36. Diskretion einer Mutter

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Ich zog mir die dunkelrote Kapuze tief über den Kopf und rauschte dann eine Außentreppe an einer Fassade eines Hauses hinauf.

Im Hintergrund vernahm ich einen Schrei.

Unbeirrt setzte ich meinen Weg fort und probierte die Geräusche ein wenig auszublenden, in dem ich meine Ohren ausschaltete.

Sobald die Spitze meines Stiefels das Dach erreicht hatten, materialisierte sich eine Hülle um die Fläche hier oben. Ich hatte die Anweisung hierauf bekommen und wusste auch, von wem eben jene kam. Schon von weitem erkannte ich die vier Gestalten. Eine groß und breitschultrig, eine wirklich kleine, zierliche, die dritte, mittelgroß, schmal und letzterer, der zweitkleinste und etwas kräftiger.

Die silberne Kette, die mir so vertraut war, wog schwer an meinem Hals, doch es erinnerte mich auch gleichzeitig.
Ich hatte damals jeden Tag so etwas getragen. War selbst diejenige gewesen, die als eine der ersten dieses Siegel um den Hals getragen hatte. Und vor allem wurde mir wieder einmal bewusst, dass ich die Königin der Volturi hätte sein können. Ich dachte manchmal daran zurück - am meisten, als ich die Jahre auf der Flucht war, aber wenn ich jetzt darüber nachdachte, dann war ich doch sehr glücklich kein Teil dieser Gemeinschaft zu sein. Es hätte mich zerstört. Nicht nur meine Ansichten auf die Menschen komplett verändert, sondern mich auch noch zu einer diabolischen Weltenzerstörerin gemacht. Vielleicht wüsste ich nichts von den Cullens, von Bella. Und wenn doch, dann eben aus der gleichen Sicht wie Aro und die anderen es taten. Ich würde mich von Menschenblut ernähren wollen, nicht müssen. Mein Lebensstil wäre wahrscheinlich so anders, als eben jener, den ich gerade zu führen versuchte.

„Jane", sagte ich langgezogen und schaute auf die Jüngste direkt in der Mitte. Gleichzeitig drehten sich die vier Gestalten um und zogen ihre Kapuzen ab. Es waren Demetri, die Zwillinge Jane und Alec wie auch Felix.
„Mutter", begrüßte mich letzterer höflich und neigte dann seinen Kopf. „Hallo Felix", wandte ich mich an meinen Ziehsohn. Dann richteten sich meine Augen auf das Gesicht des jungen Mädchens, dessen rote Augen funkelten.
„Warum habt ihr mich hierher beordnet?", harkte ich nach. „Wir dachten, dass du dir das gerne anschauen möchtest", säuselte Alec und ich konnte sehen, wie um seine Hände Schatten schlängelten.

Er deutete in eine Richtung.

Die vier teilten sich auf, zwei auf jeder Seite, sodass ich zwischen ihnen hindurchgehen konnte und damit einen perfekten Platz auf den Innenhof bekam. Ich hob die Augenbrauen bis zum Ansatz hinauf, als ich erkennen konnte, worum es sich hierbei handelte. Dort unten waren Vampire. Und explizit welche, die noch nicht lange verwandelte waren. Eine Frau unter ihnen begann markerschütternd zu schreien, als sich zwei der Vampire auf sie stürzten und ihre Zähne in ihren Hals rammten.
Eine Menschenfrau. In mir zog sich alles zusammen, doch ich schaute mit eiskalter Miene auf das Geschehen. Ein Kerl, beinahe noch ein Junge, machte auf dem Absatz kehrt und sagte, dass sie alles noch beseitigen sollten.
Er kam mir bekannt vor.
War er der Anführer von ihnen?
Ich hielt meine Nase gegen den Wind und roch das gleiche, wie wohl die anderen Vernehmen konnten. Selbst dieser Junge war noch nicht lange ein Vampir, denn man konnte noch immer diese leichte Note von Mensch an ihm riechen.

Die vier traten auf an den Rand des Daches und schauten ebenfalls hinunter. „Sie haben schon zu viel Aufmerksamkeit erregt", merkte Demetri an, der ganz links am Rand neben Alec, welcher neben mir war, stand.

Nun sprach mein Ziehsohn.

„So wie unsere Tatenlosigkeit", kam es ihm über die Lippen. Ich schaute zu meinem Ziehsohn hinauf. Er hatte recht. Die Volturi hatten noch nicht eingegriffen. „Andere werden die Effizienz der Volturi vielleicht in Frage stellen, meint ihr nicht?", fragte ich leise. Warnend. Selbst wenn ich kein Teil mehr von den Volturi war, hassen tat ich sie auf keinen Fall. Vielleicht Caius, aber wer hasste ihn nicht? „Lass sie."
Ich hob skeptisch die Augenbrauen an und schauten hinunter zu Jane, die den Kommentar gegeben hat. „Früher oder später werden wir etwas tun müssen", warf ich ein. Die Stille durchbrach Felix als nächster. Er wandte sich von dem Geschehen ab und lief ein paar Schritte klimpernd davon. „Vielleicht sollten wir Rücksprache mit Aro halten." Jane drehte sich bedrohlich um, als Felix plötzlich die Beine weg knickten und er sich ächzend und knurrend nach hinten lehnte.

