Kapitel 29 - Die Vergangenheit

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Erwartungsvoll schaute ich Alissa von der Seite an, ich konnte mir absolut nichts darunter vorstellen. Sie seufzte und schaute mich kurz an, bevor sie sich wieder auf den Verkehr konzentrierte. „Vor ein paar Jahren war ich in einer Beziehung mit einem Jungen. Wir kannten uns noch nicht lange, aber ich war unerfahren und wollte endlich die Erfahrungen einer Beziehung sammeln. Blind und naiv wie ich damals war, habe ich ja gesagt, als er mich gefragt hat, ob ich mit ihm zusammen sein wolle. Ich mochte ihn wirklich gerne und er war am Anfang auch noch voll lieb und aufmerksam." Sie stoppte kurz und atmete ein und aus. Ich legte meine Hand auf ihren Oberschenkel und sie entspannte sich merkbar. „Nach ein paar Wochen war er dann aber nicht mehr dieser aufmerksame, nette, liebevolle Junge. Er hat von mir verlangt sämtlichen Kontakt zu meinen Kumpels abzubrechen, am liebsten auch noch zu meinen Freundinnen. Zudem hat er mich immer weiter dazu gedrängt Dinge zu tun, die ich gar nicht wollte. Am Anfang wollte ich es noch nicht wahrhaben, aber irgendwann habe ich bemerkt, dass er mich gar nicht wirklich mag, sondern mich für meinen Körper wollte." Sie machte wieder eine Pause, bevor sie weitersprach.

„Ich habe mich von ihm getrennt und ihn überall blockiert. Auch meine Freunde haben ihn überall blockiert, sodass er mir gar nicht mehr hätte schreiben können. Ich hatte schlaflose Nächte, Nächte in denen ich einfach wachlag und an mir gezweifelt habe, bis mir die Tränen kamen. Ich habe nicht verstehen können, wieso er mich so belogen hatte und ich mich so in ihm täuschen konnte. Die Selbstzweifel waren schließlich nicht nur nachts da, auch tagsüber nagten sie an mir. Damals dachte ich, dass es eine Schwäche wäre nach Hilfe zu fragen und habe nichts gesagt. Stattdessen habe ich mir Tag für Tag ein Lächeln ins Gesicht gezwängt und versucht meine
glückliche Fassade aufrecht zu erhalten. Gottverdammt, nicht einmal meine Eltern haben etwas mitbekommen. Jedes Mal, wenn ich alleine war, bin ich in Tränen ausgebrochen. So lange, bis ich nicht einmal mehr die Kraft hatte zu weinen. Danach saß ich dort, bewegte mich kein Stück und schaute in die Leere, während mich die Zweifel zerfraßen. Ich habe aufgehört zu essen, ich habe aufgehört zu trinken und alles aufgegeben, was mir wichtig war.", sie machte eine weitere Pause und schluckte die aufkommenden Tränen runter, der Schmerz saß offensichtlich noch tiefer als erwartet.

„Eines Nachts bin ich schreiend, verheult aus meinem Schlaf gerissen worden. Meine Eltern standen neben meinem Bett und haben mich so mitleidig angesehen, dass es mir das Herz endgültig gebrochen hat. Ich habe ihnen in dieser Nacht alles erzählt und sie haben mich unterstützt, sie haben Verständnis gezeigt und mich nicht verurteilt. Sie haben mir zugehört und haben mir keine Vorwürfe gemacht, dass ich es ihnen solange verschwiegen habe. Ich war mit meinen Eltern viel unterwegs, einfach draußen in der Natur ohne Elektronik. Einfach nur meine Eltern und die Natur. Es war meine Therapie." Sie stockte wieder, doch dieses Mal kamen keine Tränen auf.

„Eines Tages waren wir in der Stadt unterwegs, wir waren Eis essen und haben uns einen schönen Tag gemacht, da haben wir ihn wiedergesehen. Er war mit einem Mädchen unterwegs und hat sie genauso behandelt wie mich, hat genauso mit ihr gesprochen wie mit mir und hat sie genauso angefasst wie mich. Im ersten Moment war ich wie gelämt, doch dann bin ich zu ihm hingegangen und habe ihm eine geklatscht. Dem Mädchen habe ich den Rat gegeben, dass sie ganz schnell weg von ihm kommen sollte. Danach habe ich mich umgedreht und mit dem Thema abgeschlossen. Seitdem habe ich ihn nie wieder gesehen und auch kein Interesse daran. Dieser Junge hat mir damals alles weggenommen, was mir wichtig war. Es hat Jahre gedauert, bis ich es vollkommen verarbeitet habe." beendete sie ihre Erzählung.

Schockiert schaute ich zu ihr und schluckte schwerfällig. Diesen Horror mochte ich mir nicht einmal vorstellen und sie musste ihn ertragen, er war Teil ihres Lebens. Sie hat es geschafft und hat sich wieder aufgebaut, sie hat sich nicht aufgegeben. „Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.", murmelte ich betreten und fühlte mich sofort unwohl. „Es tut mir leid, dass ich dich dazu gebracht habe mir das zu erzählen." „Hey, Lando. Eines Tages hätte ich es dir erzählt und dieser Tag war heute. Ich habe damit abgeschlossen und mit dir meinen Frieden gefunden. Das bedeutet mir mehr, als du dir vorstellen kannst."

Ich schwieg und versuchte weiterhin das Gehörte zu verdauen. „Jetzt weiß ich auch, wieso du allen zuhörst und sie aufbaust.", murmelte ich schließlich. „Ich möchte nicht, dass andere so enden wie ich. Ich möchte, dass sie wissen, dass jemand ihnen zuhört. Das jemand da ist, der sie nicht alleine lässt.", sagte sie und in diesem Moment bewunderte ich sie so sehr. Die Stärke zu finden das zu verarbeiten und nun die seelische Unterstützung für fast jeden in ihrem Umfeld war. Diese Frau war so stark, so stark wie ich es nie erwartet habe.

Das Leben eines Rennfahrers * abgeschlossen* Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt