12 | der erste Tag

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| Harry |

Emma konnte verdammt anstrengend sein, das hatte sie mir gestern Abend bewiesen. Sie zeigte nicht, was sie fühlte und sie sagte nicht, was sie dachte. Sie war nicht, wer sie gerne wäre und das machte ihr zu schaffen.

Bedürftigkeit und Unsicherheit zu zeigen und sich einzugestehen, dass sie nicht immer ihr eigener Fels sein konnte, schienen ihre größten Schwächen zu sein. Ich glaubte trotzdem zu erkennen, was in ihr steckte und hatte es mir selbst als Ziel gesetzt, genau das aus ihr heraus zu kitzeln. Sie brachte eine Menge Potenzial mit, sie musste nur lernen, sich auf diesen unkonventionellen Weg einzulassen.

Ich wusste, dass ich mich eigentlich auf die bevorstehende Show in der Radio City Music Hall in Manhattan konzentrieren sollten, doch stattdessen warf ich immer wieder einen Blick auf die Uhr. Emma sollte jeden Moment hier ankommen, eine kleine Führung von meiner Assistentin Jessica durch die Location bekommen und schließlich zu mir gebracht werden. Gerne hätte ich selbst diese Location-Tour übernommen, doch ich war noch einmal zum Techniker beordert worden.

Ich freute mich auf diese besondere Show und darauf, noch einmal die Songs meines ersten Soloalbums aufleben zu lassen, ebenso wie die alten Klassiker aus One Direction-Zeiten. Genauso freute ich mich aber auch darauf, Emma an diesem Tag zu begleiten und zugleich von ihr begleitet zu werden.

Schneller als je zuvor in den zehn Jahren, die ich nun als professioneller Musiker arbeitete, hatte ich all die Pflichttermine und nervigen technischen Dinge hinter mich gebracht und wartete in meiner geräumigen Garderobe auf die Ankunft meiner neusten Mitarbeiterin.

Früher als erwartet, klopfte es ankündigend an der schweren Tür, ehe Jessica selbige aufdonnerte und Emma mit sich in meine Garderobe winkte.

„Und hier sind wir beim Chef persönlich", erklärte sie an Emma gewandt und grinste mich dann über ihre Schulter hinweg an.

Jessica arbeitete schon seit Beginn meiner Solokarriere für mich und ich hätte mir keine bessere persönliche Assistentin wünschen können. Wenn man so eng zusammenarbeitet und so viel Zeit miteinander verbringt, hat man unweigerlich eine Verbindung zueinander. Bei manchen in der Branche mochte diese Verbindung hierarchischer Natur sein. Ich kannte genug Kollegen, die ihre Assistenten mehr als Sekretäre und persönliche Diener ansahen, doch Jessica hätte sich das nicht bieten lassen. Ich hatte sie wirklich gern und pflegte zu ihr das freundschaftliche, wertschätzende Verhältnis, auf das ich in meinem ganzen Team Wert legte. Wir fühlten uns wohl miteinander und vertrauten einander, das war das Wichtigste.

Jessica war Mitte 30, beherrschte ihren Job in Perfektion und hatte sich trotzdem ihre herrlich befreite Art beibehalten. Sie gab mir zu keiner Zeit das Gefühl, tatsächlich ihr Chef zu sein oder mir jeden Wunsch von den Augen ablesen zu müssen. Sie unterstützte mich und dafür erlaubte sich die korpulente, blondgefärbte, junge Frau oft, den Ton anzugeben, wenn ich selbst wieder einmal zu verträumt oder naiv war. Sie war eine helfende Hand, wie sie im Buche steht.

„Dann lass ich euch mal alleine. Ruft mich an, wenn ihr noch was braucht", ließ sie uns wissen, ehe sie wieder durch die Tür, durch die sie eben noch mit Emma gekommen war, verschwand.

„Danke, Jess", nickte ich ihr zu, doch da war sie bereits wieder hinaus auf den Gang der Halle getreten.

Etwas verloren stand Emma nun alleine in meiner lächerlich großen Garderobe. Um die Schulter hatte sie ihre Kameratasche gehängt.
„Na, hat sich Jessica gut um dich gekümmert?", fragte ich Emma lächelnd und bot ihr an, sich zu setzen.

Zögerlich ließ sie sich am Rande des Sessels, der ihr am Nächsten war, nieder und wirkte, als wollte sie jeden Moment wieder aufspringen.
„Ja, sehr. Sie war total lieb und hat mir alles erklärt, was du in diesen heiligen Hallen heute schon gemacht hast und noch machen wirst. Da steckt ja eine ganze Menge hinter so 'ner Liveshow."

Big Tip || h.s. ✓Where stories live. Discover now