2 - Die andere Seite des Zauns

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Es kehrte sicher bald Ruhe ein, im Hause Zenin. Naoyas Abwesenheit würde ich genießen, da mich dann niemand mehr so unhöflich anknurrte oder an den Haaren zog. Er war wirklich unausstehlich.
Ich fragte mich, was bei seiner Erziehung falsch gelaufen war, dass er so ein frauenfeindliches, selbstverliebtes Wesen hatte, ganz anders, als Sano?

Jetzt seufzte ich tief und lief durch den großen Garten. Er war wirklich schön. Gedankenverloren strich ich mit den Fingern am Holzzaun entlang, bis ich am Ende angelangt war. Eine Latte fehlte.
Neuguerig steckte ich meinen Kopf durch die Lücke und spähte in das Nachbargrundstück. Es schien verlassen zu sein. Von weitem sah ich ein großes Anwesen hinter ein paar Bäumen hervorblitzen. So zugewuchert wie alles war, sollte hier keiner mehr wohnen.

Nachdem ich mich kurz, nach heimlichen Beobachtern umsah, schlüpfte ich durch die Lücke im Zaun und schlich auf leisen Sohlen durch das hohe Gras.
Behutsam schob ich die Zweige eines Dornenbusches zur Seite und näherte mich dem Anwesen.
Jetzt, da ich ihm allmälich näher kam, erkannte ich, dass es nur noch eine ausgebrannte Ruine war, die in sich zusammenzustürtzen drohte. Die Fensterscheiben waren in tausend Scherben zersprungen, die in der Sonne glitzerten. Einige Türen und Fenster schienen zugenagelt zu sein und überall klebte noch Ruß. Unwillkürlich fragte ich mich, was mit den Menschen hier passiert war? Ob sich alle hatten retten können?

 Unwillkürlich fragte ich mich, was mit den Menschen hier passiert war? Ob sich alle hatten retten können?

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Das Gras um das Gebäude herum war verbrannt und leblos. Ich bekam Gänsehaut bei dem Anblick und drehte mich zu dem Garten herum, durch den ich gerade gelaufen war. Er war voller Obstbäume und ich versuchte mir vorzustellen, wie es hier früher wohl ausgesehen haben musste. Sicher war dies einmal ein Ort gewesen, der erfüllt war von Leben und Kinderlachen.

Meine Hand glitt die schwarze Fassade entlang und ich ging um das Anwesen herum. Mich juckte es in den Fingern einen Blick hinein zu werfen, doch ich war verunsichert. Eigentlich sollte ich überhaupt nicht hier sein.
Das dröhnende Geräusch eines Motors erregte meine Aufmerksamkeit und ich schlich auf leisen Sohlen zur Straße hin, wo ich mich dann hinter einem Baum verbarg.
Ich konnte eine schwarze Limousine sehen, eine der hinteren, getönten Scheiben war ein Stück herunter gelassen. Naoya stand vornüber gebeugt da und sprach mit jemandem im Inneren des Wagens.
Gerade, als ich den Hals reckte, um einen Blick auf den Fremden zu erhaschen, klingelte plötzlich mein Handy.
Ich verbarg mich hinter dem mächtigen Stamm des Baumes, während ich mein Telefon aus der Hosentasche fischte.

 Ich verbarg mich hinter dem mächtigen Stamm des Baumes, während ich mein Telefon aus der Hosentasche fischte

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"Hina, was ist?!" zischte ich aufgebracht in den Hörer und meine kleine Schwester war sofort eingeschnappt.
"Was ist das denn für eine Begrüßung?!" schimpfte sie.
Ich seufzte ungeduldig. "Es ist gerade sehr ungünstig, ich bin beschäftigt!" zischte ich.
"Zu beschäftigt, um deine Schwester zu besuchen?"
"Wir haben uns erst letzte Woche noch gesehen!" Ich hätte schwören können, dass sie meine Augen rollen hören konnte.
"Wir waren noch nie so lange von einander getrennt!" protestierte sie.
Ein Lächeln schlich sich auf mein Gesicht. Sie hatte recht. Wir waren nie länger, als ein oder zwei Tage ohne den Anderen gewesen, doch diese Zeiten schienen nun ein Ende gefunden zu haben.
"Ich kann auch nichts dafür, dass du ohne mich einfach in den Urlaub gefahren bist!" gab ich zurück.
Sie seufzte. "Bitte komm nach Hause, wir könnten Tee trinken!" bat sie dann, doch ich wusste nicht ob es so gut war, nach nichteinmal einem Tag in meinem neuen zu Hause, gleich wieder die Fliege zu machen.
"Ich weiß nicht Hina, immerhin bin ich gerade erst hier herge..." ich brach ab, als eine Klinge an meiner Kehle auftauchte.
Überrascht sah ich in die grauen Augen von Naoya, der mit einem selbstgefälligen Lächeln auf mich herab blickte. "...kommen." beendete ich gedehnt meinen Satz und sah ihn misstrauisch an, während meine Schwester an dem anderen Ende des Telefons nichts mitbekam und einfach weiter drauflos papperte. "Komm schon, ist doch ganz egal, Sano ist sowieso nicht da und Naobito trinkt so viel, dass er deine Abwesenheit sicher nichteinmal bemerkt."

Ich schluckte angestrengt den Kloß hinunter, der sich in meinem Hals bilden wollte und hoffte inständig, dass Naoya das nicht gehört hatte.
Er sah mich streng an. "Du gehst!" befahl er beinahe tonlos und drückte die Klinge fester an meinen Hals.
"Gut, ich komme." antwortete ich mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend.
Meine Schwester jubelte bereits, doch meine Begeisterung hielt sich in Grenzen.
"Aber nur einen Nachmittag!" rief ich sie zur Ordnung.
Naoya grinste mich unverblümt weiter an, während wir uns verabschiedeten.

"Gutes Mädchen, ich kann dich hier einfach nicht brauchen

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"Gutes Mädchen, ich kann dich hier einfach nicht brauchen." lachte Naoya nun und steckte sein Messer weg, als ich die Hand ebenfalls sinken ließ.
Er wandte sich zum Gehen und ich verstand nun gar nichts mehr.
"Mit wem hast du da gesprochen?!" rief ich ihm nach und er fror in seiner Bewegung ein.
Es war, als würde die Luft um uns herum ein paar Grad kälter werden. "Das geht dich einen Scheiß an! Wenn du mir noch ein einziges Mal hinterher spionierst, dann bringe ich dich um! Mir egal, ob du bald die Frau meines Bruders bist."
Schweigend sah ich ihm noch nach, bis er die Straße hinunter verschwunden war.
Ich fröstelte und stand einen Moment unbewegt da.
Erst, als ein paar Sekunden verstrichen waren, schaffte ich es mich aus meiner Erstarrung zu lösen und ging in die andere Richtung davon, ohne noch einmal zurückzublicken.

Mein Hass in seinen Augen | Naoya Zenin x ReaderWhere stories live. Discover now