Chapter three

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jetzt,
Mai

Ich habe nicht ganz auf die Zeit geachtet und mittlerweile ist es später Nachmittag. Noch immer sitze ich auf dem Boden vor Joshs Grab und versuche, nicht mich verzweifelt nach einer Antwort zu sehnen. Ich weine nicht mehr. Sitze nur noch da und erzähle ihm irgendwelche Dinge, die mir gerade in den Sinn kommen. Sei es bloße Erinnerungen an unsere gemeinsame Zeit, oder Dinge, die nach ihm geschehen sind. Und es tut gut. Das muss ich wirklich zugeben. Es ist schön, sich die Sachen von der Seele zu reden, weil ich der festen Überzeugung bin, dass er mich hören kann. Nur kann er mir nicht antworten. Aber ich kann mir genau ausmalen, was er zu gewissen Dingen sagen würde. Ich bemerke sogar, dass ich ab und zu doch sanft lächeln kann. Und es ist ehrlich.

Es vergehen einige Minuten, in denen ich unsere Stille genieße, bis sich etwas hinter mir tut. Ein leises Räuspern. Ich erschrecke mich, zucke kurz zusammen, bevor ich mich umdrehe und erkenne, wer hinter mir steht.

Eine Person, die ich seit fast drei Jahren nicht mehr gesehen habe. Eine Person, die total kaputt aussieht. Augenringe, bis zum Mond, unrasiertes Gesicht, total müde Augen und eine Frisur, die unbedingt mal wieder einen Schnitt gebrauchen könnte. Er wirkt erschöpft.

Alex wirkt erschöpft.

Er steht vor mir und ich sehe zu ihm hoch, bevor ich ruckartig aufstehe.

„Was tust du hier?", bringe ich lediglich heraus.

Er mustert mich einen Augenblick lang, bevor er mit einer Antwort ansetzt. „Ich schätze, das gleiche, wie du.", bringt er hervor. „Hallo Jane."

„Hallo Alex.", sage ich. „Tja, lang nicht mehr gesehen."

„Ja, lange.", nickt er. „Ich dachte nicht, dass du noch hier bist."

Ich runzele die Stirn. „Was meinst du?"

„Nun, ich dachte immer, du kommst früher her, aber ich schätze... Na ja, egal. Schön, dich zu sehen, Jane."

„Ja, total.", sage ich trocken. „Tja dann, auf Wiedersehen." Ich will mich gerade auf den Weg machen, da hält er mich einen Moment auf, indem er meinen Arm berührt. Sofort schießen mir die Bilder zurück in den Kopf, als er mir an dem Abend vor drei Jahren erklärt hat, dass Josh tot sei und mich vor einem heftigen Aufprall auf den Boden bewart hat. Mich gehalten hat, während ich heulte.

„Jane, ich..." Er lässt von mir ab und tritt einen Schritt zurück. „Ich wollte auch...", beginnt er zögerlich. Ich sehe ihn erwartungsvoll an. „Mit dir sprechen."

„Wieso?"

„Ich denke... Ich denke, es ist besser, wenn wir das an einem Ort tun, an denen nicht so viele tote lauschen."

„Ich sehe keinen Grund dazu. Du warst ziemlich deutlich."

„Ja, ich weiß, Jane. Aber... Es ist verdammt wichtig."

Ich habe da so eine böse Vorahnung. „Soll das..." Ich räuspere mich. „Hat das etwas mit..."

„Den Ermittlungen zu tun? Ja.", beendet er meine Frage.

„Oh"

„Also?"

„Okay."

•••

„Wie geht es dir?", fragt er etwa eine halbe Stunde später, als wir uns gegenüber an seinem Esstisch sitzen.

Es ist komisch, wieder hier zu sein und ich frage mich, wie er es über sich bringt, den ganzen Tag hier zu sein, wo wir doch unglaublich viel Zeit zu dritt hier verbracht haben. Ich sehe Josh hier überall. In Alexs Küche am Herd, wo er Gemüse verbrennen lässt, am Esstisch, wo wir uns fettige Burger reinziehen und auf seinem Sofa, wo wir gemütlich Bier trinken und Pizza vor dem Fernseher essen.

„Blendend.", erwidere ich. „Und dir?"

„Super."

Ich nicke. Glaube ihm kein Wort und ich weiß, dass er mir auch kein Wort glaubt.

„Also... Willst du mir jetzt sagen, wieso ich hier bin?"

„Ja.", meint er. Alex holt tief Luft, bevor er weiter redet. „Damals... Nach eurer Hochzeit wurde ein bestimmter Fall auf Josh und mich übertragen. Ein Kollege wurde damals schwer verletzt und konnte nicht mehr... Wie auch immer, es geht um eine Art Gang, die super bekannt ist, aber keiner weiß, wer hinter den Masken steckt. Tonnenweise Kokain und sonstiges! Für Josh und mich war das... Ich weiß nicht, wir freuten uns, dass wir so viel Vertrauen und Verantwortung übernehmen konnten. Wir nahmen den Fall natürlich an. Stück für Stück kamen wir dem Ganzen näher. Und wir waren kurz davor... Einen zu kriegen."

„Lass mich raten, das war die Nacht... Die Nacht, in der er starb.", werfe ich mich ein.

„Genau die."

„Und wieso erfahre ich das erst drei Jahre später? Hm? Ist mal keiner von euch auf die Idee gekommen, mir irgendwas zu sagen? Alles, was deine ach so tolle Partnerin mir sagen konnte, war, dass die Ermittlungen mit strengster Diskretion zu behandeln ist!"

„Weil ich..."

Ich lasse Alex nicht ausreden. „Du ermittelst wieder, richtig?", überlege ich fassungslos. „Sag mal, bist du noch ganz bei Trost?!", rufe ich.

„Nein, du verstehst nicht. Ich bin da an was Großem dran, Jane. Diese Typen sind..."

„Gefährlich! Ja, gefährlich! Meinst du nicht, dass sie dich auch einfach töten werden, wenn sie die Chance dazu haben?", schreie ich ihn an.

„Eben nicht! Ich habe Erfahrung und alles unter Kontrolle. Ich trage stets Sicherheitskleidung und..."

„Er hat auch welche getragen! Und..."

„Wenn ich die kriege, dann... Dann ist alles endgültig vorbei, verstehst du? Dann können wir alles hinter uns lassen.", versucht er mich ins Boot zu holen.

„SIE HABEN IHN GETÖTET, ALEX!"

„ICH WEIß, ICH WAR DA, JANE!"

Schlagartitg werde ich still. „Du warst da... Ja. Und genau deswegen solltest du aufhören. Du musst aufhören, dich in Lebensgefahr zu begeben." , sage ich ruhig. „Ich gehe jetzt besser."

Ohne auf eine Reaktion zu warten, stehe ich auf und verlasse seine Wohnung. Ich ziehe die Tür hinter mir zu, versuche krampfhaft, meine Tränen zurück zu halten, bis ich schlussendlich verliere.

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