Kapitel 86

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Mein erster Impuls so weit wegzulaufen wie ich kann, verflüchtigt sich nach einigen Stunden. Ich sitze immer noch hinter dem Metallschrank. Doch hier kann ich nicht bleiben. Ich schäme mich, dass ich Eric zurückgelassen habe. Ich hätte kämpfen sollen. Oder zumindest zurücklaufen, nachdem ich eine Waffe hatte. 

Mein Verstand sagt mir sofort, dass das Selbstmord gewesen wäre. Es wäre nicht schlau gewesen ohne Plan und irgendetwas loszugehen.

Dennoch fühle ich mich feige. Feige, weil ich mich hier verstecke. Ich bin eine Ferox. Auch wenn es zurzeit nicht so aussieht. Ich habe keinen Ort an den ich gehen kann. Kein Zuhause. Doch das macht mich nicht Fraktionslos. Ich darf nicht aufgeben. Ich darf Eric nicht aufgeben.

Ich muss ihn da rausholen und wieder gutmachen, dass ich ihn alleine gelassen habe. Nur so kann ich ihm zeigen, was er mit bedeutet. Ich kann jetzt nicht davonlaufen und ein neues Leben beginnen. Nicht solange Eric noch bei ihnen ist und in diesem Raum festgehalten wird. Ich weiß nicht einmal, wie lange sie ihn noch dort lassen.

Den Gedanken, dass sie ihn jetzt gerade hinrichten, schiebe ich weit weg. An so etwas darf ich jetzt nicht denken.

Ich muss mir etwas ausdenken. Etwas, wie ich ins Candorhauptquartier hereinkomme und wie ich Eric befreien kann. Ich alleine. Diesmal habe ich niemanden, den ich um Hilfe bitten kann. Ich traue mich gar nicht, an meine Freunde zu denken und daran, was sie nun wohl glauben müssen.

Ich muss mich konzentrieren und zwar auf Eric. 

Wenn ich ihn befreien will, brauche ich als Erstes Waffen. Nachdem ich die habe, kann ich mir Gedanken um einen Plan machen. Ich schiebe den Schrank, den ich an mich herangezogen habe, weg. Dann komme ich langsam wieder auf die Beine. Ich habe mehrere Stunden hier gesessen und geradezu darauf gewartet, das die Ferox ins Gebäude stürmen. Doch offenbar haben sie mich hier nicht gefunden.

Meine Beine sind eingeschlafen. Sie fühlen sich seltsam taub an. Ich muss ein paar Runden locker laufen, dann ist wieder alles in Ordnung. Dann denke ich nach. Waffen? Wo bekomme ich die?

Ich denke fieberhaft nach und schließlich fällt mir nur ein Ort ein, an dem es Waffen gibt, zu denen ich Zugriff habe. Im Feroxhauptquartier. Ich gehe davon aus, dass niemand die Zugangscodes geändert hat.

Ich gehe zielstrebig zur Tür und hebe meine gestohlene Pistole. Um den Ferox, den ich angeschossen habe, tut es mir leid. Ich hoffe, er erholt sich schnell wieder. Aber ich habe ihm absichtlich ins Bein geschossen. So konnte ich ihn nicht zu sehr verletzen. Solange ich nicht die Hauptschlagader getroffen habe. 

Die Tür, die ich geschlossen habe als ich herkam, hängt halb aus den Angeln. Durch einen Schlitz kann ich nach draußen sehen. Die Straße scheint leer zu sein. Ich vermute das es etwa vier Uhr morgens ist. Die Sonne ist noch nicht wieder aufgegangen. Es ist noch einigermassen warm. Doch jetzt zittere ich. 

Ich ziehe die Tür langsam und vorsichtig auf und schlüpfe heraus. Tatsächlich ist hier niemand. Ich muss mich kurz orientieren. Schließlich laufe ich zu den Gleisen. Immer wieder sehe ich mich um. Doch niemand folgt mir.

Es ist gut, dass es dunkel ist. Niemand sieht mich und wundert sich deswegen, wieso ein Ferox unbewaffnet völlig alleine durch die Gegend läuft. Sobald es hell wird, sollte ich schnell versuchen mir Fraktionslosenkleidung zu besorgen. So falle ich weniger auf. 

Das knallige Rot meiner Haare ist mittlerweile auch so gut wie ausgewaschen. Nur im Sonnenlicht schimmerte es manchmal noch hindurch. Noch ein Punkt mehr, wieso ich nicht so auffallen sollte.

Ich versuche nicht daran zu denken, was jetzt mit Eric passiert. Genau jetzt, in just dem Moment. Ich versuche Tessa, Carter und Feretti zu verdrängen. Noch schlafen sie. Doch schon bald werden sie erfahren, was ich getan habe. Doch nicht nur sie. Auch Gerard, Frank und Lola werden es erfahren. Maddie und Tai werden es erfahren. Ich bin sicher, Maddie wird alle ihre Vermutungen als bestätigt sehen. 

Einmal Fraktionslos, Immer Fraktionslos - Die BestimmungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt