▹ Tea Time

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Amelia POV

Die nächsten Abende verbrachte ich im Columbia mit erfolgreicher Beschattung von Henry Brown.
Dieser trug jeden Abend ein neues modisches Jackett mit passendem Einstecktuch, was ihn mir fast sogar ein wenig sympathisch gemacht hätte. Allerdings hielt diese Sympathie immer nur ein paar Sekunden an, wenn er gerade mal keinen arroganten oder sexistischen Spruch machte oder einer hübschen Frau hinterhergaffte. Seine Art ließ sich nur schwierig ohne Alkohol ertragen und führte mich mehrmals in Versuchung, einen Tequila bei Katie oder einer ihrer Kolleginnen zu bestellen. Ich hielt mich jedoch strikt an meine eigene Devise und beließ es dabei, bei jedem abfälligen Kommentar von Henry die Augen zu verdrehen.
Irgendwann begann ich zu zählen, wie häufig er ein und dieselbe angebliche Heldengeschichte von sich selbst erzählte und dabei jedes Mal ein weiteres Detail dazu erfand.
Tatsächlich hatte ich meinem Instinkt trauen können und es hatte sich gezeigt, dass Henry wirklich jeden Abend außer den Donnerstag im Columbia verbrachte.
Wer jedoch seit fast einer Woche nicht mehr dort aufgetaucht war, war die Inspektorin.
Ich war fast ein wenig enttäuscht gewesen, als Katie mir berichtet hatte, Samantha würde beruflich viel um die Ohren haben und daher ihrer Lieblingsbar in der nächsten Zeit wohl keinen Besuch abstatten.
Ich versuchte mir jedoch einzureden, dass das ja eigentlich auch egal war, da ich schließlich einen Job zu erledigen hatte und mich davon nicht ablenken lassen sollte.
Die Nachmittage verbrachte ich ohnehin meistens mit Jake, beziehungsweise damit, die Stadt zu erkunden. Morgens hatte ich mittlerweile ebenfalls einen festen - an Henry angepassten - Tagesablauf entwickelt, um ihm unauffällig zu folgen oder in dem Diner, in dem er für gewöhnlich mit einigen anderen Anzugträgern frühstückte, auf sein Erscheinen zu warten.
So saß ich auch heute wieder im Stammlokal von Henry Brown und wartete auf dessen Einkunft, während ich meine Zeitung nach einem interessanten Artikel durchstöberte.
Statt Henry betrat jedoch ein paar Minuten nach mir, Ryan Scott - der Chef des hiesigen Polizeikommissariats und somit Samanthas Vorgesetzter - das Diner. Ich wollte gerade wieder hinter meiner Zeitung verschwinden, um in Ruhe meinen Nachforschungen nachgehen zu können, da kam Ryan bereits auf mich zu.
Seufzend faltete ich die Zeitung zusammen und setzte ein höfliches Lächeln auf.
"Guten Morgen, Amelia. Schön, Sie wiederzusehen", begrüßte er mich freundlich.
"Guten Morgen, Ryan", erwiderte ich. Er schien kurz überrascht, dass ich mir seinen Namen gemerkt hatte, was ich mit einem Schmunzeln quittierte.
"Möchten Sie sich zu mir setzen?", fragte ich nach britischer Manier.
Ryan neigte den Kopf. "Sehr gerne, wenn es Ihnen Recht ist."
Ich lächelte und deutete auf den Platz mir gegenüber, um ihm meine Zustimmung zu signalisieren.
"Sie sind neu in den Staaten, oder?", erkundigte sich Ryan, während er seine Jacke über die Stuhllehne hängte.
Ich lachte. "Ist mein Akzent etwa so schlimm?"
Schnell schüttelte Ryan den Kopf. "Nein, nein. Natürlich nicht!", ruderte er zurück.
"Ich komme allerdings tatsächlich aus Großbritannien und bin erst seit kurzem hier in Washington D.C.", klärte ich ihn auf und steckte die zusammengefaltete Zeitung zurück in meine Handtasche.
"Und Sie leben hier wohl schon ziemlich lange, nicht wahr?", fragte ich aufmerksam.
"Eigentlich schon mein ganzes Leben"
Ich schmunzelte. "Also ein waschechter Washingtoner", stellte ich fest.
Ryan zuckte grinsend die Schulter. "Kann man wohl so sagen"
Er winkte die Bedienung zu uns heran und wandte sich dann wieder zu mir.
"Kann ich Ihnen einen Kaffee ausgeben? So als kleine Wiedergutmachung für das Missverständnis vor ein paar Tagen", fügte er hinzu.
Ich lächelte charmant.
"Einen Tee würde ich nehmen"
Er lachte - ein tiefes, ehrliches Lachen.
"Eine waschechte Britin also"
Ich erwiderte sein Lachen.
Ryan erwies sich als sehr angenehme Gesellschaft, da er auf eine höfliche und zurückhaltende Weise interessiert war und eine angenehme Ruhe ausstrahlte, die ich nach den letzten Tagen wirklich genoss.
Es schien ihm zwar immer noch etwas unangenehm zu sein, dass seine Kollegin und anscheinend auch gute Freundin mich sozusagen grundlos verhaftet hatte, doch trotzdem verlief unser Gespräch erstaunlich ungezwungen.
Als Ryans Handy klingelte und er mit einem entschuldigen Lächeln das Gespräch annahm, ließ ich den Blick durch das Diner schweifen.
Henry saß an einem Fensterplatz mit zwei älteren Herren, die ziemlich wichtig aussahen - oder sich zumindest für ziemlich wichtig hielten. Er hatte sich sein übliches Frühstück samt einem großem Becher Kaffee bestellt und erzählte gerade etwas, was die anderen beiden Männer zum Lachen brachte.
"Entschuldige", murmelte Ryan mit einem höflichen Lächeln und steckte sein Telefon wieder weg.
Ich schüttelte den Kopf, als Zeichen, dass er sich nicht zu entschuldigen brauchte.
"Ihre Freundin?", fragte ich nach, da ich den kurzen Wortwechsel zwischen ihm und der Anruferin und den vertrauten Ton der beiden mit halbem Ohr mitgehört hatte.
"Meine Verlobte", korrigierte er mich und lächelte glücklich, "Elly."
Während er begann von seiner Verlobten zu erzählen, strahlten seine Augen vor Zuneigung. Ich lächelte in mich hinein. Diese Elly konnte sich wirklich glücklich schätzen, wenn ihr Verlobter so von ihr sprach.

The Devil is FemaleWhere stories live. Discover now