Und voller Schmerz.

Entsetzten trat in mein Gesicht, doch ich war wie paralysiert. „Jane!", stieß ich hervor und trat drohend einen Schritt auf das junge Mädchen mit den blonden Haaren zu. Demetri legte mir warnend eine Hand auf die Schulter.

„Aro's Entscheidungen werden beobachtet."

Dann erschlaffte Felix wieder und fiel ächzend vorn über, doch bevor er den Boden berührte, hatte ich mich von Demetri losgerissen und fing Felix auf. Fuchsteufelswild schaute ich Jane an. „Exakt, sie werden von mir und den Cullens beobachtet!", stieß ich sauer hervor und half dann Felix sich wieder hinzustellen.
„Und damit ihr es nicht erfahrt, müssen wir entscheiden", sagte Jane süffisant. Alec legte eine Hand auf die Schulter seiner Zwillingsschwester. „Dann entscheide", kam es ihm sanft über die Lippen. „Es ist an der Zeit."
„Ja, das ist es", antwortete Jane auf die Worte ihres Bruders.
Die drei drehten sich wieder dem Geschehen zu, während ich mich an Felix wandte. „Ist alles gut, Felix?", fragte ich meinen Ziehsohn, der noch immer ein verbissenes Gesicht hatte, dann aber nickte. „Entweder lassen wir sie ausführen, wofür sie geschaffen wurden oder wir vernichten sie", flüsterte Jane, das Gesicht auf die Neugeborenen gerichtet.

„Entscheidungen, Entscheidungen. Emilijah, wie sollen wir deiner Meinung nach handeln?", wandte sie sich an mich, schaute aber noch immer nach unten, wo genau mittig auf dem Platz der Junge wieder trat und sich paranoid umschaute. Sehen könnte er uns nicht. „Ich werde mich mit den Cullens unterhalten müssen. Aber wenn es nach mir ginge, sollten wir sie vernichten."

Genau in dem Moment schaute der Junge hinauf zu uns, nur sah er eben nichts, da wir die Manipulationenshülle um uns herum hatten.

„Wie dem auch sei, es ist Zeit zu gehen."

Ich lief bereits einige Schritte über das Dach zurück zu der Treppe, die ich jeden Moment hinab steigen würde.

„Mutter, wir bitten um deine Diskretion", rief mir Felix in die Gedanken, sodass ich mitten im Schritt stehen blieb. Er legte mir eine Hand an die Arme. „Felix, ich muss es Carlisle erzählen", sagte ich gedeckt an meinen Ziehsohn. Seine dunkelroten Augen funkelten im Licht des Mondes. „Ich flehe dich an", bat Felix mich. Ich biss mir auf die Lippe und brach den Blickkontakt. „Ich werde meine Gedanken nicht vor Edward geheimhalten können", beharrte ich weiterhin auf meine Aussage und schüttelte dabei bekräftigend meinen Kopf.

Felix lachte leicht auf. „Ich kenne keinen, der seine Gedanken so gut für sich behalten kann, wie du es kannst, Mutter", schmeichelte er mir. „Na gut", murmelte ich.
„Sie werden es trotzdem komisch finden, dass ich eurer Bitte nachgekommen bin und mich vor allem aber so angezogen habe", sagte ich weiter und deutete auf meine Kutte mit der Kette.

Die Hand, die Felix eben noch an meinem Arm hatte, wanderte hinauf zu meiner Schulter und drückte sie leicht. „Wir haben durch Aro von Raphael's Flucht erfahren. Ich sehe es dir an. In all den Jahren, die wir uns kennen, hast du lange nicht mehr so glücklich gewirkt. Ihr verdient einander, das sehe ich ein. Ich wollte dich hierher einladen und dir meine Glückwünsche ausrichten", lächelte Felix. Ich hob zögernd aber sanft meine Hand und legte sie an seine Wange. Felix schaute mich mit großen Augen an, schien dann aber eher traurig und dankbar zu sein und zog mich an seine starke Brust. Seine Arme legten sich um mich und er drückte mich fest an sich. Beinahe wären mir die Tränen gekommen, als wir da so standen.
„Du riechst noch genauso wie früher", murmelte Felix. Ich strich ihm über den Rücken und löste mich dann wieder von ihm.

„Und ich danke dir für deine Glückwünsche. Richte auch Aro von mir aus, dass ich ihm danke, dass er Raphael hat gehen lassen. Ich vertraue darauf, dass das Kriegsbeil zunächst begraben liegt", murmelte ich mit einen Blick auch auf Demetri, Alec und Jane, die nun auch zu uns schauten. „Solange ihr uns keinen Grund gebt, um hierher zu kommen", zischelte Jane.

Ich nickte verstehend und strich Felix noch einmal über die Wange.

Dann sprang ich vom Dach.

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