Ich sah zu ihm und versuchte meine Unsicherheit zu verstecken: "Dann hätten du und Marc euch nicht so viel Zeit lassen sollen. Glaub mir, mein Plan war es auch nicht gewesen." Etwas mitleidig sah mein Cousin mich an, da er wohl verstand was alles in mir vorging.

"Egal was die Medien sagen, du bist eine super Kommentatorin und wirst eine noch bessere Mutter. Etwas kann ich dir sagen, der richtige Zeitpunkt für ein Kind kommt nie, vielleicht habe ich zu lange danach gesucht", versuchte er mich aufzumuntern. Doch es gelang ihm bei weitem nicht. Gerade wenn ich an die Medien und das nächste Rennen dachte, lief es mir nur kalt die Schultern runter. Sie werden sich alle auf mich stürzen, um die perfekten Fotos von meinem nicht vorhandenen Bauch zu bekommen.

Felix mischte sich wieder ein: "Hör auf, daran zu denken was über dich geschrieben wird. Ignorier es einfach, auch die Fotografen. Sollen die doch Fotos machen, man sieht doch eh noch nichts."

"Aber bald wird man es und dann werde ich noch fett. Zudem will ich nicht, dass meine Kinder von Geburt an in die Medien gezerrt werden, sie sollen möglichst normal aufwachsen. Wie soll ich sie bitte vor dem Mobbing der Medien schützen, wenn ich nicht mal mich schützen kann", entkam es mir. Wie Max darüber dachte, wusste ich nicht. Für mich war aber klar, dass meine Kinder so wenig wie möglich in den Medien zu sehen sein sollten. Sie waren nichts, womit man Geld machen sollte. Wieso konnte Max nicht einfach ein Mechaniker sein, das würde einiges einfacher machen.


Felix nahm mein Gesicht in seine Hände: "Hör auf an die Zukunft zu denken, blieb doch einmal im hier und jetzt. Max und du habt noch gut acht Monate Zeit euch zu überlegen, wie ihr es handhaben wollt. Zunächst solltest du dich auf Montreal konzentrieren und wie du mit den Medien dort umgehen möchtest." Es war so einfach gesagt, doch ich war schon immer ein Mensch der mehr in der Zukunft lebte als in der Gegenwart. Ich mochte es auf alles vorbereitet zu sein, doch dieses Mal war mir die Kontrolle über mein Leben entglitten, was ich noch nie mochte.

Glaubst du an für immer?  (Max Verstappen FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt