Der Stein im Nebel

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Tsuki war wie versteinert. Sein Herzschlag hatte ausgesetzt. Alles um ihn herum bewegte sich offensichtlich nur noch in Zeitlupe. Er sah Kuro immer noch an doch er konnte seine Worte nicht mehr aufnehmen.
Der Schwarzhaarige wirkte ziemlich verkrampft und klammerte sich fest in das Holz der Veranda, dabei starrte er inzwischen in den angrenzenden Wald.
Was passierte hier?
Es fühlte sich an wie im Nebel, wie taub und dumpf.
In ihm drin zerbrach in diesem Moment etwas, ganz viele kleine Splitter die sich langsam aber sicher in sein Herz borrten.
Er wollte so dringend etwas sagen, er wollte ihn schütteln, ihn boxen und ihn solange küssen bis er nichts mehr von diesen wirren Gespräch wusste.
Aber sosehr er es auch wollte, es geschah nichts.
Sein Körper hatte sich komplett verspannt. Keinen Finger konnte er bewegen, nicht mal wenn er sich anstrengte. Nur das Atmen war ihm gestattet.
Gefangen saß er also da und starrte wenige Meter vor ihm auf einen größeren Stein.
Natürlich war er mit seiner Herangehensweise nicht ganz gentelman gewesen, doch so wie er es darstellte hatte er alles nur für sich gemacht, aber er hatte doch für sie zusammen gedacht.
Da war er doch dabei, er hatte doch an ihn gedacht. An sie beide zusammen. In Zukunft. Wieso konnte er das nicht sehen?
Wieso drehte er es jetzt hin als wäre alles verloren.
Tsuki spürte das ächtzen seiner Knochen weil er die ganze Zeit versuchte gegen seinen eigenen Körper anzukämpfen, doch das alles nichts brachte.
Wie konnte das alles so schnell gehen?
Noch vor zwei Tagen, waren sie ein vollkommen glückliches Paar gewesen.
Der Besuch am Strand, ihr gemeinsames Baden, das nebeneinander kuschelnd einschlafen. War das alles Geschichte?
Würde das nie wieder so sein?
Wie sollte er...
Wie sollte er so weiterleben?
Wie sollte er zurück in sein altes Leben gehen, mit dem Gedanken daran zu wissen wie es mit ihm gewesen wäre. Zu wissen wie schön das Leben sein konnte.
Nie wieder.
Nie wieder zusammen einschlafen.
Nie wieder durch seine schwarzen Haare streichen und sich in seinem Geruch verlieren.
Nie wieder seine zarte Haut streicheln die sich so herrlich unter seinen Finger anfühlte.
Nie wieder die Lust empfinden die nur er ihm schenken konnte.
Nie wieder mit ihm lachen.
Nie wieder mit ihm spielen.
Nie wieder von ihm geneckt werden.
Nie wieder Prinzessin genannt zu werden. Er konnte sich nicht vorstellen das er all diese Dinge verlieren konnte.
Verloren hatte?
Alles weg.
Er war einmal zu oft weggelaufen.
Er hatte einmal zu oft seine Gefühle nicht in Worte fassen können. Hatte sich zurückgezogen und dadurch seinen Partner vor den Kopf gestoßen.
Nicht das erste Mal.
War es wirklich normal das man so oft streitet, sich Missverständnisse bilden, man Klärungsgespräche braucht man Kompromisse machen muss, das man die Gefühle einander so oft verletzt oder falsch deutet.
Für einen kurzen Moment musste er an Daichi und Suga denken.
Obwohl er erst seit kurzem wusste das die beiden bereits seit über einem Jahr zusammen waren, überdachte er im Nachhinein viel.
Sie wirkten völlig ausgeglichen und es schien als wären sie immer einer Meinung, ja als würden sie in Gedanken miteinander sprechen.
Tsuki hatte so oft keine Ahnung was in Kuros Kopf abging. Meistens war es wohl genau das Gegenteil von dem was er sich dachte.
Vielleicht waren sie einfach zu verschieden.
Vielleicht war es besser so.
Kuro hatte jemanden verdient der immer ehrlich zu ihm ist. Der genauso aufbrausend und gut gelaunt war wie er.
Nicht jemanden wie ihn, der so wahnsinnig schlecht über Gefühle reden konnte das ständig eine Katastrophe passierte.
So viele Dinge und Streiterein hätten vermieden werden können wenn er es schaffen würde über seine Gedanken und Gefühle gleich zu sprechen.
Vielleicht war er einfach noch nicht bereit dafür.
Dafür eine richtige ernsthafte Beziehung zu führen.
Er hatte noch so viel zu lernen.
Vielleicht war es das beste, wenn es jetzt vorbei war.
Dann hatte Kuro die Chance sein Leben so zu gestalten wie er wollte. Und hatte keinen jüngeren blonden chaosanziehenden halbherzigen Mittelblocker an seinen Beinen hängen.
Kuro war so intelligent und talentiert und mit seinem Charme konnte er viel erreichen.
Tsuki hatte sich schon früher gefragt, warum Kuro ausgerechnet ihn ins Visier genommen hatte.
Zwar hatte Tsuki bisher kein Problem mit seinem Selbstwertgefühl gehabt, doch gerade jetzt konnte er sich einfach nicht vorstellen was Kuro an ihm fand.
Sie waren so unterschiedlich.
Er war...
Er war allein.
Tsuki war so in Gedanken gewesen das er nicht mitbekommen hatte das Kuro gegangen war.
Plötzlich wurde sein Körper zurück in die Realität katapultiert.
Er war allein.
Er zitterte. Seine Hände taten weh. Sein Bauch war so verkrampft und er hatte das Gefühl sich übergeben zu müssen obwohl absolut nichts in seinem Magen war.
Aufeinmal wurde ihm ganz kalt und er schlang seine Arme um die angezogenen Knie.
Vielleicht war es besser so.
Immer und immer wieder sprach er innerlich die Worte.
Doch er merkte das da zwar die Worte in seinem Kopf waren doch im Hintergrund liefen unaufhaltsam all die schönen Momente ab die sie beide teilten.
Ihr erster Kuss, die erste Berührung. Ihr erstes Match und der kleine Streit danach.
Wie er zuhause immerzu an seinen Sachen gerochen hatte.
Kuro wie er plötzlich im Park vor ihm stand.
Der Schwarzhaarige in seinem Bett wie er friedlich im Schlaf lächelte.
Tsuki bei ihm zuhause. Auf der Couch, beim Essen. Bei seiner Tante und mit den Kindern auf dem Spielplatz.
All die wundervollen Momente.
Heiße Tränen liefen ihm über die Wangen und er bemühte sich nicht sie wegzuwischen. Sie waren wohl das einzig ehrliche an ihm.

Keine Ahnung wie lange er dort saß, bis ihm plötzlich jemand eine Hand auf die Schulter legte.
Yamaguchi.
Sein bester Freund setzte sich neben ihn und man konnte seinem Gesicht ansehen das er wusste was los war und das das Mitleid das er empfand ihn fast zerriss.
Bei jedem anderen hätte er vermutlich angefangen stotternd irgendetwas zu sagen um zu versuchen es ein bisschen besser zu machen, doch Yama kannte Tsuki.
Zu gut.
Er sagte also nichts.
Er saß nur neben ihm.
Sie schwiegen.
Tsuki holte zitternd Luft doch irgendwie kam der Sauerstoff nicht in seinen Lungen an.
Es fühlte sich an wie ertrinken.
Tsuki schloss die Augen, riss sie aber sofort wieder auf weil erneut Bilder in seinem Kopf auftauchten.
Deshalb sah er wieder nur weiter geradeaus auf diesen Stein.
Grau, felsig, mit kleinen Schattierungen, winzigen Moosfäden übersäht und an manchen stellen etwas grob als wäre etwas abgebrochen.
Die Zeit verging ohne das er es mitbekam.
Irgendwann legte Yamaguchi eine Hand auf sein Knie und meinte: "Wenn du reden willst, ich bin da.
Du kannst bei mir schlafen heute Nacht, ich denke das ist einfacher. Wenn du irgendwas brauchst, lass es mich wissen. "
Mit diesen Worten stand er auf und ging.

Tsuki saß noch eine ganze Weile auf der Veranda und starrte diesen Stein an. Bis es langsam dunkel wurde und er die kleinen Moosfäden nicht mehr sehen konnte sosehr er seine geschwollenen Augen auch zusammen kniff.
In der Zwischenzeit hatte Tadashi mehrmals versucht ihm etwas zu essen oder zu trinken zu geben, doch es stand noch genauso unberührt neben ihm.
Nicht das er keinen Hunger gehabt hätte, sein Magen knurrte zwischenzeitlich so laut das er ihn für ein wildes Tier gehalten hätte.
Doch soetwas wie essen kam ihm einfach unwirklich vor. Wie etwas das total nebensächlich war und ihm irgendwie nicht zustand.
Auch ein paar andere hatten ab und zu nach ihm gesehen, das wusste er.
Zwar hatte er sich nicht umgedreht doch er hatte ihre Schritte gehört und vereinzelt auch ihre geflüsterten Worte.
Am liebsten hätte er sich umgedreht und sie angeschrien das sie ihn doch verdammt noch mal in Ruhe lassen sollten. Aber er tat es nicht.

Er tat gar nichts.
Bis es stockdunkel um ihn war und Tadashi widerkam und keine Widerworte duldete.
Tsuki erinnerte sich nicht wirklich daran wie er es geschafft hatte aufzustehen, nur noch an den stechenden Schmerz seiner eingerosteten verspannten Glieder.
Nach einem Glas Wasser und einem kurzen Toilettengang sah er kurz auf die Uhr.
Im Haus war es vollkommen still. Alle waren bereits zu Bett gegangen.
Kein Wunder es war bereits ein Uhr nachts.
Mit einem dumpfen leeren Gefühl in sich sah er in den Gang und auf die Türe in die er normalerweise die letzten Tage gegangen wäre.
Mit Kuro.
Ihm wurde augenblicklich schlecht sodass er zurück ins Bad stürzte und da sein Glas Wasser und jede Menge Magensäure wieder erbrach.

Nachdem er sich zitternd den Mund ausgewaschen hatte sah er angespannt zum ersten Mal in den Spiegel und erschrak.
Sein Gesicht war kreidebleich und er wirkte kränklich.
Seine Haare waren verschwitzt und klebten an seiner Stirn.
Die Augen waren rot und und dick hinter den Brillengläsern und auf seiner Wange sah man die Spuren die seine salzigen Tränen hinterlassen hatten.
Er ballte seine Hände zu Fäusten und wand den Blick ab.
So verletzlich wollte er nicht sein.
So gebrochen und verwundet, sollte ihn keiner sehen.
Tsuki spritzte sich Wasser ins Gesicht und sah sich dann fest in die Augen.

Du wirst daran nicht kaputt gehen. Du wirst weiter machen.
Du wirst deinen Abschluss machen.
Du wirst studieren und in eine Stadt ziehen. Du wirst Tadashi haben, und vielleicht neue Freunde. Du wirst Spaß haben und tun was du willst.
Du wirst dich freuen und weinen, du wirst lachen und verfluchen aber eins wirst du nicht aufgeben.
Du wirst leben, auch ohne ihn.

Kurotsuki Gemeinsam statt einsamWo Geschichten leben. Entdecke jetzt